Выбрать главу

»Wie lange arbeitet sie schon an diesem Wandbild im Bad?«, fragte ich.

»Seit sie aus Kansas City zurück ist, also schon eine ganze Weile. Die ersten paar Wochen musste sie sich regelmäßig beim hiesigen FBMH melden. Sie ist nicht richtig draußen, sie ist auf Bewährung, bekommt ambulante Therapie. Man könnte sagen, sie ist leihweise draußen.«

»Geht’s ihr wirklich besser?«

»Viel besser. Ich hab dir ja nie erzählt, wie schlimm es war auf der Highschool. Wir hatten keine Ahnung, was nicht stimmte. Ehrlich gesagt bin ich heilfroh über den McHeston Act. Wenn man es nicht gemerkt hätte, wenn sie immer kränker geworden wäre, wäre sie inzwischen entweder eine ausgewachsene schizophrene Paranoikerin oder eine verwahrloste Hebephrenikerin. Mit Dauereinweisung.«

»Sie sieht so merkwürdig aus.«

»Was hältst du von dem Mosaik?«

»Es wird den Wert des Hauses nicht gerade steigern.«

»Und ob es ihn steigert!«

Pris erschien an der Tür zum Gästezimmer. »Ich hab gefragt, ob sie abgeschaltet ist.« Sie funkelte uns an, als hätte sie erraten, dass wir über sie geredet hatten.

»Ja«, erwiderte Maury. »Außer Jerome hat sie wieder angemacht, um Spinoza mit ihr zu diskutieren.«

»Was weiß die Stanton denn überhaupt?«, fragte ich. »Ist sie mit einem Haufen zufällig ausgewählter Fakten ausgestattet worden? Denn wenn nicht, dann wird mein Vater schnell das Interesse verlieren.«

Pris verzog den Mund. »Sie verfügt über dieselben Fakten, die der originale Edwin M. Stanton gehabt hat. Wir haben sein Leben bis in die kleinste Einzelheit recherchiert.«

Ich komplimentierte die beiden aus dem Zimmer, dann zog ich mich aus und legte mich hin. Bald darauf hörte ich Maury seiner Tochter gute Nacht sagen und im Schlafzimmer verschwinden. Und dann hörte ich nichts – außer, wie zu erwarten gewesen war, das scharfe Knacken vom Zerlegen der Fliesen.

Eine Stunde lang lag ich da und versuchte zu schlafen, dämmerte weg und wurde von dem Geräusch wieder zurückgeholt. Schließlich stand ich auf, machte Licht, zog mich an, brachte meine Haare in Ordnung, rieb mir die Augen und ging ins Wohnzimmer. Pris saß genauso da wie vorher, nach Yoga-Art, mit einem riesigen Haufen zerbrochener Kacheln um sich herum.

»Bei dem Lärm kann ja keiner schlafen.«

»Wie furchtbar.« Sie sah nicht einmal auf.

»Ich bin ein Gast.«

»Geh halt woanders hin.«

»Ich weiß genau, was der Gebrauch dieser Zange symbolisiert, Pris. Die Kastration von abertausend Männern, einer nach dem anderen. Hast du dafür die Klinik verlassen? Um hier die ganze Nacht herumzusitzen und so was zu machen?«

»Nein. Ich besorge mir einen Job.«

»Und was für einen? Bei den Arbeitslosenzahlen?«

»Die machen mir keine Angst. Es gibt auf der ganzen Welt niemanden wie mich. Ich habe bereits ein Angebot von einer Firma, die Auswanderungen organisiert. Die haben haufenweise statistische Arbeiten zu erledigen.«

»Dann wirst du also darüber entscheiden, wer die Erde verlassen darf.«

»Nein, ich habe abgelehnt. Ich habe nicht vor, irgendeine x-beliebige Büroangestellte zu werden. Hast du je von Sam K. Barrows gehört?«

»Nein.« Aber irgendwie kam mir der Name bekannt vor.

»In Look war mal ein Artikel über ihn. Mit zwanzig stand er jeden Morgen um fünf auf, aß ein Schälchen Backpflaumen, machte einen Dreikilometerlauf durch die Straßen von Seattle und kehrte anschließend auf sein Zimmer zurück, um sich zu rasieren und eine kalte Dusche zu nehmen. Und dann zog er los und studierte seine Gesetzesbücher.«

»Dann ist er also Rechtsanwalt.«

»Nicht mehr. Geh mal zum Bücherregal. Da liegt die Look-Ausgabe noch.«

»Warum sollte mich das interessieren?« Trotzdem ging ich mir die Zeitschrift holen.

Und tatsächlich war auf der Titelseite das Foto eines Mannes, unter dem

 SAM K. BARROWS, AMERIKAS GESCHÄFTSTÜCHTIGSTER JUNGER MULTIMILLIARDÄR

stand. Die Ausgabe war vom 18. Juni 1981, also noch ziemlich aktuell. Barrows joggte gerade eine der am Wasser gelegenen Straßen in der Innenstadt von Seattle hinauf, in Khakishorts und einem grauen Sweatshirt, bei Sonnenaufgang, wie es aussah, munter keuchend, ein Mann mit glänzendem, völlig kahl rasiertem Schädel, die Augen wie die kleinen Steine im Gesicht eines Schneemanns: ausdruckslos, winzig. Ohne jede Emotion – nur die untere Gesichtshälfte schien zu grinsen.

»Falls du ihn mal im Fernsehen gesehen hast…«

»Ja, ich habe ihn im Fernsehen gesehen.« Jetzt erinnerte ich mich wieder, denn damals, vor etwa einem Jahr, hatte der Mann einen ziemlich schlechten Eindruck auf mich gemacht. Seine monotone Sprechweise – er hatte sich zu dem Interviewer hinübergebeugt und auf ihn eingemurmelt. »Und für ihn möchtest du arbeiten?«

»Sam Barrows ist der größte Immobilienspekulant, den es je gegeben hat.«

»Darum geht uns wahrscheinlich der Grund und Boden aus. Alle Grundstücksmakler gehen pleite, weil es nichts zu verkaufen gibt. Millionen von Menschen – und keinen Platz, wo sie hinkönnen.« Dann fiel es mir wieder ein: Barrows hatte genau dieses Problem gelöst. Mit einer ganzen Serie von Klagen hatte er die Regierung der Vereinigten Staaten dazu gezwungen, private Spekulationen mit Grund und Boden auf anderen Planeten zu genehmigen. Praktisch im Alleingang hatte er den Weg für Parzellierungsunternehmer auf Luna, Mars und Venus freigemacht; sein Name würde für immer in die Geschichtsbücher eingehen. »Das also ist der Mann, für den du arbeiten möchtest. Der Mann, der unberührte Welten verseucht hat.« Seine Vertreter priesen die Parzellen von Büros überall in den USA aus an.

»Unberührte Welten verseucht? Das ist doch nur ein Slogan dieser Umweltschützer.«

»Aber wahr. Wie will man das Land denn nutzen, wenn man es erst einmal gekauft hat? Wie lebt man darauf? Ohne Wasser, ohne Luft, ohne Wärme, ohne…«

»Das wird alles geliefert.«

»Und wie?«

»Genau darum ist Barrows ein so großer Mann. Wegen seiner Vision. Barrows Enterprises arbeitet Tag und Nacht…«

»Das alles ist reine Abzocke.«

Stille. Angespannte Stille.

»Hast du dich je wirklich mit Barrows unterhalten? Es ist das eine, einen Helden zu haben – du bist eine junge Frau, und es ist nur natürlich für dich, einen Mann zu verehren, der auf den Titelbildern der Zeitschriften und im Fernsehen zu sehen ist. Und er ist reich und hat im Alleingang den Mond für Kredithaie und Immobilienspekulanten zugänglich gemacht. Aber du hast mir etwas davon erzählt, dass du dir einen Job besorgen willst.«

»Ja, ich habe mich für einen Job in einer seiner Firmen beworben. Und ich habe ihnen gesagt, dass ich ihn gern persönlich sprechen möchte.«

»Da haben sie aber gelacht.«

»Nein, sie haben mich zu seinem Büro geschickt. Er hörte mir für eine geschlagene Minute zu. Dann hatte er sich natürlich wieder um seine anderen Geschäfte zu kümmern.«

»Und was hast du zu ihm gesagt in deiner Minute?«

»Ich habe ihn angesehen, er hat mich angesehen. Du hast ihn nie in Wirklichkeit erlebt. Er ist unglaublich attraktiv.«

»Im Fernsehen hat er eher was Echsenhaftes.«

»Ich habe ihm gesagt, dass ich ein Gespür für Versager habe. Wenn ich seine Sekretärin wäre, käme niemand an mir vorbei, der nur seine Zeit verschwenden will. Ich kann knallhart sein. Und gleichzeitig würde ich nie jemanden abweisen, der wichtig ist. Verstehst du?«

»Aber kannst du auch Briefe öffnen?«

»Dafür gibt es Maschinen.«

»Dein Vater tut das. Das ist sein Job bei uns.«

»Und genau darum würde ich auch nie für euch arbeiten. Weil ihr so erbärmlich klein seid, euch gibt es eigentlich gar nicht. Nein, ich kann keine Briefe öffnen. Ich kann keinerlei Routinearbeiten. Aber ich sag dir, was ich kann. Es war meine Idee, die Edwin M. Stanton zu bauen.«