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Die Bilder begannen zu zerfließen, und plötzlich verspürte er einen unvorstellbaren Verlust; etwas war ihm genommen worden, noch ehe er es bekam.

Kyle erwachte, und in dem Moment, in dem er die Augen öffnete, verschwand das Chaos hinter seinen Schläfen und machte dem präzisen Denken Platz, das er gewohnt war. Er begriff, daß dieser Wechsel von Wachsein und Fast-Bewußtlosigkeit kein Zufall war. Sein Körper war bis über die Grenzen des Vorstellbaren hinaus geschunden und verletzt worden, und seine Energievorräte reichten lange nicht mehr aus, ihn in der gewohnten Art funktionieren zu lassen.

Er versuchte sich aufzurichten und konnte es nicht. Seine Muskeln waren verkrampft und schmerzten. Die sanft geneigte Metallfläche, auf der er lag, klebte von seinem eigenen Blut. Er lag auf der Oberseite des Gleiters, hielt sich an winzigen Zacken fest, während seine Füße an den winzigen Vorsprüngen der Fensterumrandungen Halt gefunden hatten. Diesmal hatte er einfach nur Glück gehabt. Nicht einmal seine Kraft hätte gereicht, ihn auf dem rasenden Fluggerät zu halten - der einzige Grund, aus dem er nicht heruntergestürzt war, waren die irrsinnige Beschleunigung und der Fahrtwind gewesen, die ihn einfach gegen die Metallhülle des Gleiters preßten. Kyle stöhnte, schloß für Sekunden die Augen und versuchte, den Schmerz zu isolieren und aus seinem Körper herauszudrängen.

Er konnte es nicht mehr. Hilflos lag er da und spürte, wie er allmählich den Halt zu verlieren begann. Erst langsam, dann immer schneller glitt er auf dem spiegelnden Metall dahin, und dann war plötzlich nichts mehr unter ihm als vier Meter Leere und ein Boden aus rostigem Eisen, auf den er mit grausamer Wucht aufschlug. Stöhnend wälzte sich Kyle herum, krümmte sich und schlang die Arme um den Oberkörper, bis er wie ein übergroßer Fötus dalag, wimmernd und von keinem anderen Wunsch erfüllt als dem zu sterben.

Aber das durfte er nicht.

Das gleiche Etwas, das sein Bewußtsein nach Belieben ein- und ausschaltete und ihn mit diesen fürchterlichen Nicht-Erinnerungen quälte, verbot ihm auch, aufzugeben, denn da war noch etwas, was er tun mußte.

Laird.

Captain Charity Laird.

Er mußte sie finden.

Er mußte sie finden und zu Daniel bringen.

Stöhnend vor Schmerzen kroch Kyle los.

Sie hatte damit gerechnet, in eine Zelle gesteckt zu werden, doch sie wurde nicht einmal bewacht. Eine Eskorte der schwarzen Insektenkrieger begleitete Net, Skudder und Charity in eine der oberen Etagen des Shaitaan, wo sie zwar voneinander getrennt wurden, aber die Geschöpfe machten sich nicht einmal die Mühe, sie nach verborgenen Waffen zu durchsuchen, sondern stießen sie nur unsanft durch eine Tür und ließen sie allein.

Charity sah sich mit einer Mischung aus Überraschung und Zorn um. Der Raum, in dem sie sich befanden, hätte der Präsidentensuite im New Yorker Hilton zur Ehre gereicht. So konnte sie sich zum Beispiel nicht erinnern, daß in der Präsidentensuite irgendeines Luxushotels je ein Bild von Van Goghs Sonnenblumen gehangen hätte. Hier hing es. Und obwohl Charity nicht viel von Malerei verstand, war sie ziemlich sicher, daß es sich um das Original handelte. Und es war längst nicht das einzige Bild, das an den mit Seidentapeten bedeckten Wänden hing.

»Gefällt es Ihnen?«

Betont langsam drehte sich Charity herum. Sie hatte nicht einmal gehört, daß die Tür aufgegangen war, aber Stone stand nur ein paar Schritte hinter ihr. Er war allein und offenbar unbewaffnet.

»Ich weiß, was Sie denken, Captain Laird«, sagte Daniel. »Versuchen Sie es nicht. Ich weiß, daß Sie mir körperlich überlegen sind. Und wahrscheinlich wären Sie im Moment zornig genug, mich umzubringen, selbst wenn das ihren eigenen Tod bedeutet. Aber ich trage etwas Ähnliches wie Sie.« Er deutete auf die zerfetzte dunkelblaue Space-Force-Uniform, die wieder zum Vorschein gekommen war, als Charity das Zeremoniengewand ablegte, und die flache silberne Gürtelschnalle, in der sich der Schildgenerator verbarg. »Nur meines funktioniert sehr viel besser. Sie würden sich sehr weh tun, wenn Sie mich auch nur anrühren.«

Er wartete ein paar Sekunden lang vergeblich auf eine Antwort, dann zuckte er mit den Achseln und deutete auf das Bild hinter Charity. »Gefällt Ihnen meine kleine Sammlung?« fragte er noch einmal.

»Ich verstehe nichts von Kunst«, antwortete Charity. »Aber trotzdem - mein Kompliment. Zumindest als Plünderer sind Sie ein As, Stone.«

»Das sehe ich anders«, antwortete Daniel ungerührt. »Hätte ich diese Kunstschätze nicht ... geplündert, wie Sie es ausdrücken, dann wären sie jetzt vermutlich schon vernichtet. Vielleicht hätte sie irgend jemand verbrannt, um ein Kaninchen darüber zu schmoren.«

»Oh, ich verstehe«, sagte Charity zynisch. »Bitte entschuldigen Sie, daß ich mich so in Ihnen getäuscht habe, Lieutenant. Das ist dann wohl auch der Grund, aus dem sie unsere Welt an diese ... Monster verkauft haben?«

Daniel seufzte. Einen Moment lang sah er fast traurig aus, dann wandte er sich wortlos um und ging zu einem kleinen Schränkchen neben der Tür. Als er zurückkam, hielt er zwei Champagnergläser in der Hand. Charity hatte plötzlich Lust, das Glas zu nehmen und ihm seinen Inhalt ins Gesicht zu schütten, aber sie begriff auch fast im gleichen Moment, daß es genau diese Reaktion war, die Daniel von ihr erwartete. Eine Sekunde lang zögerte sie noch, dann griff sie nach dem Glas und nippte vorsichtig an seinem Inhalt.

»Es ist nicht vergiftet«, sagte Daniel spöttisch. »Einen solchen Tropfen zu vergiften wäre Gotteslästerung.«

Charity starrte ihn an. Sie war verwirrt. Seit zwei Wochen hatte sie fast unentwegt an Stone gedacht und an die verschiedensten Möglichkeiten, ihm den Hals umzudrehen. Aber jetzt, als sie ihm gegenüberstand, fühlte sie sich hilflos. Er war völlig anders, als sie geglaubt hatte. Statt des großen Tyrannen, als den ihn Skudder und Kent und alle anderen gesehen hatten, sah sie noch immer den jungen Soldaten, einen Mann mit einem Kindergesicht, schmalen, fast weiblichen Händen und Augen, die an die eines verstörten Rehs erinnerten.

Und doch war es der gleiche Mann, der Skudder in ihrem Beisein den Befehl erteilt hatte, vierhundert Menschen umzubringen.

Stone schien genau zu spüren, was in ihr vorging, denn er gab ihr ausreichend Zeit, ihn in aller Ruhe zu mustern. »Zufrieden mit dem, was Sie sehen?« fragte er schließlich.

»Nein«, gestand Charity. »Ich bin ein bißchen ... verwirrt.«

»Verwirrt?« Daniel lachte, stellte sein Glas auf einen Tisch, setzte sich auf seine Kante und ließ die Beine baumeln. Er sah jetzt vollends aus wie ein großer Junge, der in ein schwarzes Kostüm geschlüpft war und Darth Vader spielte, dachte Charity.

»Was haben Sie erwartet?« fragte er. »Ein Monster?«

»Sind Sie das denn nicht?«

Wenn ihn diese Frage verletzte, dann überspielte er es meisterhaft. Sein Lächeln wurde eher noch breiter. »Ich hoffe nicht, daß Sie mich so sehen, Captain Laird ... Charity. Darf ich Charity zu Ihnen sagen?«

»Kann ich Sie daran hindern?«

»Kaum«, gestand Daniel lächelnd. »Wissen Sie, daß ich sehr froh bin, daß wir uns so gegenüberstehen?«

»So?« sagte Charity. »Ich nicht.«

»Ich meine es ernst«, fuhr Daniel fort. »Ich wollte nicht, daß Sie verletzt oder gar getötet werden.«

»Wie großzügig«, antwortete Charity spöttisch. Sie versuchte zu lachen, aber die unvorsichtige Bewegung ließ einen stechenden Schmerz durch ihre Brust schießen. In ihrem Mund war plötzlich wieder bitterer Blutgeschmack. Sie verzog das Gesicht, krümmte sich ein wenig und preßte die Hände gegen die Seite.