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Da sagte die kleine Hexe: „Dein Bruder Kräx braucht sich nicht zu fürchten. Fliege zurück und bestelle ihm einen Gruß von mir. Wenn die Jungen zu ihm auf die Ulme steigen, dann soll er hierher eilen und es mir sagen. Ich werde ihm diese Tunichtgute vom Leib schaffen!"

„Willst du das wirklich tun?" rief Abraxas. „Du bist eine gute Hexe, da sieht man's wieder! Die Oberhexe wird an dir Freude haben! Ich fliege sofort zu Kräxens und richte es ihnen aus!"

Es vergingen nun einige Tage, ohne daß etwas geschah, und die kleine Hexe dachte schon längst nicht mehr an die beiden Nesträuber. Aber eines Nachmittags gegen Ende der Woche kam Bruder Kräx atemlos angeflattert.

„Sie sind da, sie sind da!" krächzte er schon von weitem. „Komm schnell, kleine Hexe, bevor es zu spät ist!"

Die kleine Hexe war eben dabeigewesen, Kaffee zu mahlen. Sie stellte nun gleich die Kaffeemühle auf den Küchentisch, rannte nach ihrem Besen und sauste mit Windeseile zum Entenweiher. Die Brüder Kräx und Abraxas vermochten ihr kaum zu folgen, so schnell ging das über den Wald hin.

Die beiden Jungen waren inzwischen schon hoch auf der alten Ulme. Sie konnten das Rabennest fast erreichen. Die Kräxin hockte auf ihren Eiern und zeterte.

„Heda, ihr zwei!" rief die kleine Hexe. „Was macht ihr da? Kommt herunter!"

Die beiden erschraken. Dann sahen sie aber, daß nur ein altes Weiblein nach ihnen gerufen hatte. Da steckte der eine Bengel der kleinen Hexe die Zunge heraus, und der andere drehte ihr eine lange Nase.

„Ich sage euch, kommt herunter!" drohte die kleine Hexe, „sonst setzt's was!"

Die Jungen lachten sie aber nur aus, und der eine entgegnete frech: „Komm doch 'rauf, wenn du kannst! Wir bleiben hier oben sitzen, solange wir Lust haben. Bäh!"

„Also gut!" rief die kleine Hexe, „von mir aus bleibt oben!"

Sie hexte die beiden Nesträuber fest. Da konnten sie weder vorwärts noch rückwärts klettern. Sie

blieben dort kleben, wo sie gerade saßen, als wären sie angewachsen.

Nun fielen Abraxas und das Ehepaar Kräx mit den Schnäbeln und Krallen über die beiden her. Sie zwickten und hackten und kratzten sie, daß an den Jungen kein heiler Fleck blieb. Da fingen die Eierdiebe in ihrer Verzweiflung zu schreien an; und sie schrien so laut und erbärmlich um Hilfe, daß auf den Lärm hin das halbe Dorf an dem Entenweiher zusammenlief.

„Um Himmels willen, was gibt es denn?" fragten die Leute erschrocken. — „Ach, seht mal, das ist ja der Schneider-Fritz und der Schuster-Sepp! Wollten die etwa das Rabennest ausnehmen? Na, das geschieht ihnen recht! Wohl bekomm's ihnen! Warum müssen sie auch auf die Bäume steigen und Eier stehlen?"

Kein Mensch hatte Mitleid mit ihnen. Den Leuten erschien es nur sonderbar, daß der Fritz und der Sepp nicht Reißaus nahmen. Selbst als die Raben endlich von ihnen abließen, blieben sie oben hocken.

„So kommt doch herunter, ihr beiden Helden!" riefen die Leute.

„Wir können nicht!" jammerte Schusters Sepp, und der Schneider-Fritz heulte: „Hu-huuuh, wir sind

festgewachsen! Es geht nicht!"

Das Ende vom Liede war, daß die Feuerwehr ausrücken mußte. Die Feuerwehrleute legten die große Leiter an und holten die beiden Tröpfe herunter. Das glückte der Feuerwehr freilich nur, weil die kleine Hexe den Fritz und den Sepp gerade im rechten Augenblick wieder losgehext hatte.

Vor dem Hexenrat

Das Hexenjahr neigte sich langsam dem Ende zu, die Walpurgisnacht rückte näher und näher. Jetzt wurde es Ernst für die kleine Hexe. Sie wiederholte in diesen Tagen gewissenhaft alles, was sie gelernt hatte. Noch einmal ging sie das Hexenbuch Seite für Seite durch. Es klappte mit ihrer Hexerei wie am Schnürchen.

Drei Tage vor der Walpurgisnacht kam die Muhme Rumpumpel geritten. Sie stieg aus der schwarzen Wolke und sagte: „Ich komme im Auftrag der Oberhexe und lade dich vor den Hexenrat, übermorgen um Mitternacht ist die Prüfung. Dann sollst du am Kreuzweg hinter dem roten Stein in der Heide sein. — Du brauchst aber, wenn du es dir überlegt haben solltest, auch nicht zu kommen..."

„Da gibt es doch gar nichts zu überlegen!" sagte die kleine Hexe.

„Wer weiß?" entgegnete achselzuckend die Hexe Rumpumpel. „Vielleicht ist es trotzdem klüger, wenn du daheim bleibst. Ich werde dich gern bei der Oberhexe entschuldigen."

„So?" rief die kleine Hexe. „Das glaube ich! Aber ich bin nicht so dumm, wie du meinst! Ich lasse mir keine Angst machen!"

„Wem nicht zu raten ist", sagte die Muhme Rumpumpel, „dem ist auch nicht zu helfen. Dann also bis übermorgen!" —

Der Rabe Abraxas hätte die kleine Hexe am liebsten auch diesmal begleitet. Aber er hatte im Hexenrat nichts verloren. Er mußte zu Hause bleiben und wünschte der kleinen Hexe, als sie sich auf den Weg machte, alles Gute.

„Laß dich nicht einschüchtern!" rief er beim Abschied. „Du bist eine gute Hexe geworden, und das ist die Hauptsache!"

Schlag zwölf kam die kleine Hexe am Kreuzweg hinter dem roten Stein in der Heide an. Der Hexenrat war schon versammelt. Außer der Oberhexe gehörten dazu eine Wind-, eine Wald-, eine Nebelhexe und auch von den anderen Hexenarten je eine. Die Wetterhexen hatten die Muhme Rumpumpel geschickt. Das konnte der kleinen Hexe nur recht sein. Sie war ihrer Sache sicher und sagte sich: Die wird platzen vor Ärger, wenn ich die Prüfung bestehe und morgen mit auf den Blocksberg darf!

„Fangen wir an!" rief die Oberhexe, „und prüfen wir, was die kleine Hexe gelernt hat!"

Nun stellten die Hexen der Reihe nach ihre Aufgaben: Windmachen, Donnemlassen, den roten Stein in der Heide weghexen, Hagel und Regen heraufbeschwören — es waren keine besonders schwierigen Dinge. Die kleine Hexe geriet nicht ein einziges Mal in Verlegenheit. Auch als die Muhme Rumpumpel von ihr verlangte: „Hexe das, was auf Seite drei

hundertvierundzwanzig im Hexenbuch steht!", war die kleine Hexe sofort im Bild. Sie kannte das Hexenbuch in- und auswendig.

„Bitte sehr!" sagte sie ruhig und hexte das, was auf Seite dreihundertvierundzwanzig im Hexenbuch steht: ein Gewitter mit Kugelblitz.

„Das genügt!" rief die Oberhexe. „Du hast uns gezeigt, daß du hexen kannst. Ich erlaube dir also, obwohl du noch reichlich jung bist, in Zukunft auf der Walpurgisnacht mitzutanzen. — Oder ist jemand im Hexenrat anderer Meinung?"

Die Hexen stimmten ihr zu. Nur die Muhme Rumpumpel entgegnete: „Ich!"

„Was hast du dagegen einzuwenden?" fragte die Oberhexe. „Bist du mit ihrer Hexenkunst etwa unzufrieden?"

„Das nicht", versetzte die Muhme Rumpumpel. „Sie ist aber trotzdem, wie ich beweisen kann, eine schlechte Hexe!" Sie kramte aus ihrer Schürzentasche ein Heft hervor. „Ich habe sie während des ganzen Jahres heimlich beobachtet. Was sie getrieben hat, habe ich aufgeschrieben. Ich werde es vorlesen."