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Das Fest nahm einen schwungvollen Anfang. Sulla mit seinen lebenden Schlangen war zweifellos ein Erfolg, während über Clitumna, das Äffchen, am meisten gelacht wurde. Der Wein floß in Strömen. Schon lange vor Anbruch des neuen Jahres dröhnte das Gelächter und Geschrei der Gäste aus dem Säulengarten hinter dem Haus zu den erbosten Nachbarn hinüber. Als letzter Gast wankte Skylax zur Tür herein. Er trug Sandalen mit hohen Plateausohlen aus Kork und eine goldblonde Perücke, und unter seinem prachtvollen Gewand wölbten sich riesige Brüste. Geschminkt war er wie eine alte Hure. Arme Venus! Im Schlepptau hatte er Metrobius, seinen Cupido.

Kaum hatte Sullas größte Schlange einen Blick auf ihn geworfen, als sie sich auch schon in Sekundenschnelle aufrichtete, was weder das Äffchen noch die Jägerin Diana sonderlich erfreute und auch die Venus Skylax verdrießlich dreinblicken ließ. Und dann kam es zu einem wilden Durcheinander, das jeder Bühnenposse Ehre gemacht hätte: ein hüpfender blauer Hintern, eine hüpfende entblößte Brust, eine hüpfende blonde Perücke, eine hüpfende Schlange und ein hüpfender gefiederter Knabe. Ihren Höhepunkt erreichte die Hüpferei, als Sulla mit Metrobius hinter einem Sofa verschwand und den Knaben dort liebte. Leider war die Ecke den Blicken der anderen nicht so verborgen, wie die beiden gehofft hatten.

Natürlich hatte Sulla gewußt, daß er einen furchtbaren Fehler beging, doch genützt hatte das nichts. Von dem Augenblick an, als er die an den seidigen Schenkeln herunterlaufende Farbe gesehen und einen Blick in die glänzenden schwarzen Augen mit den langen Wimpern geworfen hatte, war es um ihn geschehen. Er war dem Knaben hoffnungslos verfallen. Und als er mit den Fingern über das gerüschte Röckchen strich, das der Knabe trug, und es gerade so weit lüftete, daß er die Schönheit des unbehaarten, mattgoldenen Schatzes darunter sehen konnte, gab es kein Halten mehr. Er hatte den Knaben hinter ein Sofa drängen und ihn besitzen müssen.

Fast wäre aus der Posse eine Tragödie geworden. Clitumna ergriff einen kostbaren Kelch aus Alexandriner Glas, zertrümmerte ihn und ging mit den Scherben in der Hand auf Sulla los. Nikopolis stürzte sich daraufhin mit einem Weinkrug auf Clitumna, Skylax bearbeitete Metrobius mit einem seiner Plateauschuhe. Gebannt sah die Festgesellschaft dem Spektakel zu. Zum Glück war Sulla noch nicht so betrunken, daß er nicht mehr Herr seiner Kräfte gewesen wäre. Er machte kurzen Prozeß und schlug Skylax so gewaltig auf sein dick geschminktes Auge, daß es für mindestens einen Monat zuschwoll. Den langen, nackten Beinen der Diana verpaßte er einen Köcher voll spitzer Pfeile, Clitumna legte er übers Knie und schlug ihre blaubemalten Hinterbacken so lange, bis sie schwarz waren. Dann dankte er dem Knaben mit einem sehnsuchtsvollen Zungenkuß und begab sich mit einem überwältigenden Gefühl des Ekels zu Bett.

Erst am Neujahrsmorgen begriff Sulla, was sich abgespielt hatte: keine Posse und auch keine Komödie, sondern eine Tragödie, nicht minder sonderbar und voller häßlicher Verwicklungen wie eine der Tragödien, die Sophokles in tiefster Verzweiflung über das Treiben der Götter und Menschen geschrieben hatte. Heute, am ersten Tag des neuen Jahres, hatte Sulla Geburtstag. Er war jetzt genau dreißig Jahre alt.

Er wandte sich den beiden raufenden und keifenden Frauen zu und sah sie so voller Zorn, Schmerz und Abscheu an, daß sie augenblicklich verstummten. Reglos hockten sie da wie Statuen, während er eine frische weiße Tunika anzog und sich von einem Sklaven in eine Toga hüllen ließ, die er in den letzten Jahren höchstens zu Theaterbesuchen angezogen hatte. Erst als er gegangen war, kam wieder Bewegung in die Frauen. Sie starrten einander an, und dann jammerten und weinten sie, ohne zu verstehen, daß sie nicht um sich, sondern um ihn weinten.

In Wirklichkeit war das Leben des Lucius Cornelius Sulla eine einzige Lüge. Er hatte sich schon immer etwas vorgelogen. Die Welt, in der er dreißig Jahre lang gehaust hatte - eine Welt von Säufern, Bettlern, Schauspielern, Dirnen, Betrügern und freigelassenen Sklaven - war nicht seine Welt.

In Rom gab es unzählige Familien mit dem Namen Cornelius. Sie trugen diesen Namen, weil ein Vater, Großvater oder anderer Vorfahr irgendwann einmal als Sklave oder Bauer zum Haushalt eines Patriziers namens Cornelius gehört hatte. War der Vorfahr anläßlich einer Heirat, Geburt oder Beerdigung aus der Leibeigenschaft entlassen worden oder hatte er sich mit eigenen Ersparnissen freigekauft, hatte er den Namen seines Herrn übernommen. Er nannte sich fortan auch Cornelius und blieb dem Geschlecht, dessen Namen er das Bürgerrecht verdankte, als Klient verbunden.

Mit Ausnahme von Clitumna und Nikopolis gingen auch alle Bekannten Sullas wie selbstverständlich davon aus, daß Sulla ein solcher Cornelius war, also der Sohn, Enkel oder Urenkel eines Sklaven oder Bauern. Seiner hellen Hautfarbe nach eher eines Sklaven als eines Bauern. Natürlich gab es Patrizier, die Cornelius Scipio, Cornelius Lentulus oder Cornelius Merula hießen, aber wer hatte je von einem Patrizier namens Cornelius Sulla gehört? Kein Mensch wußte, was der Name Sulla überhaupt bedeutete!

Lucius Cornelius Sulla aber war tatsächlich ein Patrizier, der Sohn eines Patriziers, der Enkel eines Patriziers und so fort bis in die Zeit der Gründung Roms, auch wenn er in den Listen der Zensoren unter den capite censi geführt wurde, den besitzlosen Römern. Seine Herkunft qualifizierte Sulla für eine glänzende politische Laufbahn, den cursus honorum. Seine Geburt berechtigte ihn, Konsul zu werden.

Aber Lucius Cornelius Sulla war arm. Sein Vater hatte ihm außer dem Bürgerrecht nichts hinterlassen, er hatte nicht einmal genug besessen, um seinen Sohn in die unterste der fünf Vermögensklassen eintragen zu lassen. Auf Sulla wartete kein roter Streifen auf der Tunika, weder der schmale Streifen der Ritter noch der breite Streifen der Senatoren. Wenn er sagte, daß er aus dem Geschlecht der Cornelier stamme, wurde er ausgelacht. Schließlich gehörte das Geschlecht der Cornelier zu den vier ältesten der fünfunddreißig römischen Tribus, und es war unvorstellbar, daß ein Mitglied dieser Familie zu den capite censi gehörte.

An seinem dreißigsten Geburtstag hätte Sulla eigentlich Senator werden sollen - die Zensoren hätten ihn entweder als gewählten Quästor oder allein aufgrund seiner Abstammung in den Senat berufen müssen. Statt dessen war er der Gespiele zweier ordinärer Weiber, und es bestand nicht die geringste Hoffnung, daß er jemals die nötigen Mittel würde aufbringen können, um sein Geburtsrecht wahrzunehmen. Im nächsten Jahr würde ein Zensus stattfinden. Sulla wünschte sich, stolz vor die Zensoren auf dem Forum Romanum treten zu können, um ihnen ein Jahreseinkommen von einer Million Sesterze vorzuweisen! Denn das war das Mindesteinkommen für einen Senator. Oder wenigstens 400 000 Sesterze, das Mindesteinkommen für einen Ritter! Doch er besaß nichts, sein jährliches Einkommen hatte 10 000 Sesterze nie überstiegen, und er ließ sich von Frauen aushalten. Unter die Armutsgrenze fiel in Rom, wer sich nicht einmal einen Sklaven halten konnte, und so gesehen hatte Sulla schon einige Male unter der Armutsgrenze gelebt. Er, ein patrizischer Cornelius!

In jenen zwei Jahren, als er tapfer den Verlockungen Clitumnas widerstanden und in dem Mietshaus auf dem Esquilin gehaust hatte, hatte er auf den Docks im Hafen Arbeit suchen müssen, hatte Weinkrüge geschleppt und Weizenurnen verladen, nur damit er sich einen Sklaven leisten konnte. Denn niemand sollte merken, daß er im Elend lebte. Mit zunehmendem Alter wuchs auch sein Stolz oder genauer - das Bewußtsein seiner Erniedrigung. Er hatte stets dem Drang widerstanden, sich eine regelmäßige Arbeit zu suchen, ein Handwerk in einer Gießerei oder Zimmerei zu erlernen, als Schreiber in einem Kontor oder als Schriftenkopierer für einen Verlag oder eine Leihbücherei zu arbeiten. Wer auf den Docks, auf den Märkten und auf Baustellen arbeitete, brauchte keine lästigen Fragen zu beantworten. Wer regelmäßig am selben Arbeitsplatz erschien, mußte alle möglichen Fragen beantworten. Nicht einmal Soldat konnte er werden, denn auch dafür hätte er Vermögen nachweisen müssen. Von der Geburt her hätte er Feldherr sein können, aber er hatte noch nie ein Schwert getragen, auf einem Pferd gesessen oder einen Speer geworfen, nicht einmal auf den Exerzierplätzen des Campus Martius bei der Villa Publica.