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Warum dieses irrationale Verhalten? Menschen streben danach, konsistent zu erscheinen. Mit Konsistenz signalisieren wir Glaubwürdigkeit. Widersprüche sind uns ein Gräuel. Entscheiden wir, ein Projekt in der Mitte abzubrechen, generieren wir einen Widerspruch: Wir geben zu, früher anders gedacht zu haben als heute. Ein sinnloses Projekt weiterführen zögert diese schmerzliche Realisierung hinaus. Wir erscheinen dann länger konsistent.

Die Concorde war das Paradebeispiel eines staatlichen Defizitprojektes. Selbst als die beiden Partner England und Frankreich schon lange eingesehen hatten, dass sich der Betrieb des Überschallflugzeuges nie rechnen würde, haben sie weiterhin Unsummen investiert – bloß um das nationale Gesicht zu wahren. Aufgeben wäre einer Kapitulation gleichgekommen. Die Sunk Cost Fallacy wird darum oft auch als Concorde-Effekt bezeichnet. Sie führt nicht nur zu kostspieligen, sondern geradezu verheerenden Entscheidungsfehlern. Der Vietnamkrieg wurde genau mit der Begründung verlängert: »Wir haben das Leben so vieler Soldaten für diesen Krieg geopfert, es wäre ein Fehler, jetzt aufzugeben.«

»Jetzt sind wir schon so weit gefahren ... « »Ich habe schon so viele Seiten in diesem Buch gelesen … « »Nun habe ich schon zwei Jahre in diese Ausbildung gesteckt … « Anhand solcher Sätze erkennen Sie, dass die Sunk Cost Fallacy in einer Ecke Ihres Gehirns bereits die Zähne fletscht.

Es gibt viele gute Gründe, weiter zu investieren, um etwas zum Abschluss zu bringen. Aber es gibt einen schlechten Grund: das bereits Investierte zu berücksichtigen. Rational entscheiden bedeutet, dass Sie die aufgelaufenen Kosten ignorieren. Egal, was Sie bereits investiert haben, es zählt einzig das Jetzt und Ihre Einschätzung der Zukunft.

DIE REZIPROZITÄT

Warum Sie sich keinen Drink spendieren lassen sollten

Vor einigen Jahrzehnten – die Hippie-Kultur stand in voller Blüte – traf man auf Bahnhöfen und Flughäfen die in rosa Gewändern umherschlurfenden Jünger der Krishna-Sekte an. Sie schenkten jedem vorbeieilenden Passanten eine kleine Blume. Die Jünger sagten nicht viel, ein Grußwort, ein Lächeln, und das war’s. Auch wenn ein Geschäftsmann nicht viel Nutzen in einer kleinen Blume sah, so nahm er sie doch an – man wollte ja nicht unhöflich sein. Lehnte man das Geschenk ab, so hörte man ein sanftes »Nehmen Sie’s, das ist unser Geschenk an Sie«.

Wer die Blume in der nächsten Seitenstraße in den Mülleimer warf, stellte fest, dass da schon einige lagen. Das war aber noch nicht das Ende. Während das schlechte Gewissen laborierte, wurde man von einem Krishna-Jünger angesprochen, der um eine Spende bat. In vielen Fällen mit Erfolg. Diese Art der Spendensammlung war derart ergiebig, dass viele Flughäfen die Sekte auf ihrem Gelände verboten. Der Wissenschaftler Robert Cialdini hat das Phänomen der Reziprozität genauer untersucht und festgestellt, dass der Mensch es kaum aushält, in der Schuld zu stehen.

Vor einigen Jahren wurden meine Frau und ich von einem Ehepaar zum Dinner eingeladen. Wir kannten diese Leute seit geraumer Zeit, sie waren nett, aber alles andere als inspirierend. Es fiel uns keine gute Ausrede ein, und so sagten wir zu. Es kam, wie es kommen musste: Der Abend bei ihnen zu Hause war langweilig. Trotzdem fühlten wir uns verpflichtet, sie einige Monate später ebenfalls zu uns nach Hause einzuladen. Der Zwang zur Reziprozität hatte uns zwei öde Abende beschert. Ihnen aber offenbar nicht, denn prompt kam einige Wochen später wieder eine Folgeeinladung. Ich kann mir gut vorstellen, dass Leute sich über Jahre aus reiner Reziprozität periodisch treffen, auch wenn sie schon lange am liebsten aus diesem Teufelskreis ausgestiegen wären.

Viele NGOs sammeln nach dem Krishna-Muster – zuerst schenken, dann fordern. Letzte Woche bekam ich von einer Naturschutzorganisation ein Kuvert voller edler Postkarten mit allerlei idyllischen Landschaften geschenkt. Auf dem Begleitbrief hieß es, die Postkarten seien ein Geschenk an mich. Unabhängig, ob ich etwas spende oder nicht, dürfe ich sie behalten. Natürlich bedurfte es einer gewissen Anstrengung und Kaltblütigkeit, sie in den Mülleimer zu schmeißen. Diese sanfte Erpressung, man könnte sie auch Korruption nennen, ist in der Wirtschaft weitverbreitet. Ein Lieferant von Schrauben lädt einen potenziellen Kunden zu einem Champions-League-Spiel ein. Einen Monat später ist es an der Zeit, Schrauben zu bestellen. Der Wunsch, nicht in der Schuld zu stehen, ist so stark, dass der Einkäufer einknickt.

Die Reziprozität ist ein uraltes Programm. Im Grunde sagt sie: »Ich helfe dir aus, du hilfst mir aus.« Wir finden Reziprozität bei all jenen Tierarten, bei denen die Nahrungsmenge hohen Schwankungen unterliegt. Angenommen, Sie sind ein Jäger und Sammler, und eines Tages haben Sie Glück und erlegen ein Reh. Das ist viel mehr, als Sie an einem Tag essen können. Kühlschränke gibt es noch nicht. Also teilen Sie das Reh mit Ihren Gruppenmitgliedern. Das gibt Ihnen die Möglichkeit, von der Beute der anderen zu profitieren, wenn Sie einmal einen Pechtag haben. Der Bauch der anderen ist Ihr Kühlschrank. Eine ausgezeichnete Überlebensstrategie. Reziprozität ist Risikomanagement. Ohne Reziprozität wäre die Menschheit – und unzählige Tierarten – schon lange ausgestorben.

Es gibt auch eine hässliche Seite der Reziprozität: die Vergeltung. Auf Rache folgt Gegenrache, und schon findet man sich in einem ausgewachsenen Krieg. Was Jesus gepredigt hat, nämlich den Teufelskreis zu unterbrechen, indem wir dem Angreifer auch die andere Wange hinhalten, fällt uns deshalb so schwer, weil die Reziprozität seit weit über 100 Millionen Jahren zu unserem soliden Überlebensprogramm gehört.

Letzthin hat mir eine Frau erklärt, warum sie sich in einer Bar keinen Drink mehr spendieren lässt: »Weil ich diese unterschwellige Verpflichtung nicht haben will, mit ihm ins Bett zu steigen.« Das ist sehr weise. Wenn Sie das nächste Mal im Supermarkt angesprochen werden, um Wein, Käse, Schinken oder Oliven zu kosten, dann wissen Sie, warum Sie besser ablehnen.

THE CONFIRMATION BIAS (TEIL 1)

Passen Sie auf, wenn das Wort »Spezialfall« fällt

Gehrer will abnehmen. Er setzt auf die XYZ-Diät. Jeden Morgen stellt er sich auf die Waage. Hat er im Vergleich zum Vortag abgenommen, erlaubt er sich ein Lächeln und schreibt das Resultat dem Erfolg der Diät zu. Hat er zugenommen, tut er es als normale Fluktuation ab und vergisst es. Monatelang lebt er in der Illusion, die XYZ-Diät funktioniere, obwohl sein Gewicht etwa konstant bleibt. Gehrer ist Opfer des Confirmation Bias – einer harmlosen Form davon.

Der Confirmation Bias ist der Vater aller Denkfehler – die Tendenz, neue Informationen so zu interpretieren, dass sie mit unseren bestehenden Theorien, Weltanschauungen und Überzeugungen kompatibel sind. Anders ausgedrückt: Neue Informationen, die im Widerspruch zu unseren bestehenden Ansichten stehen (in der Folge als Disconfirming Evidence bezeichnet, da ein passender deutscher Ausdruck fehlt), filtern wir aus. Das ist gefährlich. »Tatsachen hören nicht auf zu existieren, nur weil sie ignoriert werden«, sagte Aldous Huxley. Trotzdem tun wir genau das. Das weiß auch Superinvestor Warren Buffett: »Was die Menschen am besten können, ist, neue Informationen so zu filtern, dass bestehende Auffassungen intakt bleiben.« Gut möglich, dass Buffett gerade deshalb so erfolgreich ist, weil er sich der Gefahr des Confirmation Bias bewusst ist – und sich zwingt, anders zu denken.