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Wie die Leute von Dieppe verhielt sich die große Mehrzahl im Königreich — insofern sie nichts voraussahen, nicht einmal die nächste Stunde Wirklichkeit, dessen ungeachtet alle für Menschen der Wirklichkeit gelten wollten. Sie bemerkten bis zuletzt nicht, daß ihr geistiges Gefüge ein wüster Traum war anstatt Wahrheit. Die Liga, so großmächtig sie umging, tat es doch nur wie ein Nachtgespenst, der Sonne gegenwärtig, um sich aufzulösen. Merkwürdig, das entging ihnen; vielmehr begegneten sie der aufgehenden Wahrheit, die ihr neuer König war, mit Sorgenfalten. Sicher ist, daß sie viel mehr Mißtrauen als Haß fühlten, nicht allein die von Dieppe, sondern alle Leute. Angst meldete sich wohl auch bei ihnen, eine heimlich wühlende Ahnung: diese könnte das Gewissen selbst sein. Wie? «Damit» will er das Herzogtum Normandie erobern? Nicht möglich. Als er dann gesiegt hat — nur eine einzige gewonnene Schlacht, und plötzlich wissen sie: er wird das Königreich haben. Wissen bis an das andere Ende des Königreiches, daß erschienen ist ein langerwarteter Tag.

«Was Dieppe!» rief Agrippa d’Aubigné und war nicht weit davon, ein Gedicht zu machen. «Wir sind keineswegs nur vor Dieppe, auf dieser nebligen Ebene zwischen Waldhügeln und dem Fluß Bethune, wo wir Verschanzungen aufwerfen, und ich habe die Schuhe ausgezogen bei der heißen Arbeit. Dies ist zwar unsere leibliche Gegenwart. Wir Erdenwürmer, nackt wühlen wir uns durch Lehm, werfen zwei Schanzen auf, eine hinter der anderen, damit wir standhalten, wenn von vorn über die Ebene der böse Feind heranfährt. Gedenken uns nach aller menschlichen Kunst zu decken und anzuklammern an diesen Erdenfleck. Im Rücken haben wir das Dorf Arques und über ihm die Burg. Noch weiter hinten soll die Stadt Dieppe uns bergen, wenn wir zurückgehen müßten, und sogar auf die englischen Schiffe hoffen wir.»

«Wo denkst du hin, Agrippa», sagte Rosny. «Wir gehen nicht zurück.»

Du Bartas warf ein: «Vielleicht werden wir es nicht mehr können, weil unsere Füße still auf diesem Felde liegen.»

«Meine Herren!» Es war Roquelaure, der sie ermahnte. Agrippa indessen blieb bei seinen Gedanken oder bei seinem Gedicht. «Unsere leibliche Gegenwart ist allerdings auf diesem Feld von Arques, links der Fluß, rechts buschige Hügel, grau vom Nebel, und darin eingesenkt der Weiler Martinglise.»

«Mit einer Schenke und gutem Wein. Ich habe Durst», verkündete Roquelaure.

«Weil unsere Füße still auf diesem Felde liegen», wiederholte Du Bartas für sich allein und zählte die Silben.

Agrippa: «Wo aber sind wir im Geist? Weder in einer Schenke noch tot zwischen anderen Toten. Wir sind im Geiste schon nach der Schlacht, nach dem Sieg. Wer weiß denn nicht, daß wir siegen sollen! Sogar der Feind hat davon Kunde. Mayenne und seine Überzahl sind im Anzug, rücken eilends vor und wollen nicht anders, als von uns geschlagen werden.»

«Das wäre!» meinte Rosny, kühl und verständig. «Mit solchem Vorhaben bemüht Mayenne sich nicht her zu uns, sondern um den König zu fangen: er hat es selbst gesagt; meint auch, er habe groß Macht und viel List.»

Agrippa: «Dennoch wünscht er in einer Falte seines Herzens dasselbe, was die ganze Welt ersehnt, nicht nur Dieppe und das verwirrte Königreich. Wir sollen sie erretten vor Spanien und vor ihnen selbst. Wir sind das Heilmittel gegen den Weltbeherrscher. Wir bekämpfen nicht sie.»

«Sondern ihre Blindheit und Schlechtigkeit», ergänzte Du Bartas.

Agrippa, im gehobenen Ton: «Freunde! Auf unseren Sieg wartet die Menschenwelt, bis in die fernsten Länder blicken auf uns alle, die Verfolgung leiden. Unser sind die Gebete der Bedrängten, Mißachteten, und auch das Gewissen der Denkenden spricht für uns.»

Gerade Rosny bestätigte dies. «Wir sind im Einverständnis mit den Humanisten des ganzen Erdteils. Das wäre noch nichts, gesetzt, die Humanisten hätten nur denken gelernt, nicht aber auch reiten und zuschlagen.»

«Sie können es», versicherten Roquelaure und Du Bartas.

Weiter berichtete Rosny: «Mornay hat in allen Königreichen und Republiken bekanntgemacht, daß wir es sind, die den Weltbeherrscher zu Fall bringen sollen. Er läßt Fama dahinfliegen und blasen über die Lande, daß wir kämpfen für Recht und Freiheit: diese sind unsere Heiligen. Daß wir auftreten anstatt der Tugend, Vernunft und Mäßigung, die unsere Engel sind.»

Roquelaure fragte herausfordernd: «Glauben Sie es nicht, Herr de Rosny?» Der antwortete: «Glauben will ich dies und noch mehr. Haben möchte ich nur einige tausend Pfund aus dem Gepäck des dicken Mayenne.»

Du Bartas begann kraft sicherer Erkenntnis zu sprechen — in einem merkwürdigen Tonfalclass="underline" ein Gast, der von anderswo Nachricht bringt und früh wieder dorthin aufbrechen soll. «Noch nicht auf diesem Felde werden meine Füße still liegen. Es ist verbürgt. Wir alle sollen aus diesem irdischen Nebel in einen Ausschnitt des Himmels blicken. Besiegt von uns die zehnfache Übermacht, da hör ich aufatmen die Völker, und die Gesandten der Republiken setzen sich in Bewegung, zu huldigen unserem König und mit ihm Bündnisse zu schließen.»

Rosny hätte eingewendet: das ist zu weit gegangen. Ein kleiner Sieg, viertausend Soldaten, die sich gerade noch halten am äußersten Rande des Festlandes und dieses Königreiches: nach menschlichem Ermessen könnten sie nichts entscheiden. ‹Mein König wäre darum mehr als ein König ohne Land? Die Gesandten brächen zu ihm auf? Was denn wohl. Aber Fama!› dachte er dagegen selbst. ‹Aber die bereitwillige Erwartung der Welt! Aber dieser König!› Sein Blick traf den des Herrn de Roquelaure, der ihm zunickte, wortlos, der Sache gewiß. Für diese alle, Erdenwürmer, wie sie sich genannt hatten, Arbeiter an Erdwerken, in denen sie hafteten mit nackten Füßen, war die Wahrheit sichtbar geworden, so undurchsichtig um sie her die Luft hing. Als erste und als große Ausnahme kannten sie die nächste Stunde der Wirklichkeit.

Agrippa brauchte nur noch zu sprechen, was sich ihm inzwischen gefügt hatte: sie waren vorbereitet.

«Erscheine! Zwischen uns und Gottes Angesicht Schiebt sich die Wolke fort. Sein Panzer ist das Licht. Der neue Himmel hallt vom Wogen der Gesänge, Die Luft strahlt weiß: das ist von Engeln ein Gedränge.»

Hier angelangt, brach der Sprecher ab, denn wahrhaftig, der Nebel zerteilte sich ihnen zu Häupten, ein Ausschnitt des Himmels ging eiförmig auf, quoll über vom Licht, und mit ihren Augen sahen sie — niemand gestand nachher, was. Es waren aber die Heiligen und Engel, deren Namen sie vorher erwähnt hatten. Standen all in dem Ei aus Licht. Von Angesicht, Kleidung, Bewaffnung glichen diese den schönsten und tapfersten Gottheiten der Alten. Aus ihnen hervor aber trat hüllenlos Herr Jesus Christus als der Mensch selbst.

Psalm LXVIII

Vor Arques im Laufgraben hält Henri seinem Marschall Biron vor, daß sie auf den Angriff des Feindes schon eine Woche warten. Mayenne steht drüben hinter dem Wald, kein Geplänkel lockt ihn hervor: in diesem Nebel will er nicht kämpfen. Aber der Nebel wäre von Vorteil für das kleinere Heer. Henri möchte die Schlacht erzwingen. Der Alte rät ab. «Sire! Sie haben auf mich gehört und sich in den Platz Dieppe nicht eingeschlossen. Es ist ein schlechter kleiner Platz.» — «Und wimmelt von Verrätern», sagte Henri. Der Marschalclass="underline" «Sie kennen die Menschen, wie ich an mir selbst erfahren habe. Dafür weiß ich länger als Sie auf den Schlachtfeldern Bescheid. Verlassen Sie um keines Nebels willen dies weite, überall gedeckte Viereck. Hier sind Sie sicher, zu widerstehen. Sie haben für sich alle natürlichen Umstände, die Burg in Ihrem Rücken, zu Ihrer Linken den Fluß mit seinem sumpfigen Ufer, unzugänglich für die Reiterei des Feindes, noch mehr für seine Kanonen. Von weitem kann er im Nebel nicht zielen mit Kanonen.»