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Schließlich war es Hagen, der das Schweigen brach. Er konnte seinen Verdacht nicht mehr für sich behalten. Stolz hin oder her, es war besser, darüber zu reden.

»Hört mal«, begann er vorsichtig. »Ich habe das Gefühl, dass uns jemand beobachtet.«

Siggi und Gunhild sahen Hagen an, ohne im Laufen einzuhalten. Dann blickten sie sich automatisch um, konnten aber nichts entdecken - was nichts heißen wollte, denn die Bäume verschwammen im Nebel, und dunkler wurde es auch. Das Zwielicht konnte den Augen leicht einen Streich spielen.

Irgendwo knackte ein Ast.

»Was - was war das?«, fragte Siggi, und er bemühte sich nicht einmal, seine Stimme furchtlos und unerschrocken klingen zu lassen. »Da war doch ein Geräusch.«

Ein Blitz leuchtete für einen Moment durch die Baumkronen und tauchte den Wald und das dichte Unterholz in ein unwirkliches Licht. Augenblicke später grollte der Donner, schon bedeutend näher als zuletzt.

»Ich glaube, da ist jemand, der uns verfolgt«, sagte Hagen noch mal. Auch seine Stimme hatte an Festigkeit verloren. »Ich spüre es schon die ganze Zeit, seit wir den Rastplatz verlassen haben. Da ist einer hinter uns.«

»Ach was«, sagte Gunhild. Wenigstens sie versuchte noch, sich nicht einschüchtern zu lassen. »Die Typen, die unsere Räder demoliert haben, würden uns doch nicht nachschleichen. So wie die sich aufgeführt haben, hätten wir es gleich mit denen zu tun gekriegt.«

»Aber das Geräusch ...?«, wagte Siggi einzuwerfen.

»Das war bestimmt ein Tier«, entgegnete Gunhild, wobei sie keineswegs selbst überzeugt war von dem, was sie als Begründung anbot. Sie erinnerte sich plötzlich an den Donnerschlag am Brunnen; auch der war nicht zu erklären gewesen ...

»Aber ich bin mir sicher«, sagte Hagen. »Da ist wer.«

»Solange er uns nur beobachtet, geht es noch. Außerdem sind wir zu dritt«, entgegnete Gunhild.

Das Mädchen entdeckte einen Stock am Wegrand und nahm ihn auf. Es war ein abgebrochener Ast einer Eiche.

»Sucht euch auch einen Knüppel«, sagte sie. »Den könnt ihr auch als Wanderstab benutzen.«

Die Jungen sahen sich um, und sie fanden auch jeweils einen massiven Stock, den sie als Waffe einsetzen konnten.

»Weiter jetzt«, kommandierte Gunhild. »Das Gewitter rückt näher.«

Als ob der Himmel ihre Worte bestätigen wollte, zuckte wieder ein Blitz über den Himmel, unmittelbar gefolgt von einem Donnerschlag.

Sie rannten weiter. Der Weg schien sich ewig lang hinzuziehen. Der immer dichter werdende Nebel, die einsetzende Dunkelheit und der düstere Wald schienen Hagen jede Orientierung unmöglich zu machen. Er sah sich immer wieder um; denn es war, als bohrten sich Blicke in seinen Nacken.

»Wisst ihr noch, wo es lang geht?«, fragte er besorgt.

»Na klar«, entgegnete Gunhild. »Wir müssen diesen Weg noch ein Stück folgen, dann kommt eine Abzweigung; auf der geht es dann weiter nach unten.«

Siggi war sich nicht so sicher. Der Waldgasthof war ein Ziel für Wanderer und Touristen. In diesen Teil des Waldes kamen Gunhild und er selten, und innerlich verfluchte er sich dafür, den Vorschlag mit dem Gasthof gemacht zu haben. Aber alles Gejammer half nun nicht mehr. Sie mussten sich auf Gunhilds Orientierungssinn verlassen.

Auch Gunhild war sich längst nicht mehr sicher, ob sie auf dem richtigen Weg waren. Alles war so verzerrt, und es wurde immer nebeliger und gespenstischer, und wenn nicht ein Blitz Licht spendete, war die ganze Welt in ein ungewisses Dämmerlicht gehüllt, das ihr mehr zu schaffen machte, als sie zugeben wollte.

»Weiter geht's, Jungs«, munterte sie ihre beiden Gefährten auf. »Wir können noch trocken zum Gasthof kommen. Es scheint, das Gewitter bleibt an einem der Berge hängen.«

Gunhild hatte richtig beobachtet. Blitz und Donner kam nicht näher. Auch der Regen hatte noch nicht eingesetzt. Nur der Nebel wurde immer noch stärker.

Sie packten ihre Stöcke, die im Moment als Wanderstäbe dienten, fester und hasteten weiter den Weg entlang.

Dann stießen sie auf eine Abzweigung und blieben stehen. Nach rechts führte ein weniger gut ausgebauter, schmaler Weg. Das Unterholz und die Bäume reichten bis an die Ränder des Weges; die Baumkronen bildeten quasi ein Dach, sodass kaum Licht auf den Boden fiel. Siggi fiel gleich der Vergleich mit einem Tunnel ein.

Am Wegweiser hingen die leeren Haken. Kein Schild zeigte die Richtung an. Gunhild blieb stehen und versuchte, sich daran zu erinnern, ob der Weg sie zum Waldgasthof brachte oder in eine andere Richtung führte.

»Ist das der Weg, den wir gehen müssen?«, fragte Hagen.

»Sieht unheimlich aus. Ich glaub' nicht, dass das der richtige ist«, mischte sich Siggi ein. »Ich glaube, wir müssen noch weiter und dann nach rechts.«

Gunhild antwortete nicht sofort. Sie versuchte, sich zu erinnern. Eine innere Stimme sagte ihr, dass dies der Weg war, dem sie folgen mussten. Aber sie war sich nicht sicher.

»Wohin also?«, fragte Hagen drängend.

Gunhild sah ihn an. Das Licht eines Blitzes erhellte sein Gesicht, und Gunhild erschrak. Sie meinte, in eine verzerrte Fratze zu blicken. Aber so schnell der Eindruck gekommen war, so schnell verschwand er auch wieder. Es war wohl doch nur das Licht; denn als der Schein verblasst war, sah Hagens Gesicht so aus wie immer.

»Rechts. Ich bin mir sicher, Vati hat gesagt, das wäre eine Abkürzung«, sagte sie und versuchte dabei ihre Stimme bestimmt und klar klingen zu lassen. Doch Siggi kannte seine Schwester gut genug, um die Zweifel darin zu hören. Er sagte aber nichts, da er selbst nicht weiter wusste.

»Na dann, auf geht's«, ließ sich Hagen vernehmen, der von Gunhilds Unsicherheit nichts bemerkt zu haben schien.

Die drei Kinder bogen in den schmalen Weg ein, auf dem Gräser wuchsen und der offensichtlich selten benutzt wurde. Immerhin war der Nebel auf diesen Pfad dünner; denn die Bäume hielten ihn zurück. Dafür war es hier dunkler, da die Baumkronen das spärliche Licht noch weiter dämpften. Es war fast wie in einer Vollmondnacht, wie Gunhild bei sich dachte. Das Licht war ungewiss, und die Schattenspiele von Ästen, Zweigen und Unterholz waren verwirrend; sie vermied den Begriff Angst.

Der Weg führte leicht bergab, stellte Siggi fest, und er wusste, dass der Waldgasthof weiter unten lag, also konnte der Pfad nicht völlig verkehrt sein. Und immerhin, er war von Menschen angelegt, und Hinweisschilder hatte es hier auch gegeben. Den Blick fest auf den Boden gerichtet, achtete Siggi nur darauf, wo er hinlief. So musste er sich nicht die Spiele des Zwielichts ansehen, und seine Augen konnten ihm keine Dinge vorgaukeln, die es in Wahrheit nicht gab, die einfach nur eine optische Täuschung waren, auf die er reinfiel. Langsam und schleichend kehrte die Furcht zurück; der Knüppel in seiner Hand gab ihm nur scheinbare Sicherheit.

Sie waren ein Stück weit gegangen, als sie eine Kreuzung erreichten. Ein noch schmalerer Pfad lief parallel zu dem oberen Weg, den sie soeben verlassen hatten.

»Da ist ein Hinweisschild«, sagte Hagen, und alle drei gingen darauf zu.

Es war ein altes verwittertes Schild, das kaum noch zu entziffern war. Offenbar gehörten diese Pfade gar nicht mehr zum Netz der offiziellen Wanderwege, sondern in das Projekt, den Wald wieder naturnäher zu gestalten.

»Was steht drauf?«, fragte Siggi.

» ›Odenhausen 9 Kilometer‹ «, begann Gunhild laut zu lesen. » ›Waldgasthaus Lindenhof 4 Kilometer‹. Also müssen wir weiter nach unten. Dann sind wir bald da.«

Gunhild hatte wieder an Sicherheit gewonnen. Sie schritt geradeaus. Ihre Zweifel waren verflogen; nun hatte sie wenigstens einen Hinweis, wo es lang ging. Die Jungen folgten ihr nach.

Ein Blitz drang mit fahlem Leuchten durch das Blätterdach, und der darauf folgende Donner klang wieder ein Stück näher. Gunhild konnte das nicht mehr erschrecken. Sie mochten noch ein wenig nass werden, aber verlaufen würden sie sich nicht. Außerdem, sagte sich Gunhild, hatten sie eine prima Ausrede für ihre Verspätung. Die Trümmer der Räder oben am Rastplatz sprachen für sich.