Man rief sofort Ärzte, der ganze Haushalt rannte aufgescheucht umher. Clitumna schickte Diener aus, die Sulla suchen sollten, der früh am Morgen aus dem Haus gegangen war.
Als Nikopolis’ Puls sich beschleunigte und der Blutdruck sank, machten die Ärzte ernste Gesichter. Nikopolis bekam Krämpfe, ihr Atem ging langsam und flach, ihr Herz schlug unregelmäßig, und sie sank unaufhaltsam in tiefe Bewußtlosigkeit. Niemand dachte an die Pilze.
»Nierenversagen«, sagte Athenodorus von Sizilien, der inzwischen der erfolgreichste Arzt auf dem Palatin war.
Die anderen Ärzte stimmten ihm zu.
In dem Augenblick, als Sulla ins Haus stürzte, starb Nikopolis an starken inneren Blutungen - den Ärzten zufolge waren alle ihre inneren Organe zusammengebrochen.
»Wir sollten eine Autopsie durchführen«, sagte Athenodorus.
»Das meine ich auch«, sagte Sulla. Die Pilze erwähnte er mit keinem Wort.
»Ist es ansteckend?« fragte Clitumna. Sie sah alt und krank und sehr einsam aus.
Alle verneinten.
Die Autopsie bestätigte die Diagnose: Nieren- und Leberversagen. Die Nieren und die Leber waren geschwollen, verstopft und voller Blutungen. Es hatte Blutungen im Herzbeutel, im Magen, im Dünndarm und Dickdarm gegeben. Der unschuldig aussehende Weiße Knollenblätterpilz hatte sein zerstörerisches Werk gründlich vollbracht.
Da Clitumna völlig entkräftet war, organisierte Sulla die Bestattung und führte den Leichenzug als Haupttrauernder an, gefolgt von den führenden Schauspielern der komischen und pantomimischen Theater Roms. Es war ein langer Leichenzug, der Nikopolis sicher gefallen hätte.
Als Sulla anschließend zu Clitumnas Haus zurückkehrte, wartete dort Gaius Julius Caesar auf ihn. Sulla warf seine dunkle Trauertoga ab und ging zu Clitumna und ihrem Gast ins Wohnzimmer. Er hatte Gaius Julius Caesar nur wenige Male gesehen und noch nie mit ihm gesprochen. Daß der Senator Clitumna wegen des vorzeitigen Todes einer griechischen Dirne aufsuchen sollte, kam ihm merkwürdig vor, deshalb war er auf der Hut.
»Gaius Julius«, sagte er und verbeugte sich.
»Lucius Cornelius.« Caesar verbeugte sich gleichfalls.
Sie setzten sich. Caesar wandte sich freundlich der weinenden Clitumna zu.
»Warum willst du hier bleiben, meine Liebe?« fragte er. »Nebenan wartet Marcia auf dich. Frauen brauchen in Zeiten des Kummers die Gesellschaft von Frauen.«
Wortlos stand Clitumna auf und wankte zur Tür, während der Gast in seine dunkle Toga griff und eine kleine Rolle Papier herausnahm.
»Lucius Cornelius, deine Freundin Nikopolis ließ mich vor langer Zeit ihr Testament anfertigen und in die Obhut der Vestalinnen geben.«
»So?« sagte Sulla hilflos. Mehr fiel ihm nicht ein. Stumm saß er da und starrte Caesar verständnislos an.
Caesar kam zum Kern der Sache. »Lucius Cornelius«, sagte er, Nikopolis hat dich als Alleinerben eingesetzt.«
Sulla sah ihn noch immer verständnislos an. »So?«
»Ja.«
»Ich hätte es mir vielleicht denken können«, sagte Sulla und gewann allmählich seine Fassung zurück. »Aber es ist sowieso nicht wichtig. Sie hat alles ausgegeben, was sie besaß.«
Caesar sah ihn scharf an. »Aber nein, keineswegs. Nikopolis war ziemlich wohlhabend.«
»Unsinn«, sagte Sulla.
»Doch, Lucius Cornelius, sie war sehr wohlhabend. Sie hatte keinen Grundbesitz, aber sie war die Witwe eines Militärtribuns, der durch Beutegut reich geworden war, und sie hat das Geld in gewinnbringende Unternehmen investiert. Der Wert ihres Vermögens liegt gegenwärtig bei etwas über zweihunderttausend Denaren.«
Sullas Überraschung war zweifellos echt. Was immer Caesar bis zu diesem Augenblick von ihm gedacht haben mochte, er wußte, daß er jetzt einen Mann vor sich sah, der keine blasse Ahnung von dem Testament gehabt hatte. Entgeistert starrte Sulla auf das Papier. Dann schlug er sich die Hände vor das Gesicht, erschauerte und rang nach Luft. »So viel! Nikopolis?«
»So viel. Zweihunderttausend Denare. Oder achthunderttausend Sesterze, wenn dir das lieber ist. Eine fürstliche Summe.«
Sullas Hände sanken herab. »Oh, Nikopolis!« stöhnte er.
Caesar stand auf und streckte ihm die Hand hin. Sulla ergriff sie benommen.
»Nein, Lucius Cornelius, bleib sitzen«, sagte Caesar mit warmer Stimme. »Mein Lieber, ich kann dir gar nicht sagen, wie sehr mich das für dich freut. Ich habe schon oft von ganzem Herzen gewünscht, du mögest eines Tages ein besseres Los haben - und mehr Glück. Morgen früh werde ich die amtliche Testamentseröffnung vornehmen. Am besten triffst du mich um die zweite Stunde auf dem Forum, beim Tempel der Vesta.«
Nachdem Caesar gegangen war, saß Sulla lange Zeit reglos da. Das Haus war so still wie Nikopolis’ Grab.
Stunden später erhob er sich steif und ungelenk. Das Blut begann wieder zu zirkulieren, sein Herz füllte sich mit Glut.
»Lucius Cornelius, du bist endlich auf dem richtigen Weg«, sagte er laut und lachte.
Das Lachen hatte ganz leise begonnen, wurde allmählich lauter, schwoll an zu einem dröhnenden Gelächter, einem Brüllen, einem wiehernden Kreischen. Die Diener hörten starr vor Schrecken zu und berieten, wer sich in Clitumnas Wohnzimmer hineinwagen sollte. Aber noch ehe sie zu einer Entscheidung gekommen waren, verstummte das Lachen.
Clitumna alterte beinahe über Nacht. Zwar war sie erst fünfzig, aber der Tod ihres Neffen hatte den Alterungsprozeß stark beschleunigt, und jetzt war außerdem ihre beste Freundin gestorben. Nicht einmal Sulla gelang es, sie aus ihrer Schwermut herauszuholen, und weder eine Pantomime noch eine Posse konnte sie aus dem Haus locken. Sie litt darunter, daß der Kreis ihrer Vertrauten so drastisch schrumpfte. Wenn Sulla sie jetzt auch noch verließ - das Geld von Nikopolis hatte ihn unabhängig gemacht -, war sie ganz allein. Eine Aussicht, vor der ihr graute.
Wenige Tage nach Nikopolis’ Tod schickte sie nach Gaius Julius Caesar. »Toten kann man nichts hinterlassen«, sagte sie, »deshalb muß ich mein Testament noch einmal ändern.«
Also wurde das Testament geändert und anschließend wieder bei den Vestalinnen hinterlegt.
Clitumna trauerte weiter. Sie vergoß Ströme von Tränen, und ihre früher rastlosen Hände lagen gefaltet und müßig in ihrem Schoß. Alle sorgten sich um sie, aber alle wußten, daß man nichts anderes tun konnte als darauf warten, daß die Zeit die Wunden hellen würde. Falls noch Zeit war.
Für Sulla war es jetzt Zeit zu handeln.
Julillas letzter Brief hatte gelautet:
Ich liebe Dich, obwohl die Monate, aus denen inzwischen schon Jahre geworden sind, mir gezeigt haben, wie wenig meine Liebe erwidert wird, wie wenig Dich mein Schicksal rührt. Im Juni bin ich achtzehn geworden, und eigentlich sollte ich jetzt verheiratet werden, aber es ist mir gelungen, dieses Übel durch meine Krankheit hinauszuzögern. Ich will Dich heiraten, Dich und keinen anderen.
Mein Vater zögert, da er mich niemandem als begehrenswerte Braut anbieten kann, und ich werde dafür sorgen, daß es dabei bleibt, bis Du zu mir kommst und mir sagst, daß Du mich heiraten willst. Du hast einmal zu mir gesagt, ich sei ein kleines Kind, ich würde aus meiner unreifen Liebe zu Dir herauswachsen. Aber ich habe bewiesen, daß meine Liebe zu dir so verläßlich ist wie die Rückkehr der Sonne aus dem Süden im Frühjahr. Deine magere griechische Freundin, die ich mit jedem Atemzug gehaßt und verflucht habe, ist tot.
Du siehst, wie mächtig ich bin, Lucius Cornelius! Warum begreifst Du nicht, daß Du mir nicht entrinnen kannst? Du liebst mich, ich weiß, daß Du mich liebst. Gib nach, Lucius Cornelius, gib nach!