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Nachdenklich rieb er die grauhaarige Wange seiner Maske.

Nun ja, Esteban Rolver, Direktor des Raumhafens, würde ihm sicherlich helfen und ihm vielleicht einen Trupp Sklaven zur Verfügung stellen.

10. Januar, Universal-Zeit. Er zog seinen Umrechnungskalender zu Rate. Heute, der 40. in der Jahreszeit des Bitteren Nektars… Sein Finger ging die Liste entlang. 10.

Januar. Heute. In der Ferne rumpelte es. Aus dem Dunst tauchte ein dunkler Umriß auf. Der Leichter kehrte zurück vom Kontakt mit der Carina Cruzeiro.

Thissell las noch einmal die Mitteilung durch und schaute dem sich senkenden Leichter entgegen. In fünf Minuten würde ihm Haxo Angmark entsteigen. Die Landeformalitäten hielten ihn vielleicht zwanzig Minuten auf, doch das Landefeld selbst war eineinhalb Meilen entfernt und nur über eine gewundene schmale Straße durch die Berge zu erreichen.

„Wann kam diese Mitteilung?“ fragte Thissell den Sklaven.

Der gab vor, nicht verstanden zu haben. Das tat er erst, als Thissell zum Klang des hymerkins die Frage sang. „Wie lange erfreust du dich schon der Ehre, den Brief in Händen zu halten?“

„Lange Tage habe ich gewartet am Dock“, sang der Sklave, „und nur beim Anbruch der Nacht zog ich mich zurück. Endlich wurde mein Warten belohnt. Ich sehe vor mir Ser Thissell.“

Zornig lief Thissell weg. Diese umständlichen, unfähigen Sirener! Warum hatte man die Botschaft nicht an seinem Hausboot abgeliefert? Noch zweiundzwanzig Minuten… Auf der Esplanade hielt Thissell an und hoffte auf ein Wunder: auf einen Lufttransport, der ihn im Nu zum Raumhafen brachte, wo mit Rolvers Hilfe Haxo Angmark aufgehalten werden konnte. Oder noch besser, ein zweiter Befehl, der den ersten aufhob. Irgend etwas. Aber auf Sirene gab es keine Luftwagen, ein zweiter Bote kam nicht.

Gegenüber an der Esplanade gab es eine dünne Reihe von Dauerbauten aus Stein und Eisen, errichtet gegen die Nachtmenschen. Eines dieser Gebäude bewohnte ein Stallknecht, und Thissell sah auch einen Mann in reicher Silbermaske mit Perlen, der auf einem der eidechsenähnlichen Reittiere von Sirene herauskam. Noch hatte Thissell etwas Zeit, und mit einigem Glück konnte er Haxo Angmark festnehmen. Er eilte also über die Esplanade.

Der Stallknecht stand vor seinen Tieren und musterte sie, polierte dann und wann eine Schuppe oder verscheuchte ein Insekt. Fünf ausgezeichnete Tiere, alle fast mannshoch, standen da; sie hatten massive Beine und dicke Körper, und ihre Köpfe waren schwer und keilförmig. Die Fangzähne waren künstlich verlängert und zu Kreisen geformt; an ihnen hingen goldene Ringe. Die Schuppen waren mit purpurfarbenen, grünen, orangefarbenen, roten, blauen, braunen, rosa, gelben und silbernen Dreiecken bemalt.

Atemlos stand Thissell schließlich vor dem Stallknecht, griff nach seinem kiv und zögerte. War dies eine gelegentliche persönliche Begegnung? Oder gehörte sich hier das zachinko?

Nein, so formell brauchte er nicht zu tun. Der kiv erschien ihm besser. Er schlug einen Akkord an, doch er entdeckte, daß er dies auf der ganga getan hatte. Unter seiner Maske grinste Thissell verlegen. Seine Beziehung zu dem Stallknecht war keineswegs intim. Er hoffte, der Mann möge von heiterer Gemütsart sein, und die Dringlichkeit seiner Sache ließ außerdem eine sorgfältige Wahl des Instruments nicht zu. Er zupfte einen zweiten Akkord, tat das so gefühlvoll, wie seine mangelnde Geschicklichkeit dies erlaubte, und sang dazu:

„Ich brauche sofort ein schnelles Reittier. Erlaube mir, eines aus deiner Herde auszuwählen.“

Der Stallknecht trug eine recht komplizierte Maske, die Thissell nicht identifizieren konnte, ein Gebilde aus poliertem braunem Metall, gefälteltem grauem Leder und zwei große grüne und scharlachrote Kugeln hoch auf der Stirn; sie waren wie Insektenaugen unterteilt. Er musterte Thissell ziemlich lange, dann wählte er sein stimic, das Instrument der Ablehnung, entlockte ihm eine brillante Reihe von Trillern und sich wiederholender Tonfolgen, die Thissell nicht verstand.

Der Stallknecht sang: „Ser Mondmotte, ich fürchte, daß meine Tiere einem Mann von deiner Würde nicht genügen.“

Thissell zupfte seine ganga. „Absolut nicht, sie erscheinen mir gut. Ich bin in großer Eile und nehme gerne jedes Tier der Gruppe an.“

Der Stallknecht spielte ein brüchiges Kreszendo. „Ser Mondmotte, die Tiere sind krank und schmutzig. Es schmeichelt mir, daß du sie für geeignet hältst, doch ich kann soviel Ehre nicht annehmen.“ Er wechselte die Instrumente.

„Ich erkenne leider nicht den Zechbruder und Handwerksgefährten, der mich so vertraut mit seiner ganga anklimpert“, sang er und spielte dazu den krodatch, das Instrument der Beleidigung.

Es war klar: Thissell würde kein Reittier bekommen. Er drehte sich also um und begab sich auf einen Dauerlauf zum Raumhafen. Hinter ihm tönte des Stallknechtes hymerkin, doch Thissell wußte nicht, war dies nun gegen dessen Sklaven gerichtet oder gegen ihn.

Der frühere Konsularvertreter der Heimatplaneten war in Zundar ermordet worden. Als Tavernenheld maskiert, hatte er ein bebändertes Mädchen, geschmückt für die Äquinoktialfeiern, angesprochen und war sofort von einem Roten Demiurgen, einem Sonnenkobold und einem Zauberhorn enthauptet worden. Edwer Thissell hatte erst vor kurzem seine Studien abgeschlossen und war sofort zu seinem Nachfolger ernannt worden. Drei Tage hatte er Zeit gehabt für seine Vorbereitungen. Normalerweise war er übervorsichtig, doch diese Ernennung hatte Thissell als große Aufgabe angesehen. Mittels subzerebraler Techniken lernte er die sirenische Sprache und fand sie unkompliziert. Im Journal der Universal Anthropologie las er: „Die Bevölkerung der titanischen Küstenländer ist überaus individualistisch, möglicherweise als Reaktion auf eine sehr reiche Umwelt, die keine Gruppenaktivität erzwingt. Die Sprache drückt diesen Wesenszug aus, also auch die Stimmung der Person, seine gefühlsmäßige Haltung einer gegebenen Situation gegenüber. Informationen über Tatsachen gelten als zweitrangig. Außerdem wird die Sprache gesungen, charakteristischerweise zur Begleitung kleiner Instrumente.

Demgemäß ist es äußerst schwierig, von einem Eingeborenen aus Fan oder der verbotenen Stadt Zundar Tatsachen zu erfahren. Man erhält elegante Arien vorgesungen und Demonstrationen einer wahrhaft erstaunlichen Virtuosität auf einem oder mehreren der zahlreichen Musikinstrumente. Der Besucher dieser faszinierenden Welt muß deshalb, will er nicht mit der größten Verachtung behandelt werden, nach lokaler Sitte sich auszudrücken lernen.“

Thissell machte in seinem Notizbuch einen entsprechenden Vermerk: Kleine Musikinstrumente mit Anleitungen für deren Gebrauch besorgen. Dann las er weiter:

„Immer und überall gibt es einen unbeschreiblichen Überfluß an Nahrung, und das Klima ist überaus angenehm. Mit einem guten Vorrat an rassenbedingter Energie und sehr viel Freizeit beschäftigt sich das Volk vorwiegend mit Intrigen. Intrigen in allen Dingen, und man schafft bewußt Schwierigkeiten etwa im Handwerk, wie beim Schnitzen der Holzteile, die auf einem Hausboot Verwendung finden; oder bei den Masken, die dort jeder trägt.

Auch die halbmusikalische Sprache ist äußerst schwierig, denn sie drückt auf bewundernswerte Art die subtilsten Stimmungen und Gefühle aus. Auch die zwischenmenschlichen Beziehungen sind äußerst verwickelt. Prestige, Gesicht, mana, Ruf, Glorie: das sirenische Wort dafür ist strakh. Jeder Mensch hat sein charakteristisches strakh, das etwa bestimmt, wenn er ein Hausboot benötigt, ob es ein schwimmender Palast mit Edelsteinen, Alabasterlaternen, Pfauenfayencen und geschnitztem Holz sein soll, oder ob er sich knurrend mit einer windschiefen Hütte auf einem verlassenen Floß begnügen muß. Es gibt auf Sirene kein,Kleingeld’; die einzige und alleinige Währung ist strakh…“

Thissell rieb sich nachdenklich das Kinn und las weiter: