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Und im Traum schlüpfte Kriemhild in den Körper des Kämpfers, denn es war ihr eigenes Gesicht, das unter dem Helm zum Vorschein kam. Ihr langes blondes Haar wehte wie ein zweiter Umhang über ihre Schultern, und ihre Züge waren anmutig und glatt, trotz des heftigen Ringens.

In ihren Augen aber stand blanker Haß, der Haß einer im Kampf Unterlegenen, die ihren Feinden die ewige Verdammnis wünschte.

»Aber ich habe die Adler doch besiegt!« rief Kriemhild aus und begriff zugleich, daß sie sich noch immer in Berenikes Turmzimmer befand. Sie kniete vor dem Thron der Hexe, nicht demütig, sondern schlichtweg erschöpft von den Strapazen der Vision. Jetzt, zurück in der Wirklichkeit, erkannte sie sofort, daß es Prinz Etzels Rüstung gewesen war, die sie beim Kampf mit den Adlern getragen hatte.

Sie öffnete den Mund, um all ihre Fragen hervorsprudeln zu lassen, doch Berenike war schneller und verschloß Kriemhilds Lippen mit einem Zeigefinger. »Psst«, machte sie zärtlich. »Ich kenne keine der Antworten, die du zu wissen begehrst, keine einzige. Nicht ich habe die Bilder geschaffen, die du gesehen hast. Sie waren in dir, Prinzessin, tief in deinem Inneren begraben. Noch sind sie nur Mosaiksteine eines Traums, aber manchmal ist ein Traum die Saat dessen, was geschehen wird. Ich habe die Bilder hervorgeholt, habe sie geweckt, wenn du so willst, doch deuten kann ich sie nicht.«

»Aber -«

»Nein, Kriemhild.« Berenike lehnte sich wieder zurück und schloß die Augen. »Laß mich jetzt allein. Ich bin müde. Und ich will bereit sein, wenn die Götter Einlaß begehren.«

Es war wie ein Blitzschlag, ebenso plötzlich, ebenso heiß: Kriemhild verlor die Beherrschung, derart unerwartet, daß ihr nicht einmal die Zeit blieb, sich über sich selbst zu wundern. Mit einem Aufschrei ließ sie beide Hände vorschießen, packte Berenike an den dürren Schultern und schüttelte sie, daß ihre Gewänder raschelten wie ein Reisigbündel.

»Sag mir die Wahrheit!« schrie sie die Alte an. »Sag mir, verflucht noch mal, die Wahrheit!«

Hinter ihr flog mit einem Poltern die Kammertür auf. Kriemhild bemerkte es kaum; sie hielt die Hexe weiterhin gepackt wie eine Puppe, und schon griff sie mit einer Hand nach dem faltigen Hals, besessen von dem Wunsch, ihn zu zerquetschen.

Jemand legte ihr eine Hand auf die Schulter, doch sie schenkte ihm keine Beachtung. »Die Wahrheit!« brüllte sie außer sich und starrte die Hexe an.

Der Druck auf ihre Schulter wurde stärker, und ehe Kriemhild sich versah, wurde sie von Berenike fortgerissen und herumgewirbelt. Etzel blickte sie düster an, als suchte er in ihren Augen nach einem Weg, sie wieder zu sich zu bringen. Er holte aus, um ihr eine Ohrfeige zu verpassen. Im selben Moment aber kam Kriemhild zur Besinnung. Sie versuchte, sich aus Etzels Griff zu winden, doch die Hände des Hunnenprinzen waren stark wie Eisenzwingen.

»Sie hat dir die Wahrheit gesagt!« sagte er scharf. »Es stimmt mit allem überein, was unsere Weisen vorausgesehen haben.«

»Eure Weisen?« Kriemhild stieß ein hysterisches Lachen aus. »Was kommt noch? Hexen, Seher - als nächstes vielleicht ein paar christliche Priester? Herrgott, glaubt denn jeder hier an das, was diese Alte faselt? Seht Ihr denn nicht, daß es nur Euer Glaube ist, der diese Dinge geschehen läßt?«

»Denkt Ihr, das wüßte ich nicht?« zischte er und zerrte sie mit sich zur Tür.

»Dann tut etwas dagegen, verdammt!«

Sie stolperten hinaus, und Etzel schlug die Kammertür zu, ohne den Schlüssel herumzudrehen. Während er Kriemhild die Stufen hinabdrängte, war sein Blick gleichbleibend finster, als verzehre ihn eine Wut, auf die er längst keinen Einfluß mehr hatte.

»Man kann einen Glauben nicht ablegen wie ein zerrissenes Hemd, Prinzessin.« Er war so aufgebracht, daß sie einen Augenblick lang glaubte, er würde sie doch noch töten. »Wahrer Glaube unterscheidet sich nicht von Wissen, und was ich weiß, kann ich nicht verleugnen.«

Tränen strömten über Kriemhilds Wangen, aber sie achtete nicht darauf, während sie rückwärts vor ihm die Treppe hinabstolperte. »Es muß doch einen Weg geben!«

Etzel aber schüttelte nur den Kopf. »Wir selbst sind es, die die Vernichtung über uns bringen. Versteht Ihr das nicht? Es ist unser Glaube, unser Wissen.« Plötzlich blieb er stehen, setzte sich auf die Stufen und vergrub das Gesicht in den Händen. »Unsere eigene Überzeugung wird uns töten, und es gibt nichts, was wir dagegen tun könnten.«

Kriemhild fiel vor ihm auf die Knie, nur eine Stufe tiefer. »Aber das ist nicht wahr! Ihr selbst toleriert, was geschieht. Es ist Euer Priester, der das Feueropfer vollzieht, und damit den Glauben vervielfacht an das, was kommen wird. Ihr habt es ihm erlaubt, Etzel! Und nur Ihr könnt es noch verhindern. Es wäre ein erster Schritt, diesem Wahnsinn entgegenzutreten.«

Er hob das Gesicht und sah ihr in die Augen. Sein Blick war müde, sein Haar zerzaust. »Merkt Ihr es denn nicht, Prinzessin? Merkt Ihr nicht, daß auch Ihr selbst längst daran glaubt?«

Und da erst begann Kriemhild vollends zu begreifen, was Berenike ihr angetan hatte.

Der Weidenmann brannte lichterloh, und längst waren die Schreie in seinem Inneren verstummt. Schwarzer, fettiger Qualm stieg als breite Säule zum Himmel empor, und selbst die beiden Raben, die seit einer Weile über der Festung schwebten, mieden die Nähe der stinkenden Schwaden. Der Geruch von verbranntem Fleisch hing zwischen den Mauern und würde wohl erst vom nächsten Regen wieder fortgespült werden. Zugleich ging ein feiner Ascheschauer auf Dächer und Durchgänge nieder, legte sich über das Metall der Rüstungen und Waffen.

Der Hunnenpriester stand wie versteinert vor dem lodernden Götzen, während die Krieger im Hintergrund unruhig von einem Fuß auf den anderen traten, miteinander flüsterten oder sich gänzlich von dem grausigen Schauspiel abwandten.

Jorin vermochte von seinem Versteck auf den Zinnen aus nicht in den Gesichtern der Männer zu lesen - ohnehin kamen ihre fremdländischen Züge ihm wie teuflische Masken vor -, aber das Raunen aus der Menge verriet ihm deutlich, daß nicht jeder der Hunnen mit dem Opfer einverstanden war. Bevor Hagen den Jungen in dem Versteck zurückgelassen und sich allein auf den Weg ins Innere der Festung gemacht hatte, hatte Jorin den Krieger auf seine Beobachtung angesprochen; doch Hagen hatte nur den Kopf geschüttelt und geflüstert, daß die Barbaren wohl enttäuscht waren, daß der Priester ihnen verboten hatte, ihren Spaß mit den kreischenden Weibern zu haben.

Hagen war schon eine ganze Weile fort, und Jorin kam sich sehr hilflos vor. Dabei schien sein Versteck verhältnismäßig sicher zu sein: Er kauerte hinter einigen Kisten, oben auf den nördlichen Zinnen, und durch die Zwischenräume konnte er hinab in den Hof und auf den brennenden Weidenmann blicken. Er und Hagen hatten die Festung über eine Sturmleiter betreten, die die Hunnen bei ihrem Angriff an der Ostmauer angelegt hatten. Bis jetzt hatte niemand es für nötig gehalten, sie zu entfernen.

»Warte hier, bis ich dich abhole«, hatte Hagen gesagt, ehe er davongeschlichen war, verdeckt vom Rauch des Scheiterhaufens.

Und so saß Jorin nun da, zitterte am ganzen Leib und versuchte, auf andere Gedanken zu kommen. Doch immer wieder stieg die alte Furcht in ihm auf, jene Panik, die er empfunden hatte, als sie zwischen den Felsschollen des Hochwegs näher an die Burg herangeschlichen waren, durch ein Gewirr von Spalten und Rissen, manche fast zwei Schritte breit. Ein falsch gesetzter Fuß, eine vorschnelle Bewegung, und sie wären in die Tiefe gestürzt, hinab in das strudelnde Nebelmeer. Viel schlimmer aber war die Kletterpartie rund um die Burg gewesen, auf einem schmalen Sims zwischen Felsen und Mauer. Einmal war Jorin auf loses Geröll getreten und wäre abgestürzt, hätte Hagen ihn nicht im letzten Moment am Arm gepackt. Damit verdankte er dem Krieger bereits zum zweiten Mal sein Leben.