Marius öffnete die Lippen. Sie waren ursprünglich voll und sinnlich gewesen, doch er hatte ihnen eine soldatische Strenge anerzogen, noch bevor Grania ihn kennengelernt hatte. Grania beugte sich leicht vor, damit ihr nichts entging, jede Faser ihres Körpers gespannt.
»Ich lasse mich von dir scheiden«, sagte er. Er reichte ihr ein Stück Pergament, auf das er am Morgen die Scheidungserklärung geschrieben hatte.
Seine Worte drangen kaum zu ihr durch. Sie breitete das dicke und leicht übel riechende Viereck aus glatter Haut auf der Tischplatte aus und las es mit alterssichtigen Augen durch. Dann blickte sie auf.
»Das habe ich nicht verdient«, sagte sie dumpf.
»Ich bin anderer Meinung«, erwiderte er.
»Weshalb? Was habe ich getan?«
»Du hast als Ehefrau nicht zu mir gepaßt.«
»Und du hast fünfundzwanzig Jahre gebraucht, um das herauszufinden?«
»Nein. Ich wußte es von Anfang an.«
»Warum hast du dich dann nicht schon früher von mir getrennt?«
»Damals erschien es mir nicht wichtig.«
Oh, ein Schmerz nach dem anderen, eine Beleidigung nach der anderen! Das Pergament zitterte in ihrer Hand. Sie warf es auf den Tisch und ballte die Hände zu kleinen, harten Fäuste.
»Ja, das glaube ich dir! « sagte sie, und ihre Resignation schlug in Wut um. »Ich war dir nie wichtig. Nicht einmal wichtig genug, um dich von mir zu trennen. Warum also ausgerechnet jetzt?«
»Ich will mich wieder verheiraten.«
Granias Wut wich ungläubigem Staunen. Sie starrte ihn an. »Du?«
»Ja, ich. Man hat mir die Ehe mit einem Mädchen aus einem sehr alten Patriziergeschlecht angeboten.«
»Jetzt hör aber auf, Marius! Wird der große Verächter plötzlich zum großen Aristokraten?«
»Ich glaube nicht«, sagte er gleichmütig. Es war ihm unbehaglich zumute, doch er verbarg dies ebenso geschickt wie seine Schuldgefühle. »Es ist ganz einfach. Diese Ehe bedeutet, daß ich doch noch Konsul werden kann.«
Das Feuer ihrer Zornes erlosch, ausgeblasen vom kalten Wind der Logik. Was konnte sie dagegen sagen? Wie konnte sie ihm Vorwürfe machen? Sie wußte, daß er als Politiker chancenlos war und nur geringes Ansehen genoß, obwohl er nie mit ihr darüber gesprochen hatte. Sie hatte um ihn geweint, hatte sich für ihn verzehrt und gewünscht, sie könnte den Makel ausmerzen und ihn in den Augen des römischen Adels gesellschaftsfähig machen. Doch was konnte sie schon ausrichten, sie, eine Grania aus Puteoli? Sie war so wohlhabend, angesehen und von makelloser Ehre, wie eine Ehefrau nur sein konnte, aber es fehlte ihr an Beziehungen. Marius war ein Landadliger und sie die Tochter eines Kaufmanns aus der Campania. In den Augen des städtischen römischen Adels gehörte sie der untersten Klasse an. Bis vor kurzem hatte ihre Familie nicht einmal die Bürgerrechte besessen.
»Das also ist der Grund«, sagte sie tonlos.
Marius hatte genügend Mitgefühl, um nichts mehr hinzuzufügen und seine Erregung vor ihr zu verbergen, jenes glühende, kleine Körnchen Liebe, das in seinem kühlen Herzen neue Triebe hervorbrachte. Sollte sie doch denken, daß es nur eine politische Zweckheirat war.
»Es tut mir wirklich leid, Grania«, sagte er sanft.
»Mir auch, mir auch«, murmelte sie vor sich hin. Sie begann wieder zu zittern, doch diesmal zitterte sie, weil sie ihre Zukunft vor sich sah - eine noch größere und noch unerträglichere Einsamkeit als bisher. Ein Leben ohne Gaius Marius? Undenkbar.
»Die Verbindung wurde mir angeboten, ich habe mich nicht selbst darum bemüht, falls dir das ein Trost ist.«
»Wer ist das Mädchen?«
»Die ältere Tochter des Gaius Julius Caesar.«
»Eine Julia! Du willst hoch hinaus! Du wirst bestimmt Konsul, Gaius Marius.«
»Ja, das glaube ich auch.« Nervös spielte er mit seiner Lieblingsschreibfeder aus Schilfrohr, mit der kleinen Porphyrflasche, die den Löschsand enthielt, und mit dem Tintenfaß aus poliertem Amethyst. »Du wirst selbstverständlich deine Mitgift zurückerhalten. Das ist mehr als genug für deine Bedürfnisse. Ich habe das Geld in profitablere Unternehmen gesteckt als dein Vater, und da du es nie angerührt hast, ist daraus ein stattliches Vermögen geworden.« Er räusperte sich. »Ich nehme an, daß du in der Nähe deiner Familie wohnen willst, aber in deinem Alter ist es wohl vernünftig, wenn du in einem eigenen Haus wohnst. Besonders jetzt, da dein Vater tot und dein Bruder pater familias ist.«
»Du hast nie oft genug mit mir geschlafen, um mir ein Kind zu schenken«, sagte sie. Der Schmerz ihrer Einsamkeit drohte sie zu überwältigen. »Ich wünschte so sehr, ich hätte ein Kind!«
»Ich bin verdammt froh, daß du keins hast! Dann wäre unser Sohn mein Erbe, und meine Heirat mit Julia hätte nicht dieselbe Bedeutung.« In verändertem Ton fügte Marius hinzu: »Sei vernünftig, Grania! Unsere Kinder wären jetzt längst erwachsen und würden ihr eigenes Leben führen. Sie wären kein Trost für dich.«
»Wenigstens hätte ich Enkel«, sagte sie. Die Tränen schossen ihr in die Augen. »Dann wäre ich nicht so allein! «
»Ich habe dir schon vor Jahren geraten, dir einen kleinen Schoßhund zu kaufen!« Er sagte es nicht unfreundlich, er meinte es aufrichtig gut. Ein noch besserer Rat fiel ihm ein: »Du solltest wieder heiraten! «
»Niemals!« rief sie.
Marius zuckte mit den Schultern. »Wie du willst. Aber um auf deine künftige Wohnung zurückzukommen: Ich bin bereit, eine Villa am Meer bei Cumae zu kaufen und sie für dich einzurichten. Von Cumae aus ist Puteoli mit der Sänfte gut zu erreichen. Puteoli liegt nahe genug, daß du deine Familie ab und zu für ein oder zwei Tage besuchen kannst, und es ist weit genug entfernt, daß du deine Ruhe hast.«
Alle Hoffnung war verflogen. »Danke, Gaius Marius.«
»Du brauchst dich nicht zu bedanken!« Er stand auf, ging um den Tisch und half ihr mit einem unpersönlichen Griff am Ellbogen aus dem Stuhl. »Sag jetzt dem Verwalter Bescheid. Denk auch darüber nach, welche Sklaven du mitnehmen willst. Einer meiner Agenten wird morgen in Cumae nach einer passenden Villa suchen.
Das Haus wird natürlich mir gehören, aber ich werde dir ein lebenslanges Wohnrecht einräumen - oder bis du wieder heiratest. Schon gut, schon gut! Ich weiß, daß du nicht mehr heiraten willst, aber unternehmungslustige Freier werden dich umschwirren wie die Fliegen einen Honigtopf. Du bist reich.« Sie hatten die Tür zu Granias Zimmer erreicht. Er blieb stehen und zog seine Hand zurück. »Es wäre mir recht, wenn du bis übermorgen ausziehen würdest. Am besten vormittags. Ich denke, Julia wird im Haus manches verändern wollen, bevor sie einzieht. Wir werden in acht Wochen heiraten, es bleibt mir also nicht mehr viel Zeit für all die Veränderungen. Deshalb also - übermorgen früh.«
Sie wollte ihn noch etwas fragen - irgend etwas -, aber er hatte sich bereits abgewandt und sich entfernt.
»Mit dem Essen brauchst du nicht auf mich zu warten«, rief er über die Schulter zurück, während er das geräumige Atrium durchquerte. »Ich treffe mich mit Publius Rutilius und werde wahrscheinlich erst zurückkommen, wenn du schon schläfst.«
Das also war das Ende. Ihr Herz würde nicht brechen, nur weil sie das Wohnrecht in dieser riesigen Scheune verloren hatte. Sie hatte das Haus immer gehaßt, und sie haßte auch das hektische Leben der Stadt Rom. Sie nickte dem Sklaven zu, der an der Wand vor ihrem Zimmer stand. »Hole mir sofort den Verwalter«, befahl sie.