Beim Vorrücken stolperten die römischen Eroberer förmlich über immer reichere Silber-, Kupfer- und Eisenvorkommen. Natürlich profitierte der Provinzstatthalter, der für die Neueinzeichnung der Grenzen im Namen Roms verantwortlich war, am meisten davon. Das Schatzamt in Rom beanspruchte zwar seinen Teil, überließ die eigentliche Förderung des Erzes und die Eigentumsrechte an den Minen jedoch Privatleuten, die die Arbeit wesentlich effektiver und mit unternehmerischer Skrupellosigkeit durchführten. Gaius Marius wurde reicher und reicher. Jede neue Mine gehörte ihm ganz oder zumindest teilweise, und das brachte ihm gleichzeitig stille Teilhaberschaften in anderen großen Unternehmen ein, angefangen vom Getreidehandel bis hin zu Bankgeschäften und öffentlichen Dienstleistungen.
Bevor Marius aus Spanien zurückkehrte, riefen seine Truppen ihn zum imperator aus, und das bedeutete, daß er beim Senat einen Triumphzug beantragen konnten. Angesichts der Kriegsbeute und der Steuern und Tribute, die er der Staatskasse zugeführt hatte, konnte sich der Senat diesem Wunsch schlecht widersetzen. Gaius Marius war also auf dem alten Triumphwagen durch Rom gefahren, ihm voran die Zeugnisse seiner Siege und Raubzüge: Festwagen mit szenischen Darstellungen seiner Heldentaten, des Landes und seiner Einwohner in ihrer Stammestracht. Er hatte bereits davon geträumt, in zwei Jahren Konsul zu sein. Er, Gaius Marius aus Arpinum, der verachtete italische Bauer aus der Provinz, würde Konsul der mächtigsten Stadt der Welt sein. Und er würde nach Spanien zurückkehren und sein Werk vollenden und das Land in zwei friedliche, blühende römische Provinzen verwandeln.
Aber nun war er bereits seit fünf Jahren wieder in Rom. Fünf Jahre! Metellus und seine Parteigänger hatten schließlich doch gewonnen: Er würde niemals Konsul werden.
»Ich glaube, ich ziehe mein Purpurgewand an«, sagte Gaius Marius zu seinem Leibsklaven. Mit seinen siebenundvierzig Jahren war er immer noch ein stattlicher Mann, der sich auch an arbeitsreichen Tagen Zeit für sportliche Betätigung nahm. Er übte mit Hanteln und Gewichten, durchschwamm mehrere Male hintereinander den Tiber bei Trigarium und rannte anschließend den ganzen Weg vom entfernten Ende des Marsfeldes bis zu seinem Haus an der Arx des Kapitols. Zwar lichteten sich seine dunkelbraunen Locken oben schon ein wenig, aber wenn er sie nach vorn bürstete, sah das Haar immer noch voll aus. So, das mußte genügen. Eine Schönheit war er nie gewesen. Er hatte ein gutgeschnittenes, eindrucksvolles Gesicht, aber mit einem Gaius Julius Caesar konnte er nicht konkurrieren!
Interessant, daß er sich für ein Essen im kleinen Familienkreis, dazu bei einem unbedeutenden Hinterbänkler des Senats, mit seiner Garderobe soviel Mühe gab. Warum eigentlich? Caesar hatte es nicht einmal zum Ädilen, geschweige denn zum Prätor gebracht.
Trotzdem hatte Gaius Marius das Purpurgewand gewählt. Er hatte es vor vielen Jahren gekauft und sich darin bereits als Gastgeber großartiger Gesellschaften gesehen, wenn er erst einmal Konsul war oder, in den Jahren danach, ein hochgeachteter ehemaliger Konsul, ein Konsular.
Dabei waren für eine rein private Einladung eigentlich schon die weiße Toga und die Tunika mit dem roten Streifen zuviel, erst recht natürlich die prächtig mit Gold bestickte purpurne Tunika mit dem weiten Umhang. Zum Glück galten zur Zeit nicht die Luxusgesetze, nach denen es verboten war, sich nach eigenem Gutdünken zu kleiden und zu schmücken. Nur die lex Licinia war in Kraft, die den Konsum kulinarischer Raritäten einschränkte - aber kein Mensch hielt sich daran. Außerdem bezweifelte Gaius Marius, daß er bei Caesar Wolfsbarsch und Austern vorgesetzt bekommen würde.
Nicht für einen Augenblick kam es Gaius Marius in den Sinn, seine Frau aufzusuchen, bevor er das Haus verließ. Er nahm schon seit vielen Jahren keine Notiz mehr von ihr, falls er überhaupt jemals von ihr Notiz genommen hatte. Die Ehe war irgendwann in dunkler Vergangenheit geschlossen worden und hatte in nunmehr fünfundzwanzig kinderlosen Jahren eine freudlose Fortsetzung ohne Liebe oder auch nur Zuneigung gefunden. Ein kriegerischer, sportlich aktiver Mann wie Marius suchte nur dann sexuelle Befriedigung, wenn er durch eine besonders attraktive Frau an seine sexuellen Bedürfnisse erinnert wurde. Viele Frauen hatte es in seinem Leben nicht gegeben, nur von Zeit zu Zeit eine Affäre mit einer Sklavin oder - auf Feldzügen - einer Gefangenen.
Aber war Grania nicht seine Frau? Doch er hatte sie vergessen, bemerkte sie selbst dann nicht, wenn sie neben ihm stand und ihm zu verstehen gab, daß sie wenigstens ein Kind von ihm empfangen wollte. Mit Grania zu schlafen war, als ob man eine Abteilung Soldaten durch undurchdringlichen Nebel führte. Marius’ Gefühle waren dabei so unbestimmt, daß er sich zwingen mußte, überhaupt etwas zu empfinden, und wenn er seinen Höhepunkt erreichte, öffnete er den Mund höchstens zu einem Gähnen.
Er empfand nicht das geringste Mitleid mit Grania und versuchte auch nicht, sie zu verstehen. Sie war seine Frau, nicht mehr, ein zähes altes Huhn, das nicht einmal als junges Küken attraktiv gewesen war. Er hatte keine Ahnung, was sie tagsüber oder nachts trieb, und es interessierte ihn auch nicht. Führte Grania ein zügelloses, lasterhaftes Doppelleben? Hätte jemand diesen Verdacht geäußert, Marius hätte Tränen gelacht - und recht gehabt: Grania war so keusch wie langweilig.
Dank der Silberminen hatte er das Haus oben am Kapitol erwerben können, auf dem teuersten Grund und Boden Roms, der dem Marsfeld zugewandten Seite der servianischen Mauer. Vom Gewinn der Kupferminen hatte er den Buntmarmor für die Verkleidung der Backsteinsäulen und Zwischenwände und für die Fußböden gekauft. Der Gewinn der Eisenminen war in die Taschen des größten römischen Malers geflossen, der die verputzten Felder zwischen den Pfeilern mit Jagdszenen, Blumengärten und Landschaften ausgemalt hatte. Von den stillen Teilhaberschaften hatte er Statuen und Hermen gekauft, wundervolle Tische aus Zitronenholz mit Füßen aus Elfenbein, das mit Gold eingelegt war, vergoldete Sofas und Stühle, prächtig bestickte Wandteppiche und gegossene Bronzetüren. Den großen Säulengarten mit seinen fein aufeinander abgestimmten Düften und Farben hatte Hymettus eigenhändig entworfen, und der große Dollchus hatte das langgestreckte Becken gebaut, das mit Springbrunnen, Fischen, Lilien, Seerosen und meisterhaften, überlebensgroßen Skulpturen von Tritonen, Nereiden, Nymphen, Delphinen und bärtigen Seeschlangen geschmückt war.
In Wahrheit gab Gaius Marius keinen Pfifferling auf diese ganze Pracht. Sie diente nur zum Vorzeigen. Er selbst schlief auf einem Feldbett im kleinsten und einfachsten Zimmer des Hauses, an dessen Wänden als einziger Schmuck Schwert, Scheide und Marius’ stinkender alter Soldatenmantel hingen. Ja, so sollte ein Mann leben! Das Amt des Prätors und des Konsuls waren für Gaius Marius nur von Bedeutung, weil sie den Zugang zum militärischen Oberbefehl über die römische Armee eröffneten - vor allem das Amt des Konsuls. Aber er wußte, daß er nie Konsul werden würde, jedenfalls vorerst nicht. Niemand würde einen Mann ohne Namen wählen, der Mann mochte noch so reich sein.
Der graue Nieselregen vom Vortag hielt noch immer an, als er aus dem Haus trat. Fast hätte er vergessen, daß das Gewand, das er anhatte, ein Vermögen gekostet hatte. Jetzt warf er wenigstens noch sein altes sagum über, das er in so vielen Feldzügen getragen hatte - einen dicken, schmuddeligen, übelriechenden Umhang, der die fürchterlichen Winde der Alpenpässe ebenso abhielt wie die tagelangen Regenfälle von Epirus. Genau das richtige Kleidungsstück für einen Soldaten. Der scharfe Geruch kitzelte ihn in der Nase wie der appetitanregende, warme Duft einer Bäckerei.