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Aber als sie aus dem Unterholz trat und einen Blick auf die Heerstraße warf, erkannte sie, daß sie nicht mehr allein war. Keine zweihundert Schritte östlich entdeckte sie Gestalten, einen Trupp gerüsteter Männer. Vierzig oder fünfzig, schätzte sie. Sie hatten sich am Straßenrand niedergelassen, einige lagen zusammengerollt im Gras und schliefen, andere hielten Wache. Im Mondlicht schimmerten Eisenpanzer und Helme, schartige Waffen und Schilde, von denen die Farben abblätterten. Pferde gab es nur drei oder vier, der Rest des Trupps war zu Fuß unterwegs. Der Marsch mußte lang und anstrengend gewesen sein, denn trotz ihrer großen Zahl machten die Männer kaum ein Geräusch. Die meisten schliefen bereits.

Kriemhilds erste Empfindung war Sorge, daß man sie entdecken und zur Rede stellen würde. Zur Rede stellen - von wegen! In einer Gegend wie dieser, ein Haufen verwegener Soldaten und ein hübsches Mädchen, ganz allein im Wald... Diese Art von Unterhaltung würde eher wortkarg ausfallen.

Dann aber sagte sie sich, daß die Männer von Osten kamen und fraglos Neuigkeiten von dort zu berichten wußten. Neuigkeiten, die für Kriemhild große Bedeutung haben mochten. Entgegen jeder Vernunft überlegte sie, wie es ihr gelingen könnte, die Soldaten auszuhorchen, ohne ihnen selbst zum Opfer zu fallen.

Es war Wahnsinn, gewiß - doch nachdem sie ihren Entschluß einmal gefaßt hatte, brannte sie darauf, ihn in die Tat umzusetzen. Sie hatte oft genug die Gespräche ihrer Brüder belauscht, um zu wissen, daß es unter Kriegern nicht immer nur heldenhaft zuging; sie wußte sehr wohl, was ihr bevorstand, wenn ihr Plan mißlang.

Lautlos schlich sie zurück zur Feuerstelle. Jodokus lag zusammengerollt da wie ein junger Hund, er schlief tief und fest. Die beiden Pferde gaben keinen Laut von sich, als Kriemhild ihnen die Satteldecken abnahm. Dann nahm sie ein verkohltes Holzstück aus der Asche des Feuers und malte sich damit schwarze Flecken auf Gesicht, Hände und Unterarme. Anschließend schlang sie die beiden übelriechenden Decken um ihren Körper wie die Gewänder einer alten Vettel und huschte zurück zur Straße. Unterwegs hob sie einen Stock auf, der leidlich glaubhaft als Krücke herhalten mußte.

Vornübergebeugt, das Gesicht im Schatten der Decke verborgen, humpelte sie über die mondbeschienene Straße auf das Lager der Soldaten zu.

Sie war bis auf zwanzig Schritte heran, als ein schläfriger Wachtposten sie bemerkte. »He da!« rief er sie an, nicht allzu laut, um seine schlafenden Kameraden zu schonen. »Wer ist da?« Er klang müde und nicht besonders glücklich darüber, daß er sich von seinem Platz am Lagerfeuer erheben mußte.

Kriemhild hatte eigentlich vorgehabt, ihre Stimme zu verstellen, aber jetzt überfiel sie mit einemmal Sorge, daß man ihr die armselige Alte nicht abnehmen würde. Deshalb sagte sie in ihrem eigenen, klaren Tonfalclass="underline" »Eine Wanderin in schlimmen Zeiten.«

Als der Soldat hörte, wie jung sie noch war, wurde er aufmerksamer. Einige der anderen rollten sich herum, setzten sich im Gras auf. Einer flüsterte einem anderen etwas zu; beide sprangen auf und starrten Kriemhild aus schattenverhangenen Augen entgegen.

»Komm heran, damit wir dich sehen können, Mädchen«, rief der Wächter und zog ein loderndes Scheit aus dem Lagerfeuer.

Kriemhilds Herz raste, und plötzlich war sie froh, daß sie die Krücke hatte, um sich aufzustützen; wer wußte schon, ob ihre zitternden Knie sonst nicht einfach unter ihr eingeknickt wären?

Sehr langsam hob sie beim Näherkommen ihr Gesicht. Der Wächter beleuchtete sie mit der Fackel. Einer seiner Kameraden entdeckte als erster die schwarzen Flecken auf ihren Zügen und taumelte zwei Schritte nach hinten, stolperte dabei über einen Schlafenden und stürzte rückwärts zu Boden. Sogleich erwachten noch einige mehr und knurrten Flüche, wütend über die Störung.

»Sie hat die Plage!« rief jetzt der Wächter aus. Sogleich ging ein Raunen durch die Reihen. Ein Soldat griff nach Pfeil und Bogen, doch ein anderer hielt ihn zurück. »Warte!« Er trat vor und nahm dem Wächter das brennende Holzscheit aus der Hand.

»Bleib stehen, Mädchen«, sagte er ruhig. Er mußte der Anführer der Rotte sein. Kriemhild war längst dar, daß sie es hier nicht mit Kriegern ihres Bruders zu tun hatte, und das erhöhte ihre Furcht um ein Vielfaches. Jetzt gab es kein Zurück mehr, kein Seht-doch-her-ich-bin-des-Königs-Schwester. Dies waren Plünderer, herrenlose Söldner wahrscheinlich, die marodierend durch das sterbende Land zogen.

Der Anführer kam vorsichtig näher, und das Raunen der anderen in seinem Rücken verstärkte sich. Ihn schien die Krankheit weniger zu ängstigen als seine Männer. Kriemhild fürchtete schon, sie sei durchschaut. In einer Bewegung, die beiläufig erscheinen sollte, ließ sie ihre nackten Oberarme unter dem Deckenrand hervorschauen. Die schwarzen Flecken sorgten abermals für aufgeregtes Flüstern. Auch der Anführer blieb zögernd stehen.

»Du kommst aus dem Westen, Mädchen, ist es nicht so?«

»Ja, Herr«, gab sie mit schwankender Stimme zurück. Wäre sie doch nur bei Jodokus im Dickicht geblieben!

»Hast du auf deinem Weg eine Ansiedlung gesehen? Ein Dorf, vielleicht?«

»Ich -« Sie stockte. »Warum wollt Ihr das wissen, Herr? Die Pest ist überall.«

»Wir sind nur müde Kämpfer, auf der Suche nach einem Dach über dem Kopf und ein wenig jungfräulichem Fleisch.« Rohes Lachen aus dem Dunkel unterstrich seine Worte.

Kriemhild schauderte. Zugleich aber dachte sie an die Dorfbewohner, die sie und Jodokus hatten umbringen wollen. Dies mochte eine Gelegenheit sein, ihnen ihr böses Trachten heimzuzahlen.

»Es gibt ein Dorf«, sagte sie schließlich gepreßt. »Etwa einen halben Tag westlich von hier. Es liegt an einer Furt, nördlich der Straße. Ihr könnt es nicht verfehlen.«

»Und lebt dort noch einer?«

Ein anderer gröhlte: »Leben noch Weiber dort? Schnell, sag es uns, dann schonen wir dich.«

Der Anführer fuhr herum und bedachte den Schreihals mit einem finsteren Blick. Sogleich sank der Mann zu Boden und blieb mürrisch und schweigend am Feuer sitzen.

»Es leben noch welche, allerdings.« Kriemhild wunderte sich über sich selbst. Ihr Haß und ihr Zorn auf die Dörfler, die sie ganz ohne Grund hatten töten wollten, war ungebrochen. »Aber sagt, wollt auch Ihr mir eine Auskunft geben?«

»Was willst du mit einer Auskunft, Mädchen? Du wirst bald sterben, das weißt du doch.«

»Sterben werde ich, gewiß«, entgegnete sie, nun ein wenig gefaßter. »Doch verratet mir, wie sieht es im Osten aus?«

Der Anführer murmelte etwas zu sich selbst, dann gab er seinen Männern Zeichen, sich wieder schlafenzulegen. »Schlecht sieht es aus. Die Plage ist überall. Der Schwarze Tod hat reichlich Ernte gehalten. Ich habe viele meiner Männer verloren.«

»Kennt Ihr einen Ort namens Salomes Zopf?«

Der Söldnerführer blickte sie düster an. »Was für ein Ort soll das sein?«

Kriemhild setzte zu einer Erwiderung an, doch im selben Augenblick erhob sich im Hintergrund ein Mann, der eilig auf den Anführer zustolperte; eine Reihe von Flüchen verriet, wo seine Füße im Dunkeln gegen Schlafende stießen. Er trug eine braune Mönchskutte, an seinem Hals baumelte ein Rosenkranz aus Holzperlen. Ohne Kriemhild aus den Augen zu lassen, beugte er die Lippen an das Ohr des Söldnerführers und raunte ihm sichtlich erregt etwas zu. Die Augen das Anführers weiteten sich überrascht, dann streckte er Kriemhild abwehrend seine Fackel entgegen.

»Bist du des Teufels, Weib?«

»Des Teufels, Herr?« fragte sie unschuldig.

»Warum sonst fragst du nach Salomes Zopf?«

Der Mönch trat einen Schritt zurück. »Es heißt, dort...« Der Rest ging unter, als er furchtsam die Stimme senkte. Einige Männer in seiner Nähe keuchten erschrocken auf.

Kriemhild fragte sich, ob sie vom Regen in die Traufe geraten war. Wann wirst du nur lernen, dein loses Mundwerk zu halten?