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Padishar Creel trat zu ihm. Ein riesiger Verband zierte seinen Kopf, und sein Arm war geschient. »Nun, mein Junge, wie geht’s?« fragte er.

Morgan nickte, schloß die Augen und öffnete sie wieder.

»Wir verlassen diesen Ort jetzt«, sagte Padishar Creel. »Daß wir es können, verdanken wir dir. Und Steff. Chandos hat mir alles erzählt. Er war sehr mutig, der Zwerg.« Er wandte sich ab. »Tja, der Zeigefinger ist verloren, aber das ist ein kleiner Preis für unser Leben.«

Morgan stellte fest, daß er keine Lust hatte, sich über den Preis des Lebens zu unterhalten. »Hilf mir auf, Padishar«, bat er. »Ich möchte diesen Ort auf meinen eigenen Füßen verlassen.«

Der Anführer der Geächteten lächelte. »Wollen wir das nicht alle, mein Junge?« fragte er. Dann streckte er seinen gesunden Arm aus und half Morgan in die Höhe.

32

Die Welt, in der sich Par und Coll Ohmsford befanden, war eine Welt der Alpträume. Die Stille war angespannt und endlos, eine gähnende Leere. Kein Laut, kein Vogelgezwitscher und kein Summen von Insekten, kein Plätschern oder Kratzen, nicht einmal das Rascheln des Windes in den Bäumen kündete von Leben. Die Bäume erhoben sich in den Himmel gleich steinernen Statuen.

Natürlich war auch der Nebel da. Der Nebel war zuerst, zuletzt und immer da, eine tiefe und allgegenwärtige graue See. Träge hing er in der Luft, unbeweglich bedeckte er Bäume und Sträucher; er glich einem Schleier, durch die das Licht und die Wärme der Sonne nicht durchdringen konnte. Er berührte die Haut mit einer kalten, feuchten Beharrlichkeit, die von toten Dingen kündete.

Par und Coll bewegten sich langsam, vorsichtig durch ihren Wachtraum, während sie gegen das Gefühl ankämpften, körperlose Wesen zu sein. Ihre Augen glitten von Schatten zu Schatten, suchten nach Spuren von Bewegung und fanden nur Bewegungslosigkeit. Die Welt, die sie betreten hatten, schien ohne Leben, als wären die Schattenwesen, die sie dort wußten, nicht vorhanden, sondern einfach eine Lüge ihres Traums, die sie mit ihren Sinnen nicht begreifen konnten.

Sie begaben sich schnell zu den Trümmern der Sendic-Brücke. Lautlos schritten sie durch das hohe Gras und über die feuchte Erde. Par warf einen Blick zu der Tür zurück, durch die sie gekommen waren. Sie war nirgendwo zu sehen.

In wenigen Sekunden war all das, was vom Palast der Könige von Tyrsis übriggeblieben war, ebenfalls verschwunden.

Als ob es nie da gewesen wäre, dachte Par düster. Ihm war kalt, aber auch wieder heiß. Den Gefühlen, die in seinem Inneren tobten, konnte er weder Beachtung schenken noch ihrer Herr werden; sie schrien mit Stimmen, die verwirrt klangen, jede verzweifelt darum bemüht, sich Gehör zu verschaffen. Er spürte, wie sein Herz in der Brust hämmerte, und fühlte das nahe Bevorstehen seines Todes bei jedem Schritt, den er tat. Er wünschte, er wäre in der Lage, die Magie kurz zu beschwören, um die Gewißheit zu haben, daß er ein gewisses Maß an Macht besaß, um sich zu verteidigen. Aber die Anwendung der Magie würde die Wesen, die in der Schlucht lebten, warnen, und er wollte glauben, daß dies bisher noch nicht geschehen war.

Coll berührte seinen Arm und deutete auf eine Stelle, wo sich eine Spalte vor ihnen auftat. Sie mußten sie umgehen. Par nickte und ging voran. Colls Anwesenheit gab ihm ein Gefühl der Sicherheit, so als könne seine bloße Gegenwart das Böse, das sie bedrohte, von ihnen abhalten. Seine Freude darüber, daß sein Bruder ihn begleitete, ließ sich nicht mit Worten beschreiben. Colls Mut in dieser Situation war zu einem großen Teil Quelle seines eigenen.

Sie umgingen die Falle und arbeiteten sich wieder zu den Trümmern der Brücke zurück. Alles um sie herum war unverändert, still und bewegungslos, bar allen Lebens.

Aber dann schimmerte etwas dunkel im vor ihnen lie- genden Nebel, eckige Umrisse, die sich aus den Trümmern erhoben.

Hastig eilten sie darauf zu, Par voraus, Coll nur einen Schritt hinter ihm. Steinerne Wände kamen plötzlich in Sicht. Pflanzen rankten sich daran hoch und über das schräge Dach. Der Kuppelbau war größer, als Par ihn sich vorgestellt hatte, gute fünfzehn Meter im Durchmesser und mindestens sechs Meter hoch. Er erinnerte an eine Krypta.

Die Talbewohner bogen vorsichtig um die Ecke. Sie stießen auf in den Stein gehauene Zeilen, uralt und durch Zeit und Wetter fast zerstört, so daß viele Worte fast schon unsichtbar waren. Atemlos hielten sie an und lasen: »Hier liegt Herz und Seele der Nationen, ihr Recht, freie Menschen zu sein, ihr Wunsch, in Frieden zu leben, ihr Mut, die Wahrheit zu suchen. Hier liegt das Schwert von Shannara.«

Dahinter war eine riesige Steintür, die nur angelehnt war. Die Brüder sahen einander an, bevor sie sich in Bewegung setzten. Als sie die Tür erreichten, spähten sie hinein. Sie erblickten eine Art Korridor, der in der Dunkelheit verschwand.

Par runzelte die Stirn. Er hatte nicht damit gerechnet, daß der Kuppelbau eine ganze Anlage war; er hatte geglaubt, nichts weiter als einen einzigen Raum vorzufinden, in dessen Mitte sich das Schwert von Shannara befand. Doch das, was er sah, ließ etwas anderes vermuten.

Er blickte Coll an. Sein Bruder war offensichtlich bestürzt; besorgt sah er sich um, ließ seinen Blick zuerst zum Eingang, dann zum dunklen Wald, der sie umgab, gleiten. Coll streckte die Hand aus und zog an der Tür. Sie ließ sich ohne große Mühe öffnen.

»Das sieht nach einer Falle aus«, flüsterte Coll so leise, daß Par ihn kaum hören konnte.

Par hatte soeben das Gleiche gedacht. Eine Tür zu einem Kuppelbau, der dreihundert Jahre alt war und der der Witterung in der Schlucht ausgesetzt war, hätte sich nicht so leicht öffnen lassen sollen. Es würde ein Leichtes sein, die Tür, sobald sie drinnen waren, von draußen zu verriegeln.

Und trotzdem wußte er, daß er hineingehen würde. Er hatte sich bereits dazu entschlossen. Er hatte zu viel auf sich genommen, als daß er jetzt umgekehrt wäre. Er zog die Augenbrauen in die Höhe und sah Coll fragend an. Was schlug Coll vor?

Coll sah, daß Par entschlossen war weiterzugehen, daß ihn das Risiko nicht abschreckte. »Also gut. Du suchst nach dem Schwert, ich halte hier draußen Wache. Aber beeil dich!«

Par nickte, lächelte und griff nach der Hand seines Bruders.

Dann war er auch schon drinnen und eilte schnell durch den Gang der Dunkelheit entgegen. Er wagte sich so weit vor, wie es angesichts des schwachen Lichts, das ihm von draußen den Weg wies, möglich war, aber bald umgab ihn nichts als Finsternis. Seine Hände tasteten an den Wänden entlang auf der Suche nach dem Ende des Korridors, aber er fand es nicht. Ihm fiel ein, daß er immer noch den Stein, den Damson Rhee ihm gegeben hatte, bei sich trug. Er griff in seine Tasche, nahm ihn heraus, umschloß ihn einen Augenblick mit den Händen, um ihn zu wärmen, und hielt ihn dann vor sich. Silbriges Licht durchflutete die Dunkelheit.

Er folgte dem Korridor, stieg eine Treppe hinunter und betrat einen zweiten Korridor. Der Weg schien länger, als er dies für möglich gehalten hätte, und zum erstenmal beschlich ihn ein Gefühl der Beunruhigung. Er befand sich längst nicht mehr im Kuppelbau, sondern tief darunter.

Dann hörte der Korridor auf. Er betrat einen Raum mit einer gewölbten Decke und Wänden mit Bildern und Runen. In der Mitte erblickte er mit der Klinge nach unten in einem Block aus rotem Marmor das Schwert von Shannara.

Er blinzelte, um sicherzugehen, daß er sich nicht täuschte, und trat dann darauf zu. Die Klinge war glatt und ohne Beschädigung, ein makelloses Stück Schmiedekunst. Den Griff zierte das Bild einer Hand, die eine Fackel gen Himmel hob. Der Talisman funkelte bläulich in dem weichen Licht.

Par spürte, wie sich seine Kehle verengte. Es war tatsächlich das Schwert.

Eine plötzliche Erregung bemächtigte sich seiner. Er konnte sich kaum enthalten, nach Coll zu rufen, seine Gefühle laut hinauszuschreien. Eine Welle der Erleichterung ging durch ihn hindurch. Nur aus einer Vorahnung hatte er alles gewagt – und diese Vorahnung hatte ihn nicht getrogen. Himmel, sie hatte ihn von Anfang an geleitet! Das Schwert von Shannara hatte sich wirklich in der Grube befunden, war lediglich verborgen gewesen durch die Bäume und das Gestrüpp, durch den Nebel und die Nacht, durch die Schattenwesen!