Sulla hatte sich hocherhobenen Hauptes und mit trockenen Augen in die Menge eingereiht, die Quintus Gavius Myrto das Geleit aus der Stadt hinaus zum Scheiterhaufen gab. Er warf einen Strauß Rosen in die lodernden Flammen und zahlte dem Leichenbestatter einen Silberdenar - seine Beteiligung an den Kosten. Später am Tag, sein Vater lag als weingetränkter Haufen auf dem Boden und seine unglückliche Schwester hatte so gut wie möglich sauber gemacht, saß Sulla grübelnd in seiner Zimmerecke, immer noch fassungslos über den unerwarteten Schatz, der ihm in den Schoß gefallen war. Denn Quintus Gavius Myrto war im Tod ebenso ordentlich wie im Leben: Er hatte ein Testament aufgesetzt und bei den Vestalinnen hinterlegt. Zwar hatte er kein Geld, aber alles, was er besaß - seine Bücher und ein kostbares Modell des Universums, das Sonne, Mond und Planeten in ihren Umlaufbahnen um die Erde zeigte, hatte er Sulla vermacht.
Erst jetzt hatte Sulla weinen können, hatte ihn eine leere Verzweiflung übermannt. »Eines Tages, Quintus Gavius«, hatte er geschluchzt, »werde ich die verlorenen Werke des Aristoteles finden.«
Sulla hatte sich nicht lange über die Bücher und das Planetenmodell freuen dürfen. Als er eines Tages nach Hause kam, fand er seine Ecke bis auf das Strohlager leer. Sein Vater hatte alles verkauft, weil er Geld für Wein brauchte. Sulla wollte ihn umbringen, aber glücklicherweise war seine Schwester da und warf sich dazwischen. Sulla vergaß und vergab nie. Noch am Ende seines Lebens, als er Tausende von Büchern und fünfzig Modelle des Universums sein eigen nannte, trauerte er der verlorenen Bibliothek des Quintus Gavius Myrto nach.
Sulla kehrte in die Gegenwart zurück und sah wieder die grell bemalte, grobschlächtige Statuengruppe des Apollo und der Daphne vor sich. Als sein Blick auf die noch grauenhaftere Statue des Perseus fiel, der das Haupt der Medusa in der Hand hielt, fühlte er sich endlich stark genug, Stichus entgegenzutreten. Er ging durch den Garten zum Arbeitszimmer, das eigentlich dem Herrn des Hauses vorbehalten war. Da Sulla jedoch mehr oder weniger als Herr des Hauses galt, war ihm der Gebrauch des Arbeitszimmers erlaubt worden.
Der pickelige kleine Stichus war gerade dabei, sich mit kandierten Feigen vollzustopfen. Mit seinen klebrigen Stummelfingern wühlte er in den Schriftrollen, die in Löchern in der Wand aufbewahrt wurden.
»Ohhhhh!« wimmerte Stichus, als er Sulla erblickte, und zog seine Hände zurück.
»Zum Glück weiß ich, daß du zu dumm bist, um sie zu lesen«, sagte Sulla. Er gab dem Diener an der Tür, einem hübschen Griechen, der nicht ein Zehntel des hohen Preises wert war, den Clitumna für ihn bezahlt hatte, mit den Fingern ein Zeichen. »Hole Wasser und ein sauberes Tuch«, befahl er, »und wische den Dreck weg, den dieser Herr gemacht hat.«
Er starrte Stichus mit seinen unheimlichen Augen an, die boshaft waren wie der Blick einer Ziege. Während Stichus sich verzweifelt mühte, den Feigensirup an seiner teuren Tunika abzuwischen, sagte Sulla: »Ich wünschte, du würdest dir endlich aus dem Kopf schlagen, daß ich hier obszöne Schriftrollen aufbewahre! Ich habe keine. Warum auch? Ich brauche sie nicht. Obszöne Bücher sind nur für Menschen, die sich selbst nichts trauen. Menschen wie du, Stichus.«
»Irgendwann einmal«, sagte Stichus giftig, »gehört dieses Haus mir. Dann wirst du nicht mehr so hochnäsig sein.«
»Ich kann dir nur raten, den Göttern zu opfern, daß sie diesen Tag hinausschieben. Denn das würde dein letzter Tag sein, Lucius Gavius. Wenn Clitumna nicht wäre, würde ich dich in kleine Stücke schneiden und den Hunden vorwerfen.«
Stichus starrte Sulla mit hochgezogenen Augenbrauen an. Er hatte keine Angst vor ihm, dafür kannte er ihn schon zu lange, aber er war vorsichtig, denn er wußte, daß seine dumme alte Tante Clitumna ihre sklavische Zuneigung zu diesem Kerl nicht aufgeben wollte. Vor einer Stunde hatte er seine Tante und ihre Zechschwester Nikopolis ganz aufgelöst vorgefunden, weil ihr Liebling Lucius Cornelius seine Toga angelegt und wütend das Haus verlassen hatte. Stichus hatte seiner Tante die ganze Geschichte entlockt und war entsetzt. Angeekelt.
Stichus ließ sich auf Sullas Stuhl fallen und sagte: »Meine Güte, heute siehst du ja wie ein richtiger Römer aus! Du warst sicher bei der Amtseinführung der Konsuln, nicht? Lächerlich! Dein Stammbaum ist nicht halb so gut wie meiner.«
Sulla hob Stichus aus dem Stuhl, indem er ihn mit Fingern und Daumen seiner rechten Hand am Unterkiefer packte. Der Griff war ungeheuer schmerzhaft, verhinderte aber zugleich, daß das Opfer schreien konnte. Als Stichus wieder bei Besinnung war und Sullas Gesicht sah, wagte er nicht mehr zu schreien. Stumm wie ein Götzenbild starrte er Sulla an.
»Meine Vorfahren«, sagte Sulla liebenswürdig, »gehen dich nichts an. Und jetzt verlaß mein Zimmer.«
»Vielleicht ist es bald nicht mehr dein Zimmer!« stieß Stichus hervor. Er eilte zur Tür und stieß dort fast mit dem Sklaven zusammen, der eben mit einer Schale Wasser und einem Lappen hereinkam.
»Wer weiß!« rief Sulla ihm nach.
Stichus war noch vor Sulla bei Clitumna. Als Sulla vor ihrem Zimmer ankam, teilte ihm der Verwalter entschuldigend mit, Clitumna und ihr Neffe wollten nicht gestört werden. Sulla ging durch den Säulengang, der das Peristyl umgab, zu den Zimmern, die seine Geliebte Nikopolis bewohnte. Aus der Küche, die am entfernten Ende des Gartens neben der Toilette und dem Bad lag, drangen verlockende Düfte. Wie die meisten Häuser auf dem Palatin war auch Clitumnas Haus an die Wasser- und Abwasserleitungen angeschlossen. Die Dienerschaft mußte das Wasser also nicht vom öffentlichen Brunnen holen und die vollen Nachttöpfe nicht zur nächstgelegenen Latrine tragen oder in den Straßengraben schütten.
»Wenn du nur ab und zu aus deinen aristokratischen Höhen herabsteigen würdest, Lucius Cornelius«, sagte Nikopolis und ließ ihre Stickarbeit in den Schoß sinken. »Dann ginge es dir viel besser.
Sulla sank mit einem Seufzer auf das bequeme Sofa und zog die Toga enger um seinen Körper, denn in dem Zimmer war es kalt. Eine Dienerin, die Bithy gerufen wurde, zog ihm die Winterstiefel aus. Sie war ein nettes, fröhliches Mädchen mit einem unaussprechlichen Namen und stammte aus dem Hinterland von Bithynien. Mit den Stiefeln in der Hand eilte sie geschäftig aus dem Zimmer. Kurze Zeit darauf kehrte sie mit einem Paar dicker, warmer Socken zurück und zog sie ihm an.
»Danke, Bithy«, sagte Sulla, lächelte ihr zu und fuhr ihr mit der Hand durch das Haar.
Das Mädchen erglühte. Seltsames kleines Ding, dachte er mit einer Zärtlichkeit, die ihn selbst überraschte, bis ihm klar wurde, daß Bithy ihn an das Mädchen aus dem Nachbarhaus erinnerte. Julilla.
»Was willst du damit sagen?« fragte er Nikopolis.
»Warum sollte dieser habgierige kleine Kriecher Stichus alles erben, wenn Clitumna zu ihren zweifelhaften Ahnen versammelt wird? Wenn du sie nur ein klein wenig anders behandeln würdest, mein lieber Freund Lucius Cornelius, würde sie alles dir vermachen. Und sie hat nicht wenig, glaube mir!«
»Was erzählt er ihr jetzt? Daß ich ihm weh getan habe?« fragte Sulla.
»Natürlich! Und er wird es ihr in den buntesten Farben ausmalen. Ich mache dir keine Vorwürfe, er ist wirklich ein abscheulicher Mensch, aber er ist nun mal ihr einziger Verwandter - und sie liebt ihn. Aber dich liebt sie noch mehr, obwohl du so ein eingebildeter Bengel bist! Wenn du das nächste Mal bei ihr bist, darfst du dich nicht hochmütig weigern, dich gegen seine Anschuldigungen zu verteidigen. Erzähl ihr, was für ein unausstehlicher Mensch Stichus ist, und erzähl es ihr so, daß sie dir glaubt und nicht Stichus!«
Sulla starrte sie mit einer Mischung aus Interesse und Skepsis an. »Clitumna ist nicht so naiv, daß sie auf so etwas hereinfällt.«