Выбрать главу

»Und nichts gefunden?«

Darlen hatte das Gesicht verzogen. »Ich fand – wie gewöhnlich bei einem Verstorbenen – noch Lebensenergie in reichem Maße. Sie rührt von den vielen Organismen her, die während der Zersetzung des Körpers aktiv sind. Aber sein Herz stand still, und sein Geist war erloschen. Allerdings konnte ich einen anderen Herzschlag entdecken. Schwach und langsam, aber definitiv ein Herzschlag.«

»Wie war das möglich? Hatte er zwei Herzen?«

»Nein.« Darlens Stimme klang gequält. »Er war… er war an einer Sefli erstickt.«

Zwei seiner Freunde, die ebenfalls Heiler waren, hatten gelacht. Der dritte, ein Alchemist, hatte Darlen ratlos angeschaut. »Wieso hatte er denn eine Sefli-Eidechse im Hals sitzen? Die sind doch giftig. Ist er von irgendjemandem ermordet worden?«

»Nein.« Darlen hatte geseufzt. »Ihr Biss ist giftig, aber ihre Haut enthält eine Substanz, die Euphorie und Visionen hervorruft. Manche lieben diesen Effekt. Sie lutschen an dem Reptil.«

»Sie lutschen an giftigen Reptilien?« Der junge Alchemist hatte es nicht glauben mögen. »Und was habt Ihr getan?«

Darlen wurde rot. »Die Sefli war dem Ersticken nahe, also habe ich sie herausgezogen. Anscheinend war die Frau mit den Gewohnheiten ihres Mannes nicht vertraut. Sie wurde hysterisch. Wollte nicht mehr in ihr Haus zurück, weil sie Angst hatte, es wimmle dort womöglich von diesen Tieren und eins könne ihr nachts in den Hals kriechen.«

Das hatte den beiden älteren Heilern weitere Lachsalven entlockt. Lorlen konnte sich bei dem Gedanken daran ein Lächeln nicht verkneifen. Die Heiler brauchten einen gewissen Sinn für Humor, aber dieser Humor nahm bei ihnen oft seltsame Formen an. Die Erinnerung hatte ihm jedoch eine Idee eingegeben. Eine Leiche war immer noch voller Lebensenergie, aber dem Körper eines Opfers schwarzer Magie sollte alle Lebensenergie entzogen worden sein. Um festzustellen, ob der Mörder sich schwarzer Magie bediente, brauchte Lorlen lediglich eins der Opfer mit seinen heilenden Sinnen zu untersuchen.

Nachdem Barran seine Beschreibung des Fundorts beendet hatte, trat Lorlen an die Bahre heran. Er wappnete sich innerlich, legte dem Toten eine Hand auf den Arm, schloss die Augen und drang mit seinen Sinnen in den leblosen Körper ein.

Es kam ihm überraschend einfach vor, bis ihm wieder einfiel, dass sich die von der Haut eines lebenden Wesens gebildete natürliche Grenze im Moment des Todes auflöste. Er streckte seinen Geist aus und durchsuchte die Leiche, fand aber nur äußerst geringfügige Spuren von Lebensenergie. Der Verwesungsprozess war unterbrochen worden – oder besser gesagt, hinausgezögert -, weil es keinen lebenden Organismus mehr in der Leiche gab, von dem ein solcher Prozess seinen Ausgang hätte nehmen können.

Lorlen öffnete die Augen und ließ den Arm des Toten los. Dann besah er sich den flachen Schnitt auf dem Hals des Mordopfers, der, dessen war er sich jetzt gewiss, den Mann getötet hatte. Der Stich ins Herz war vermutlich erst später erfolgt, um den Ermittlern eine plausible Todesursache vorzutäuschen. Er senkte den Blick auf den Ring an seinem Finger.

Also ist es wahr, überlegte er. Der Mörder bedient sich schwarzer Magie. Aber war dies nun Akkarins Tat, oder macht ein weiterer schwarzer Magier die Stadt unsicher?

2

Die Befehle des Hohen Lords

Rothen nahm die Tasse mit dampfendem Sumi von dem niedrigen Couchtisch und ging hinüber zum Fenster. Nachdem er die papierbespannte Blende zur Seite geschoben hatte, ließ er den Blick über die Gärten schweifen.

Der Frühling hatte dieses Jahr zeitig Einzug gehalten. An Hecken und Bäumen leuchteten kleine Blüten, und ein von seiner Arbeit begeisterter neuer Gärtner hatte entlang der Wege Rabatten mit leuchtend bunten Blumen angelegt. Obwohl der Morgen noch jung war, spazierten bereits Magier und Novizen durch die Blütenpracht.

Rothen hob die Tasse an die Lippen und nahm einen kleinen Schluck. Der Sumi war frisch und bitter. Seine Gedanken wanderten zum Vorabend zurück, und unwillkürlich verzog er das Gesicht. Einmal in der Woche war er zum Abendessen bei seinem väterlichen Freund Lord Yaldin und dessen Frau, Ezrille, zu Gast. Yaldin war ein Freund von Rothens inzwischen verstorbenem Mentor, Lord Margen, gewesen und betrachtete es immer noch als seine Pflicht, ein Auge auf Rothen zu haben – und just aus diesem Grunde hatte sich Yaldin während der gestrigen Mahlzeit bemüßigt gefühlt, Rothen nahe zu legen, sich keine Sorgen mehr um Sonea zu machen.

»Ich weiß, dass du sie immer noch beobachtest«, hatte der alte Magier gesagt.

Rothen hatte die Achseln gezuckt. »Ich mache mir Sorgen um sie.«

Yaldin schnaubte leise. »Sie ist der Schützling des Hohen Lords. Sie ist nicht länger darauf angewiesen, dass du dich um ihr Wohlergehen sorgst.«

»Das ist sie durchaus«, hatte Rothen erwidert. »Glaubst du, der Hohe Lord gäbe etwas darum, ob sie glücklich ist oder nicht? Er ist lediglich an ihren akademischen Fortschritten interessiert. Aber das Leben besteht nicht nur aus Magie.«

Ezrille lächelte traurig. »Natürlich tut es das nicht, aber…« Sie zögerte und seufzte dann. »Sonea hat, seit der Hohe Lord sich zu ihrem Mentor erklärt hat, kaum noch ein Wort mit dir gesprochen. Glaubst du nicht, sie hätte dich inzwischen einmal besucht, falls sie dich brauchte? Sie ist jetzt bereits über ein Jahr bei ihm. Ganz gleich, wie sehr ihre Studien sie in Anspruch nehmen, sie hätte gewiss die Zeit finden können, dich einmal zu treffen.«

Rothen war unwillkürlich zusammengezuckt. Die mitleidigen Mienen des Ehepaares sprachen eine deutliche Sprache; sie hatten seine Reaktion bemerkt und mussten nun glauben, er sei verletzt, weil Sonea ihn so offensichtlich fallen gelassen hatte.

»Es geht ihr wirklich gut«, hatte Yaldin sanft gesagt. »Und dieser Unfug mit den anderen Novizen ist lange vorbei. Kümmere dich nicht weiter darum, Rothen.«

Rothen hatte Zustimmung geheuchelt. Er konnte seinen Freunden die wahren Gründe dafür, dass er Sonea beobachtete, nicht nennen. Wenn er es täte, würde er mehr als nur Soneas Leben gefährden. Selbst wenn Yaldin und Ezrille sich zum Schweigen verpflichten würden, um Sonea zu schützen – Akkarin hatte befohlen, dass es niemand anders wissen dürfe. Einen Verstoß gegen diesen »Befehl« könnte Akkarin als Vorwand benutzen, um… ja, um was zu tun? Um sich die Gilde mit schwarzer Magie gefügig zu machen? Er war bereits der Hohe Lord. Was sonst sollte er noch wollen?

Vielleicht noch mehr Macht. Vielleicht die Regierungsgewalt, die jetzt dem König zukam. Die Herrschaft über die verbündeten Länder. Die Freiheit, nach Belieben mittels schwarzer Magie seine Kräfte weiter anwachsen zu lassen, bis er mächtiger war als jeder Magier vor ihm.

Aber wenn Akkarin etwas Derartiges hätte tun wollen, dann hätte er es bestimmt schon vor langer Zeit getan. Rothen musste zähneknirschend anerkennen, dass Akkarin seines Wissens nichts unternommen hatte, um Sonea irgendwie zu schaden. Er hatte sie nur ein einziges Mal in Gesellschaft ihres Mentors gesehen, und zwar am Tag der Herausforderung, des großen Kampfes in der Arena.

Yaldin und Ezrille hatten das Thema schließlich fallen lassen. »Wenigstens nimmst du jetzt kein Nemmin mehr«, hatte Ezrille noch gemurmelt, bevor sie sich nach Dorrien, Rothens Sohn, erkundigt hatte.

Bei der Erinnerung daran verspürte Rothen leichte Verärgerung. Er blickte zu Tania, seiner Dienerin, hinüber. Sie war gerade dabei, mit einem Tuch sorgfältig seine Bücherregale abzustauben.

Tania hatte Ezrille und Yaldin aus Sorge um seine Gesundheit erzählt, dass er ein Schlafmittel nahm. Obwohl er wusste, dass er sich normalerweise vollkommen auf die Verschwiegenheit seiner Dienerin verlassen konnte, stieg ein leiser Groll in ihm auf. Aber wie konnte er ihr diese Indiskretion verübeln, da sie doch bereitwillig für ihn die Spionin spielte? Da Tania mit Soneas Dienerin, Viola, befreundet war, konnte sie ihn auf diese Weise über Soneas Gesundheitszustand, ihre Stimmungen und gelegentliche Besuche bei ihrer Tante und ihrem Onkel in den Hüttenvierteln auf dem Laufenden halten.