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»Was hat er gesehen?« fragte Kriemhild. Ihr Herz raste vor Aufregung und bösen Vorahnungen.

Etzels Blick schweifte über den Dunst, bis hinüber zu den dunkelblauen Silhouetten der Bergkuppen. »Er sagt, da war etwas im Nebel. Irgend etwas Großes. Er meint, es sei wie ein Flußotter kurz an der Oberfläche entlanggeglitten und dann sofort wieder verschwunden.«

Kriemhild schüttelte verständnislos den Kopf. »Aber da unten ist kein See, nur Wald.«

»Das weiß ich«, sagte der Prinz gereizt. »Als meine Leute und ich durchs Tal ritten, war der Nebel noch nicht da. Nur ein Wald wie jeder andere. Aber vielleicht sind wir ein wenig zu schnell davon ausgegangen, daß alles Göttliche von oben kommt.«

»Es ist der Nebel!« rief da Jodokus über das Prasseln der Flammen hinweg. »Der verdammte Nebel!«

Kriemhild sah zu ihm hinunter, aber ihre Blicke kreuzten sich nicht. Jodokus starrte gebannt in die Flammen, selbst jetzt noch, während sich alle Augen auf ihn richteten.

Der Priester begann erneut, Befehle zu kreischen, und schon schleppten die beiden Wächter Jodokus näher an die Flammen. Doch da brüllte Etzel lautstark etwas über den Lärm hinweg, und sofort wandten sich die beiden Krieger mit ihrem Gefangenen vom Feuer ab und zerrten ihn die Stufen zum Wehrgang hinauf.

Kriemhild fiel Jodokus um den Hals, und Etzel gab Befehl, ihn loszulassen. Die beiden Hunnen lösten ihren Griff, blieben aber unmittelbar hinter dem Sänger stehen.

Jodokus lächelte schief und erwiderte Kriemhilds Umarmung.

»Wo ist der Met?« fuhr Etzel ihn an.

Die beiden lösten sich voneinander. »Welcher Met?« fragte Jodokus trotzig, doch Kriemhild schenkte ihm einen drohenden Blick und sagte nur: »Der Buckel.« Sogleich wurde der Sänger erneut von einem seiner Bewacher gepackt, während der andere Jodokus’ Wams hochriß und den Weinschlauch entblößt. Nach zwei, drei schnellen Schnitten mit dem Dolch lag der Schlauch in der Hand des Hunnen.

Jodokus protestierte empört: »Er gehört mir! Gib ihn zurück!« Doch seine Gegenwehr blieb vergebens. Gegen die Kraft des Hunnen war er machtlos.

»Jodokus«, sagte Kriemhild beruhigend, doch er beachtete sie gar nicht, sondern hatte nur Augen für den Weinschlauch, der jetzt an Etzel gereicht wurde.

»Jodokus!« rief sie noch einmal, diesmal schärfer, und jetzt traf sie sein vorwurfsvoller Blick. Sie aber ließ den Sänger gar nicht erst zu Wort kommen. »Wir werden sterben, wenn du dich nicht davon trennst.«

»Als ob das einen Unterschied macht«, gab er zornig zurück, aber er schien sich mit der Niederlage abzufinden.

Kriemhild wunderte sich über sich selbst, als sie sich vorbeugte und ihm einen Kuß auf die Wange hauchte. »Danke«, flüsterte sie leise.

Etzel hatte den Schlauch derweil entkorkt und hielt die Öffnung vorsichtig unter die Nase. »Es ist tatsächlich Met, ganz eindeutig.«

»Was habt Ihr erwartet?« fragte Jodokus höhnisch, aber er klang nicht mehr ganz so angriffslustig wie zuvor. Er starrte nur Kriemhild an, die ihm ein knappes Lächeln schenkte.

Der Hunnenprinz wirkte unschlüssig, was er mit dem Met tun sollte. Berenike mußte ihm alles darüber erzählt haben, doch jetzt, wo er den Schlauch in Händen hielt, zweifelte er plötzlich.

»Werft ihn in den Nebel«, schlug Kriemhild vor.

Etzel verharrte einen Augenblick lang, dann nickte er nachdenklich. »Das wird wohl das beste sein.«

»Nein!« rief Jodokus. »Ich habe zu lange -«

Kriemhild fiel ihm barsch ins Wort. »Du hast einen ganzen Landstrich damit entvölkert!«

Jodokus mußte die Wahrheit zumindest ahnen, denn er verstummte schlagartig und versuchte kein weiteres Mal, den Met zurückzuerlangen.

Etzel preßte den Korken tief in die Öffnung des Weinschlauches, packte ihn dann an seinem schmalen Ende, holte aus und schleuderte ihn weit über die Zinnen hinaus. Es ertönte kein Donnern und keine göttliche Stimme; kein Blitz fuhr zur Erde, und kein Schlund tat sich im Nebel auf. Statt dessen sauste der Schlauch nur in weitem Bogen in die Tiefe und wurde vom Dunst verschluckt.

Einen Augenblick lang herrschte Stille. Niemand sprach ein Wort. Sogar das Feuer im Hof knisterte kaum mehr, allmählich erloschen die Flammen.

Etzel und Kriemhild wechselten einen unsicheren Blick. Sie wußte, daß er dasselbe dachte wie sie selbst: Hat es gewirkt? Kann das wirklich schon alles gewesen sein?

Die Antwort gab ihnen der Nebel, denn er schien plötzlich schneller zu steigen. Schnell genug, um der Bewegung mit bloßem Auge folgen zu können.

»Es hört nicht auf«, flüsterte Etzel beklommen.

Kriemhild war plötzlich sehr kalt. Wieder wurde ihr bewußt, daß sie längst jedes einzelne von Berenikes Worten für bare Münze nahm. Ihr eigener Glaube an Jodokus’ Götter vereinigte sich mit dem der anderen, und gemeinsam machten sie die Mächte dort draußen mit jedem Atemzug stärker, zorniger, furchterregender.

»Es ist das Spiel«, raunte Jodokus kaum verständlich. »Niemand bricht ein Spiel so kurz vor dem Ende ab, egal, was geschieht. Sie drängen auf eine Entscheidung.«

Keiner widersprach ihm. Nur Etzel fragte: »Was wird geschehen?«

Jodokus versuchte, die Schultern zu heben, doch der Klammergriff seines Bewachers hielt ihn davon ab. »Ich weiß es nicht«, sagte er matt.

Kriemhild schaute zurück in den Hof. Die Hunnen standen stocksteif, keiner wagte sich zu rühren. Sogar der Priester blickte starr zu ihnen empor. Seine Lippen bewegten sich im lautlosen Gebet.

Und noch etwas sah sie. Eine Bewegung am Rand des Platzes, im Schatten eines Gebäudes, jenseits einer Ecke. Sie sah einen Umriß, eine Gestalt. Dann einen Wink.

»Etzel«, sagte sie und versuchte, gefaßt zu klingen. »Ich muß mit Euch sprechen. Unter vier Augen.«

Der Prinz blickte sie fragend an, doch er wirkte nicht mißtrauisch, nur ein wenig erstaunt. Sein Antlitz war leichenblaß, so wie die Gesichter aller anderen auch. Sie würden noch eine Weile brauchen, um gänzlich zu erfassen, was auf sie zukam. Falls ihnen so viel Zeit überhaupt noch blieb.

Etzel nickte ihr kurz zu und stieg dann mit ihr die Stufen zum Hof hinunter. Im Vorbeigehen gab er Jodokus’ Bewacher Befehl, den Sänger loszulassen. Die beiden anderen, der zweite Wachtposten und jener, der etwas im Nebel gesehen zu haben glaubte, folgten ihnen die Treppe hinab, schlossen sich unten den übrigen Männern an. Jodokus blieb mit einem Krieger auf dem Wehrgang zurück, und beide blickten jetzt gleichermaßen angstvoll über die Zinnen hinweg in den aufsteigenden Nebel.

Der Priester wollte Kriemhild und Etzel folgen, doch der Prinz gab ihm mit einer Geste zu verstehen, daß er mit Kriemhild allein sein wollte. In die Hunnenkrieger kam derweil Bewegung, als mehrere von ihnen nach ihren Waffen griffen. Sie begannen, sich um den Priester zu scharen, so daß dieser den Prinz und die Prinzessin schnell aus den Augen verlor.

Nach wenigen Schritten blieb Kriemhild im Schatten stehen.

»Was denkt Ihr«, fragte sie, »wie hoch ist wohl das Lösegeld für das Kind eines Königs.«

Er schüttelte verärgert den Kopf. »Vergeßt das Lösegeld. Ich glaube, wir haben andere Sorgen als den Wert Eures Kopfes.«

»Ihr mißversteht mich«, entgegnete sie mit schmalem Lächeln, »es geht nicht um meinen Kopf.«

Hagen löste sich aus seinem Versteck jenseits der Hauskehre, ein blitzschneller Schemen, der lautlos heranschoß, eine behandschuhte Pranke von hinten auf den Mund des Prinzen preßte und den anderen Arm um seine Brust legte. Nur Herzschläge später waren beide hinter dem Gebäude verschwunden. Kriemhild blickte sich sichernd zum Hof hin um, dann eilte sie hinterher.

Als sie um die Ecke bog, war Etzel bereits ohne Bewußtsein.

»Ist er -«

»Nein«, entgegnete Hagen im Flüsterton, »natürlich nicht.«

Kriemhild überspielte ihre Erleichterung und fragte leise: »Ich nehme an, du hast einen Plan.«