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Es war nicht leicht gewesen, beim Essen das richtige Maß zu finden. Obwohl sie sich bemüht hatte, ihr Gewicht auf dem gleichen Stand zu halten, hatte sie immer weiter abgenommen. Und dann waren eines Tages sämtliche Ärzte, die sich monatelang vergebens um sie bemüht hatten, geschlossen zu Gaius Julius Caesar marschiert und hatten empfohlen, sie mit Zwang zu ernähren. Diese unerfreuliche Aufgabe hatten die Ärzte natürlich der Familie überlassen, und niemand erinnerte sich hinterher mehr freiwillig an diese Prozedur. Julilla hatte geschrieen, als würde man sie umbringen, hatte mit ihren schwachen Kräften gekämpft und jeden Bissen wieder erbrochen, herausgespuckt und herausgewürgt. Schließlich hatte Caesar befohlen, dem Schrecken ein Ende zu machen. Die Familie hatte sich zur Beratung zusammengesetzt und einstimmig beschlossen, Julilla nie mehr gewaltsam zu füttern, auch wenn es noch so schlecht um sie stand.

Aber seit jenem Tag wußte die ganze Nachbarschaft Bescheid, was in Caesars Haus vor sich ging. Bisher hatte die Familie geschwiegen, nicht aus Scham, sondern weil Gaius Julius Caesar Klatsch haßte.

Als erste eilte die Nachbarin Clitumna herbei, bewaffnet mit einem Kochrezept. Sie schwor, daß Julilla diese Speise freiwillig zu sich nehmen und auch bei sich behalten werde. Caesar und Marcia lauschten begierig ihren Worten.

»Ihr müßt frische Kuhmilch besorgen«, sagte Clitumna mit wichtiger Miene. Sie genoß es, im Mittelpunkt von Caesars Aufmerksamkeit zu stehen. »Ich weiß, daß sie nicht leicht zu bekommen ist, aber ich glaube, im Camenarum-Tal leben ein paar Bauern, die Milchkühe haben. Dann schlagt ihr ein Hühnerei in eine Tasse Milch und rührt drei Löffel Honig darunter. Das Gemisch schlagt ihr schaumig, und zuletzt fügt ihr eine halbe Tasse starken Wein hinzu. In einem Trinkgefäß aus Glas sieht das besonders schön aus: Sattrosa mit einem gelben Schaumhäubchen. Wenn sie das bei sich behält, bleibt sie am Leben.«

»Wir werden es versuchen«, sagte Marcia mit Tränen in den Augen.

»Meiner Schwester hat es geholfen.« Clitumna seufzte.

Caesar stand auf. »Ich werde sofort jemanden ins Camenarum-Tal schicken.« Er ging hinaus, steckte aber noch einmal den Kopf zur Tür herein. »Und die Hühnereier? Muß es ein extra großes Ei sein oder genügt auch ein normales?«

»Wir haben ein normales genommen«, sagte Clitumna und lehnte sich zurück. »Die besonders großen Eier könnten die Ausgewogenheit des Trankes zerstören.«

»Und der Honig?« fragte Caesar. »Gewöhnlicher latinischer Honig, oder sollen wir versuchen, Honig aus Hymetta zu bekommen?«

»Gewöhnlicher latinischer Honig genügt völlig«, sagte Clitumna bestimmt.

»In Ordnung.« Caesar entschwand wieder.

»Hoffentlich hilft es!« Marcia war den Tränen nahe. »Nachbarin, wir wissen uns nicht mehr zu helfen!«

»Das glaube ich gern. Aber macht nicht soviel Aufhebens darum, zumindest nicht, wenn Julilla es hört«, riet Clitumna. Sie konnte sehr vernünftige Ratschläge erteilen, wenn ihr eigenes Herz nicht betroffen war. Hätte sie allerdings von den Briefen gewußt, die sich in Sullas Zimmer türmten, wäre sie vermutlich weniger hilfsbereit gewesen. »Wir wollen keinen zweiten Todesfall«, sagte sie und schniefte trübselig.

»Ganz gewiß nicht!« rief Marcia. Sie besann sich auf ihre nachbarlichen Pflichten und fragte teilnahmsvolclass="underline" »Ich hoffe, du hast den Tod deines Neffen schon ein wenig verwunden, Clitumna?«

»Es geht einigermaßen«, erwiderte Clitumna. Sie hatte inzwischen festgestellt, daß ihr Leben wenigstens in einem Punkt entschieden leichter geworden war: Die dauernden Auseinandersetzungen zwischen Stichus und ihrem geliebten Sulla hatten aufgehört. Sie seufzte abgrundtief.

Dieser Begegnung folgten viele weitere, denn der Trank wirkte tatsächlich, und Caesars Familie war der vulgären Nachbarin unendlich dankbar.

»Dankbarkeit«, sagte Gaius Julius Caesar, der sich stets in sein Arbeitszimmer flüchtete, sobald er Clitumnas schrille Stimme im Atrium hörte, »kann eine verdammte Plage sein!«

»Aber Gaius Julius, sei doch nicht so empfindlich!« sagte Marcia tadelnd. »Clitumna ist wirklich sehr freundlich, und wir dürfen auf keinen Fall ihre Gefühle verletzen.«

»Ich weiß, daß sie ganz außerordentlich freundlich ist!« rief der Hausherr aufgebracht. »Genau das ist ja das Problem!«

Julillas großer Plan hatte Sullas Leben in einem Maße kompliziert, das ihr große Befriedigung verschafft hätte, wenn sie davon gewußt hätte. Aber sie wußte es nicht, denn Sulla verbarg seine Qualen und heuchelte gegenüber Julillas Leiden eine Gleichgültigkeit, die sogar Clitumna erfolgreich täuschte. Clitumna berichtete täglich Neues aus dem Nachbarhaus.

»Ich wünschte, du würdest einmal dort vorbeigehen und das arme Mädchen besuchen«, sagte sie eines Tages gereizt. »Sie fragt oft nach dir, Lucius Cornelius.«

»Ich habe Besseres zu tun, als mich um eine Frau in Caesars Haus zu kümmern«, sagte Sulla barsch.

»So ein dummes Geschwätz!« fuhr Nikopolis ihn an. »Du sitzt doch den ganzen Tag nur herum!«

»Ist das denn meine Schuld?« fragte er und drehte sich so heftig zu seiner Geliebten zu, daß sie erschrocken zurückwich. »Ich wüßte schon, was ich tun könnte! Ich könnte mit Silanus marschieren und gegen die Germanen kämpfen!«

»Warum gehst du dann nicht?« fragte Nikopolis. »Sie haben die Besitzanforderungen so gesenkt, daß ich sicher bin, sie würden dich nehmen.«

Sulla verzog den Mund zu einem häßlichen Grinsen. »Ich, ein Cornelius aus patrizischem Geschlecht, soll als einfacher Soldat in einer Legion dienen? Lieber lasse ich mich als Sklave an die Germanen verkaufen!«

»Das kann auch noch kommen, wenn die Germanen nicht aufgehalten werden.« Nikopolis war sichtlich wütend. »Clitumna hat dich lediglich gebeten, einem todkranken Mädchen einen lächerlich kleinen Gefallen zu tun, und du stehst da und faselst, daß du weder Zeit noch Lust dazu hast. Du bringst mich auf die Palme!« Ein boshaftes Glitzern trat in ihre Augen. »Schließlich mußt du doch zugeben, Lucius Cornelius, daß dein Leben hier sehr viel angenehmer ist, seit Lucius Gavius im richtigen Moment gestorben ist.« Und sie summte leise die Melodie eines bekannten Liedes, in dem der Sänger erzählte, er habe seinen Rivalen in der Gunst einer Frau ermordet, ohne dafür bestraft worden zu sein. »So paaaaasssend dahiiiinschied!« trällerte sie.

Sullas Gesicht wurde steinhart und seltsam ausdruckslos. »Meine liebe Nikopolis, warum gehst du nicht zum Tiber hinunter und stürzt dich hinein?«

Damit war das Thema Julilla fürs erste vom Tisch. Aber es tauchte beinahe täglich wieder auf, und seine heikle Lage machte Sulla schwer zu schaffen. Jeden Tag konnte Julillas Dienerin dabei ertappt werden, wie sie ihm einen Brief brachte, und Julilla konnte erwischt werden, wie sie ihm einen Brief schrieb. Wie stand er dann da? Wer würde ihm, bei seiner Vergangenheit, glauben, daß er gänzlich unschuldig war und keine Intrige angezettelt hatte? Wenn die Zensoren ihn aber für schuldig befanden, die Tochter eines patrizischen Senators sittlich verdorben zu haben, dann konnte er den Sitz im Senat vergessen. Und er wollte in den Senat.

Am liebsten wäre er von Rom fortgegangen, aber er wagte es nicht. Was würde das Mädchen in seiner Abwesenheit anstellen? Und so ungern er es sich auch eingestand, er brachte es einfach nicht fertig, wegzugehen, solange sie so krank war. Seine Gedanken drehten sich im Kreis. Immer wieder zog er den verwelkten Kranz aus Gras aus seinem Versteck in einem der Ahnenschreine hervor und schaute ihn an. Er kannte sein Ziel, und das dumme Mädchen würde alles kaputtmachen. Und doch hatte mit dem dummen Mädchen und dem Graskranz alles angefangen.

Er dachte sogar an Selbstmord, spielte mit der süßen Phantasie eines leichten Auswegs aus allen Schwierigkeiten, mit dem Traum vom ewigen Schlaf. Doch dann kehrten seine Gedanken unweigerlich zu Julilla zurück. Warum nur? Er liebte sie nicht, er konnte gar nicht lieben. Und doch gab es Zeiten, in denen er nach ihr verlangte, darauf brannte, sie zu beißen und zu küssen und in sie hineinzustoßen, bis sie vor ekstatischem Schmerz aufschreien würde. Zu anderen Zeiten, wenn er schlaflos zwischen seiner Geliebten und seiner Stiefmutter lag, haßte er Julilla abgrundtief, wollte er ihren mageren Hals zwischen seinen Händen spüren und ihre Augen hervorquellen sehen, wenn er den letzten Funken Leben aus ihr herauspreßte. Dann kam wieder ein Brief, und er fragte sich, warum er die Briefe nicht einfach wegwarf oder sie ihrem Vater brachte und der Tortur ein Ende machte. Statt dessen las er jeden Brief ein dutzendmal und steckte ihn dann in den Ahnenschrein zu den anderen.