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Sie sind Menschenfresser.

Das ist an sich noch nicht so schlimm. Auch Löwen und Tiger sind Menschenfresser, und obwohl wir ihnen gegenüber höchst mißtrauisch sind und sie mit ängstlichem Respekt behandeln, bewundern wir sie doch instinktiv. Wir wollen zwar nicht von ihnen gefressen werden, aber die Idee als solche verübeln wir ihnen nicht. Was vermutlich daran liegt, daß wir wie sie Säugetiere sind. Es scheint hier so etwas wie ein erzkonservatives Vorurteil gegenüber anderen Arten am Werk zu sein: ein Löwe ist einer von uns, aber eine Echse nicht. Das gleiche gilt übrigens auch für Fische und erklärt unsere wahnwitzige Angst vor Haien.

Außerdem sind die Echsen von Komodo groß. Sehr groß. Zur Zeit lebt eine auf Komodo, die fast vier Meter lang und im Stehen knapp einen Meter hoch ist, was einem unwillkürlich als völlig unpassende Größe für eine Echse erscheint, vor allem, wenn sie ein Menschenfresser ist und man beabsichtigt, sich auf derselben Insel wie sie aufzuhalten.

Obwohl sie Menschenfresser sind, fressen sie nur selten Menschen, sondern ernähren sich größtenteils von Ziegen, Schweinen, Wild und ähnlichen Tieren, die sie jedoch nur töten, wenn sie nichts bereits Totes finden, weil sie im Grunde ihres Herzens Aasfresser sind. Sie mögen ihr Fleisch am liebsten verdorben und stinkend. Wir mögen unser Fleisch am liebsten anders und neigen dazu, Viechern mit solchen Geschmacksvorstellungen nicht über den Weg zu trauen. Was diese Echsen anging, traute ich ihnen überhaupt nicht über den Weg.

Mark hatte während der vergangenen drei Jahre viel Zeit damit zugebracht, unsere bevorstehenden Expeditionen zu planen, zu recherchieren, Briefe zu schreiben, zu telefonieren und vor allem Naturforschern zu telexen, die sich in den entlegensten Teilen der Welt aufhielten, sowie Reiserouten zu erarbeiten, Empfehlungen und Karten zu beschaffen. Außerdem hatte er sämtliche Visa, Flüge, Schiffspassagen und Unterkünfte organisiert und sie zu guter Letzt noch einmal von vorn organisieren müssen, als sich herausstellte, daß ich mit meinen beiden Romanen nicht fristgerecht fertig würde.

Schließlich war auch das erledigt. Ich ließ mein Haus in der Obhut von Bauarbeitern zurück, die behaupteten, nur noch drei Wochen daran arbeiten zu müssen, und machte mich auf den Weg, meine letzte Verpflichtung zu erfüllen – eine Lesereise durch Australien. Wenn Leute sich über Talkshows im Rundfunk oder Fernsehen beschweren, bei denen sich Autoren über ihr neuestes Werk verbreiten, kann ich das sehr gut nachfühlen. Andererseits schaffen uns solche Auftritte außer Haus und bewahren unsere Familien davor, sich das Gelaber über unser neuestes Werk anhören zu müssen.

Nachdem auch das überstanden war, konnten wir uns endlich auf die Suche nach den Riesenechsen machen.

Wir trafen uns in einem Hotelzimmer in Melbourne und inspizierten die Ausrüstung für unsere Expedition. »Wir«, das waren Mark, ich und Gaynor Shutte, eine Rundfunkjournalistin, die unsere Großtaten für die BBC mitschneiden wollte. Unsere Ausrüstung bestand aus einem gewaltigen Haufen von Kameras, Kassettenrecordern, Zelten, Schlafsäcken, Notapotheken, Moskitonetzen, unidentifizierbaren Gegenständen aus Zeltstoff und Nylon mit Metallösen und Plastikhaken, Regenkutten, Stiefeln, Fackeln und einem Kricketschläger.

Keiner von uns wollte zugeben, den Kricketschläger mitgebracht zu haben. Uns war vollkommen schleierhaft, was er zwischen den anderen Sachen zu suchen hatte. Wir riefen beim Zimmerservice an und baten, man möge uns ein paar Dosen Bier hochbringen und den Kricketschläger wegschaffen, aber niemand wollte ihn haben. Der Zimmerkellner meinte, falls wir uns wirklich auf die Suche nach einer menschenfressenden Echse machen wollten, wäre ein Kricketschläger doch ein ziemlich praktischer Begleiter.

»Wenn ein Drache mit fünfzig Stundenkilometern und schnappendem Kiefer auf Sie zukommt, können Sie ihn so immer noch mit einem Befreiungsschlag durch die Deckung dreschen«, sagte er, stellte das Bier ab und verschwand.

Wir versteckten den Kricketschläger unter dem Bett, öffneten die Bierflaschen und ließen uns von Mark erklären, was auf uns zukommen würde.

»Seit Jahrhunderten«, sagte er, »erzählt man sich in China Geschichten von großen, schuppigen, feuerspeienden Ungeheuern, nur hielt man sie früher für Mythen und schrullige Phantasiegebilde. Die alten Seefahrer haben von ihnen berichtet und ›Hier Drachen‹ auf ihre Karten geschrieben, wenn sie Land entdeckten, das ihnen schon von weitem nicht geheuer war.

Dann, zu Beginn dieses Jahrhunderts, unternahm ein holländischer Flugpionier den Versuch, von Insel zu Insel über den indonesischen Archipel nach Australien zu hüpfen, bekam dabei Probleme mit dem Motor und mußte auf einer kleinen Insel namens Komodo notlanden. Im Gegensatz zu seiner Maschine überstand er den Absturz unbeschadet.

Er suchte nach Wasser. Bei dieser Suche stieß er am Strand auf eine seltsame breite Spur, folgte ihr und sah sich plötzlich einem Ding gegenüber, dessen Anblick ihm ganz und gar nicht geheuer war. Nämlich einem großen, schuppigen, menschenfressenden, gute dreieinhalb Meter langen Ungeheuer. Und was er da anstarrte, ist, wonach wir suchen werden – der Komodo-Waran oder die Drachenechse von Komodo.«

»Hat er überlebt?« fragte ich ohne Umschweife.

»Ja, hat er, im Gegensatz zu seinem Ruf. Er schlug sich drei Monate lang durch und wurde dann gerettet. Aber als er nach Hause kam, hielten ihn alle für verrückt und glaubten ihm kein Wort.«

»Dann gehen also die chinesischen Drachenlegenden auf die Komodo-Warane zurück?«

»Tja, so genau kann man das natürlich nicht sagen. Ich zumindest nicht. Aber einiges spricht dafür. Die Echse ist ein Lebewesen mit Schuppen, sie ist ein Menschenfresser, und obwohl sie nicht gerade Feuer speit, hat sie von allen uns bekannten Lebewesen den mit Abstand übelsten Mundgeruch. Und es gibt noch etwas, was ihr über die Insel wissen solltet.«

»Was?«

»Nimm dir erst noch ein Bier.« Ich nahm mir noch ein Bier. »Auf Komodo«, sagte Mark, »gibt es pro Quadratmeter Boden mehr Giftschlangen als in jedem vergleichbaren Gebiet auf Erden.«

In Melbourne lebt ein Mann, der vermutlich mehr über giftige Schlangen weiß als jeder andere Mensch. Er heißt Dr. Struan Sutherland und hat sich zeit seines Lebens mit dem Studium der Tiergifte beschäftigt.

»Und ich hab's satt«, sagte er, als wir ihn am nächsten Morgen aufsuchten. »Nicht auszuhalten, diese giftigen Biester, diese Schlangen und Insekten und Fische und das ganze Zeug. Blöde Viecher, beißen jeden. Und dann erwarten die Leute von mir, daß ich ihnen sage, was sie dagegen tun sollen. Ich sage ihnen, was sie tun sollen. Sich grundsätzlich nicht beißen lassen. Das ist die Antwort. Ich hab's satt. Hydrokulturen, ja, das ist ein interessantes Thema. Kann Ihnen alles über Hydrokulturen erzählen. Faszinierende Sache, Pflanzen künstlich in Wasser zu züchten, sehr interessante Technik. Wenn man zum Mars oder sonstwohin will, sollte man alles darüber wissen. Wo, sagten Sie, wollen Sie hin?«

»Komodo.«

»Schön, lassen Sie sich nicht beißen, mehr fällt mir dazu nicht ein. Und andernfalls kommen Sie bloß nicht hier angelaufen, weil Sie es erstens nicht rechtzeitig schaffen und ich zweitens wahrscheinlich sowieso nicht hiersein werde. Ich hasse dieses Büro, sehen Sie sich das doch bloß mal an. Alles vollgestopft mit giftigen Tieren. Sehen Sie mal hier, dieser Behälter, randvoll mit Feuerameisen. Giftig. Langweilen mich zu Tode. Na, was soll's. Ich hab Kuchen hier, falls Sie Appetit haben. Möchten Sie ein Stück Kuchen? Wenn ich bloß wüßte, wo ich den gelassen hab, Tee ist auch noch da, aber der schmeckt nicht besonders. Herrgott, jetzt setzen Sie sich doch endlich hin.

Sie wollen also nach Komodo. Na, ich weiß zwar nicht, warum Sie da hinwollen, aber Sie werden schon Ihre Gründe haben. Auf Komodo gibt es fünfzehn verschiedene Schlangenarten, und davon ist die Hälfte giftig. Lebensgefährlich sind aber nur die Kettenviper, die grüne Bambusotter und die indische Kobra.