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Es wollte mir in diesem Augenblick erscheinen, als habe der Spieler absichtlich einen schwachen Zug gemacht, um das Spiel gegen sich zu wenden. Ich selbst hatte Centius aus Cos in Ko-ro-ba ein Dutzendmal spielen sehen, ohne daß er einen solchen Rückzug gemacht hätte. Als ich die Erregung des Weinhändlers spürte, war ich traurig, denn der Spieler mußte nun verlieren. Der Weinhändler spielte nämlich für einen Amateur recht gut.

Unzufrieden verfolgte ich das Spiel weiter. Hier und da bemerkte ich kleine, wirkungslose Züge des Spielers, bei denen er sich Blößen gab, die sich nach vier oder fünf Zügen sehr fatal auswirken mußten. Als das Spiel seinen Fortgang nahm, schien der Spieler aus sich herauszugehen, und der Weinhändler begann zu schwitzen, rieb sich die Finger, stützte den Kopf in die Hände und musterte das Spielfeld, als wollte er es mit den Blicken durchbohren.

Von den Zuschauern zeigte sich niemand überrascht, daß der Blinde jeden Zug aus dem Kopf vornahm, denn viele Goreaner spielen sogar ohne Brett und ohne Figuren, um in Übung zu bleiben, obwohl es natürlich praktischer und weniger anstrengend ist, sich anhand der Figuren über den Spielstand zu informieren.

Es herrschte Stille ringsum. Von Zeit zu Zeit stießen neue Zuschauer zu unserer Gruppe, die jedoch bald wieder absprangen, als sie sahen, was da geschah. Etwa sieben oder acht Interessenten hielten den beiden jedoch die Treue.

Schließlich wurde es spät, und das Spiel neigte sich seinem Ende zu; es konnte nur noch vier oder fünf Züge dauern, bis der Heimstein des Spielers verloren war. Der Weinhändler hatte seine 3-Zug-Option sehr spät in Anspruch genommen und damit einen unglaublich gefährlichen Angriff aufgebaut. Der Spieler steckte derart bös in der Klemme, daß ich der Meinung war, nicht einmal Centius aus Cos oder Quintus aus Tor oder sogar der Stadtmeister Scormu s hätten noch etwas unternehmen können. Wütend ergriff ich das Wort. Der Spieler konnte natürlich nur meine Stimme hören. »Eine Tarnmünze aus Gold, doppeltes Gewicht, auf Rot, wenn Rot gewinnt.«

Verblüffte Ausrufe wurden laut. Der Weinhändler zuckte zusammen. Der Spieler richtete seine blicklosen Augen auf mein Gesicht.

Ich zog eine doppelte Tarnmünze aus der Gürteltasche und reichte sie dem Spieler, der sie in den Fingern drehte, ihr Gewicht abschätzte und das Metall mit den Zähnen testete. Dann gab er mir das Geldstück zurück. »Es ist wirklich Gold«, sagte er. »Verspotte mich nicht.«

»Ein doppelter Tarn«, wiederholte ich, »auf Rot, wenn Rot gewinnt.«

Einen solchen Betrag verdient ein Spieler kaum in einem Jahr. Der Spieler wandte seinen Kopf in meine Richtung. Jeder Nerv in diesem alten Gesicht schien angespannt zu sein, als versuche er zu verstehen, was dort in der Schwärze außerhalb seiner Welt vorging. Er streckte seine Hand über das Spielbrett aus, und ich umfaßte sie in festem Griff.

»Zweiter Tarnkämpfer«, sagte er, »auf Ubars Baumeister Neun.« Ein verblüffter Aufschrei erklang. Sogar der Weinhändler erhob seine Stimme.

Der Alte muß wahnsinnig sein, dachte ich. Ein solcher Zug hatte mit dem Spiel überhaupt nichts zu tun, ein bedeutungsloser Zufallswurf. Der Spieler sah sich einem der vernichtendsten Angriffe gegenüber, die das Spiel überhaupt entwickeln konnte. In vier Zügen mußte sein Heimstein fallen. Er mußte sich verteidigen, mußte um sein Leben kämpfen!

Mit zitternder Hand schob der Weinhändler seinen Zweiten Speerträger nach links und schlug damit den Ersten Speerkämpfer des Spielers, der ungedeckt gewesen war.

Ich stöhnte innerlich auf.

»Ubars Tharlarionreiter«, sagte der Spieler, »auf Ubara Acht.«

Ich schloß die Augen. Wieder ein sinnloser Zug. Die Menge starrte sich sprachlos an. War dieser Mann überhaupt ein Spieler?

Erbarmungslos drang der Weinhändler mit seinem Zweiten Speerträger weiter vor und schlug diesmal den Ubara-Tharlarion-reiter des Spielers.

»Ubars Schriftgelehrter auf Ubara-Schriftgelehrten Sechs«, sagte der Spieler.

Normalerweise wäre ich jetzt gegangen, aber da ich das Goldstück ausgesetzt hatte, mußte ich bis zum Schluß bleiben, der – und das war ein schwacher Trost – nicht mehr lange auf sich warten lassen konnte.

Sogar der Weinhändler schien unruhig zu werden. »Möchtest du deinen letzten Zug noch einmal bedenken?« fragte er, womit er dem anderen eine seltene Chance bot, eine Handlungsweise, die ich von diesem Mann nicht erwartet hatte.

Doch der blinde Spieler wiederholte seinen Zug, und mechanisch setzte der Weinhändler die Steine für seinen Gegner.

»Mein Erster Tarnkämpfer«, sagte er dann, »schlägt Ubaras Schriftgelehrten.«

Die Entführung des Heimsteins des Blinden mußte beim Nächsten Zug erfolgen.

»Möchtest du deinen Zug noch ein mal überdenken?« fragte der Spieler und starrte lächelnd ins Leere. Ihn umgab in diesem Augenblick ein Hauch von Größe.

Der Weinhändler sah ihn verwirrt an. »Nein«, sagte er. »Und mit dem nächsten Zug schlage ich deinen Heimstein.«

»Aber du hast keinen nächsten Zug mehr«, entgegnete der Spieler.

Die Zuschauer schrien verblüfft auf, und ich und der Weinhändler musterten die Spielfläche.

»Aii!« brüllte ich los, ein Ausbruch, der kaum zu meinem düsteren Äußeren paßte, und gleich darauf sahen es auch der Tarnzüchter und der Sattelmacher. Die Zuschauer begannen sich begeistert auf die Schultern zu schlagen. Auch der Weinhändler heulte vor Vergnügen auf und klatschte sich auf die Knie. »Großartig!« rief er, umfaßte die Schultern des Spielers und schüttelte sie.

Stolz, als sei es sein eigener Zug, verkündete er den letzten Vorstoß des Spielers »Schriftgelehrter nimmt Heimstein«.

Die Zuschauer und ich brüllten, bewunderten die jetzt offenkundige Einfachheit des Angriffs, der durch die scheinbar sinnlosen Züge vorbereitet worden war, die das Brett nur klären sollten. Niemand von uns hatte den Angriff erwartet, am wenigsten der Weinhändler, der jetzt dem Spieler seinen Gewinn, eine kupferne Tarnmünze, in die Hand drückte. Der Blinde steckte die Münze in seinen Beutel. Ich überreichte ihm die goldene Tarnmünze, und er nahm das Geld und stand lächelnd auf. Der Weinhändler sammelte die Figuren ein und hängte dem Spieler den Lederbeutel über die Schulter; schließlich reichte er ihm auch das Brett.

»Vielen Dank für das Spiel. Ich wünsche dir alles Gute«, sagte er.

»Ich wünsche dir alles Gute«, entgegnete der Spieler.

Der Weinhändler wandte sich zum Gehen. Der Spieler lächelte ihm nach.

»Du bist Kaufmann?« fragte er mich.

»Nein«, antwortete ich.

»Wieso hast du dann solche Reichtümer zu vergeben?«

»Das hat nichts zu besagen. Darf ich dich nach Hause begleiten?«

In diesem Augenblick löste sich der Tarnzüchter aus der Gruppe der anderen und lächelte mich an. »Gut gemacht, Attentäter«, sagte er und ging weiter.

Ich wandte mich wieder an den Spieler, der jedoch zurückgewichen war und jetzt einsam mitten auf der Straße stand.

»Du gehörst zu den Attentätern?« fragte er.

»Ja«, sagte ich, »das ist meine Kaste.«

Er drückte mir das Goldstück in die Hand und stolperte fort, wobei er sich vorsichtig an einer Mauer entlangtastete.

»Warte!« rief ich. »Du hast es gewonnen. Nimm es!« Und ich lief ihm nach.

»Nein!« rief er und schlug abwehrend mit der Hand nach mir, versuchte mich fortzudrängen. »Es ist schwarzes Gold«, sagte er schweratmend.

»Es ist schwarzes Gold!« Dann tastete er sich weiter.

Ich stand auf der Straße und sah ihm nach und hielt das Goldstück in der Hand, das für ihn bestimmt gewesen war.

3

»Stelle mir dein erstes Schwert entgegen«, sagte ich, »auf daß ich ihn töte.«

Cernus aus Ar, aus dem Hause des Cernus, musterte mich. Sein großes Gesicht war ausdruckslos, seine Augen verrieten nichts, waren wie graue Steine. Seine großen Hände ruhten auf den Seitenlehnen des verzierten Stuhls, auf dem er saß – auf einer Steinplattform, die etwa dreißig Zentimeter hoch war und drei Meter im Quadrat maß.