»Er wird die Provinz genauso ausplündern«, sagte Rutilius Rufus lächelnd.
»Natürlich, selbstverständlich! Aber Caepio hatte zumindest Anstand genug zu sagen, er werde es nicht tun, also kann Rom beide Augen zudrücken.« Marius hatte sich wieder an seinen Schreibtisch gesetzt.
»Ich bin froh, daß Silanus zu Hause bleibt.«
»Einer muß zum Glück Rom regieren! Nachdem auch der Statthalter für Makedonien bestimmt war, blieb für Silanus nichts anderes übrig als Rom. Silanus an der Spitze eines Heeres wäre eine Aussicht, die selbst Mars erbleichen ließe.«
»Allerdings!« Rutilius Rufus nickte heftig mit dem Kopf.
»Bisher hat sich das Jahr sehr gut angelassen«, sagte Marius. »Nicht genug damit, daß Spanien von Scipios Wohltaten verschont bleibt und Makedonien von den Wohltaten des Silanus: Rom selbst wurde von einer ganzen Reihe von Schurken befreit, wenn du entschuldigst, daß ich unsere Konsularen Schurken nenne.«
»Du meinst die Kommission des Mamilius?«
»Genau. Bestia, Galba, Opimius, Gaius Cato und Spurius Albinus wurden verurteilt, und es wird noch mehr Anklagen geben. Mamilius sammelt eifrig Beweise, Gaius Memmius hilft ihm, und Scaurus ist ein gnadenloser Gerichtsvorsitzender.«
»Und wohin sind die Verurteilten gegangen?« fragte Rutilius Rufus.
»Viele haben Massilia als Verbannungsort gewählt, Lucius Opimius ist nach Westmakedonien gegangen.«
»Aber Aulus Albinus ist ohne Strafe davongekommen?«
»Ja, Spurius Albinus hat die Schuld seines Bruders auf sich genommen, und der Senat hat dem zugestimmt.« Marius seufzte. »Eine geschickte Taktik.«
An den Iden des März setzten bei Julia die Wehen ein. Als die Hebammen Marius sagten, die Geburt werde schwer werden, ließ er sofort Julias Eltern kommen.
»Unser Blut ist zu alt und zu dünn«, sagte Caesar besorgt, während er mit Marius im Arbeitszimmer wartete.
»Mein Blut nicht«, erwiderte Marius.
»Aber das hilft Julia nichts! Es hilft vielleicht ihrer Tochter, wenn sie eine bekommt, und wir müssen dafür dankbar sein. Ich hatte gehofft, meine Heirat mit Marcia würde ein wenig plebejische Kraft in meine Linie hineinbringen, aber es scheint, daß auch Marcia noch zu vornehm ist. Ich weiß, manche Patrizier sagen, wir müßten unser Blut reinhalten. Aber warum verbluten so viele Mädchen aus den alten Familien bei der Geburt?« Nervös fuhr Caesar mit den Händen durch sein silbriges Haar.
Marius konnte nicht mehr stillsitzen. Er stand auf und begann, auf und ab zu gehen. »Auf alle Fälle hat sie die beste Hilfe, die für Geld zu haben ist.« Er nickte zum Entbindungszimmer hinüber.
»Clitumnas Neffen konnten sie im letzten Herbst auch nicht retten«, sagte Caesar und versank in trübsinnige Gedanken.
»Wer ist Clitumna? Meinst du deine unerfreuliche Nachbarin?«
»Ja. Ihr Neffe starb letzten September nach einer langwierigen Krankheit. Er war noch ein junger Bursche und wirkte kerngesund. Die Ärzte taten alles, was in ihrer Macht stand, aber er starb trotzdem. Das spukt mir seither immer im Kopf herum.«
Marius starrte seinen Schwiegervater verständnislos an. »Aber was hat das mit Julia zu tun?«
Caesar nagte an seiner Unterlippe. »Aller bösen Dinge sind immer drei«, sagte er niedergeschlagen. »Zuerst der Tod von Clitumnas Neffen in der Nachbarschaft. Jetzt müssen noch zwei weitere Todesfälle dazukommen.«
»Aber dann doch in Clitumnas Familie.«
»Nicht unbedingt. Es müssen lediglich drei Todesfälle sein, die in irgendeiner Weise miteinander verknüpft sind. Aber bis der zweite Todesfall eintritt, kann nicht einmal ein Wahrsager vorhersehen, welcher Art der Zusammenhang ist.«
Marius rang die Hände, halb ärgerlich, halb verzweifelt. »Gaius Julius, hör auf! Du darfst nicht so schwarzsehen! Niemand hat gesagt, daß Julia in Lebensgefahr schwebt, man hat mir nur gesagt, die Geburt werde nicht leicht sein. Ich habe nach dir geschickt, damit du mir hilfst, die schreckliche Wartezeit zu verkürzen, und nicht, damit du mich mit deinen trübsinnigen Gedanken ansteckst!«
Caesar nahm sich beschämt zusammen. »Im Grunde bin ich froh, daß es soweit ist«, sagte er betont munter. »Ich wollte Julia in letzter Zeit nicht belästigen, aber wenn sie die Entbindung überstanden hat, hoffe ich sehr, daß sie ein ernstes Wort mit Julilla spricht.«
Nach Marius’ Ansicht fehlte Julilla nichts weiter, als daß ihr Vater ihr einmal ordentlich den Hintern versohlte. Aber das wagte er nicht zu sagen. Statt dessen fragte er: »Was fehlt Julilla?«
Caesar seufzte. »Sie ißt nicht. Sie ißt schon seit langem kaum noch, aber in den letzten vier Monaten ist es schlimmer geworden. Sie ist spindeldürr und wird immer wieder ohnmächtig, fällt einfach um wie ein Stein. Die Ärzte können nichts feststellen.«
»Und Julia soll der Sache auf den Grund gehen?«
»Unbedingt!«
»Wahrscheinlich ist sie unglücklich verliebt«, sagte Marius aufs Geratewohl und traf damit ins Schwarze.
»Unsinn!« sagte Caesar scharf.
»Woher weißt du, daß es Unsinn ist?«
»Weil die Ärzte auch daran gedacht haben und ich mich gründlich umgehört habe.«
»Wen hast du gefragt? Sie?«
»Natürlich!«
»Es wäre vielleicht geschickter gewesen, ihre Dienerin zu fragen.«
»Ich bitte dich, Gaius Marius!«
»Schwanger ist sie nicht?«
»Also wirklich, Gaius Marius!«
»Sieh mal, Schwiegervater, es hat keinen Zweck, mich anzuschauen, als wäre ich ein Insekt«, sagte Marius ohne Mitgefühl. »Ich gehöre zur Familie, ich bin kein Fremder. Wenn ich mit meiner außerordentlich begrenzten Erfahrung mit jungen Damen von sechzehn Jahren diese Möglichkeit erkennen kann, dann kannst du das erst recht. Laß ihre Dienerin in dein Arbeitszimmer kommen und verprügle sie, bis du die Wahrheit aus ihr herausgeholt hast.«
»Gaius Marius, das kann ich doch nicht machen!« Schon der Gedanke an eine so drakonische Maßnahme entsetzte Caesar.
Marius seufzte. »Dann mach, was du willst. Aber glaube nicht, du wüßtest die Wahrheit, nur weil du Julilla gefragt hast.«
»In meiner Familie war man stets aufrichtig zueinander«, sagte Caesar.
Marius antwortete nicht, sah ihn aber skeptisch an.
Es klopfte.
»Herein!« rief Marius, froh über die Unterbrechung.
Athenodorus, der kleine griechische Arzt aus Sizilien, trat ein.
» Dominus, deine Frau möchte dich gerne sehen«, sagte er zu Marius, »und ich glaube, es würde ihr guttun, wenn du kämest.«
Marius rutschte das Herz in die Magengrube. Er holte ächzend Luft und streckte die Hand aus. Caesar sprang auf und starrte den Arzt schreckensbleich an.
»Ist sie... ist sie...?« Er konnte den Satz nicht beenden.
»Nein, nein! Keine Angst, domini, es geht ihr gut«, sagte der Grieche beruhigend.
Gaius Marius war noch nie bei einer Frau gewesen, die in den Wehen lag, und er hatte schreckliche Angst. Es fiel ihm nicht schwer, Männer anzuschauen, die in einer Schlacht gefallen oder verstümmelt worden waren. Sie waren Kriegskameraden, ganz gleich, auf welcher Seite sie kämpften, und jeder wußte, daß es mit etwas weniger Glück auch ihn hätte treffen können. Aber bei Julia lagen die Dinge ganz anders. Hier war das Opfer eine geliebte Frau, ein Mensch, der behütet und beschützt werden mußte und dem Marius alle Schmerzen soweit wie irgend möglich ersparen wollte. Und doch war Julia genauso sein Opfer wie seine Gegner in der Schlacht, und es war seine Schuld, wenn sie jetzt auf diesem Schmerzenslager litt. Dieser Gedanke quälte Gaius Marius.