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»Das ist Frau König«, sagte er. Er sprach sehr langsam und betont, und zwischen Andys Brauen entstand eine steile Falte, als sie zuhörte, als müsse sie sich auf jede Silbe konzentrieren. »Meine neue Herrschaft. Ich arbeite jetzt für sie, weißt du? Sei brav und gib ihr die Hand.«

Andy rührte sich nicht. Nur das mißtrauische Flackern in ihren Augen schien ein bißchen schwächer zu werden.

»Andy, bitte«, sagte Peter geduldig. »Sie ist extra den weiten Weg hierher gekommen, um dich zu sehen.«

»Lassen Sie sie, Peter«, sagte Liz. »Ich bin eine Fremde für sie. Vielleicht lernt sie mich später kennen.« Sie setzte ihre Handtasche auf dem Tisch ab, trat einen Schritt auf das Mädchen zu und streckte vorsichtig die Hand aus. »Freust du dich, deinen Vater zu sehen?« fragte sie.

Andy antwortete nicht. Aber sie drängte sich unwillkürlich dichter an Peters Brust, als suche sie Schutz vor irgendetwas.

»Sie ... sie kann nicht reden, Frau König«, sagte Heyning leise. Es fiel ihm sichtlich schwer, die Worte auszusprechen.

Liz zuckte überrascht zusammen. »Sie kann nicht...« Sie stockte, schüttelte den Kopf und setzte neu an. »Das tut mirleid«, sagte sie, wieder an Andy gewandt. »Aber du verstehst doch, was ich sage, oder? Du brauchst nicht zu antworten, wenn du nicht willst.«

Ihr fiel zu spät ein, wie dumm ihre Worte waren. Aber der Anblick des Mädchens verwirrte sie immer noch. Sie hatte damit gerechnet, ein hilfloses Kind vorzufinden. Möglicherweise eine Behinderte, nach Peters Worten vom ersten Tag. Einen Krüppel. Selbst eine sabbernde Idiotin hätte sie nicht so überrascht. Was sie wirklich sah, war eine junge Frau. Eine verschüchterte und vollkommen verängstigte Frau, aber nichtsdestoweniger ein Wesen mit einer spürbaren fraulichen Ausstrahlung, erotisch genug, daß selbst sie es bereits spürte. Sie war mit einem Mal nicht mehr hundertprozentig von der Richtigkeit dessen überzeugt, was sie tat.

»Ich lebe jetzt draußen bei Frau König und ihrem Mann«, erklärte Peter geduldig. »Sie sind sehr nett zu mir, weißt du? Ich habe ein eigenes Zimmer und immer genug zu essen. Und die Arbeit ist auch nicht schwer.«

»Trotzdem sollten Sie sich daran gewöhnen, die Zeiten einzuhalten«, sagte Frau Starberg von der Tür her. Ihre Stimme war wie eine Glasscherbe, die irgend etwas zwischen Peter und dem Mädchen zerschnitt. »Es geht nicht, daß Sie hier so einfach auftauchen, wann es Ihnen paßt. Das müssen Sie verstehen.« Zumindest die letzten Worte waren der reine Hohn.

Liz drehte sich langsam um. Die Starberg sah Peter an, aber sie zweifelte nicht daran, daß die Worte im Grunde ihr galten.

Sie schluckte die spitze Bemerkung hinunter, die ihr auf der Zunge lag, und wandte sich wieder an das Mädchen. »Dein Vater hat mir viel Gutes von dir erzählt, weißt du?« sagte sie lächelnd. »Er ist sehr stolz darauf, eine so große Tochter wie dich zu haben, noch dazu, wenn sie so hübsch ist wie du. Aber ich glaube, du magst ihn auch sehr gerne, wie?«

Diesmal nickte Andy, wenn auch sehr zaghaft.

Liz sah auf und tauschte einen raschen, fragenden Blick mit Peter. Seine Augen waren ein wenig geweitet, und auf seiner Stirn glitzerte Schweiß. Aber er nickte. Liz begann sich zunehmend unbehaglicher zu fühlen. Es ging alles viel zu rasch; schneller, als sie geglaubt hatte. Und es war anders. Andy entsprach nicht ihren Vorstellungen, ganz und gar nicht, die Situation war anders, als sie erwartet hatte. Es wäre einfacher gewesen, wenn sie. Andy auf den Knien rutschend, in Lumpen gekleidet und mit einem Scheuerlappen versehen vorgefunden hätte. Aber schließlich lebten sie nicht in einem Märchen, und dies hier war nicht das Haus von Aschenputtel. Und sie konnte nicht mehr zurück.

»Würdest du gerne bei deinem Vater wohnen?« fragte sie behutsam. »Bei ihm und bei mir? Wir haben Platz genug draußen auf dem Hof. Du könntest sogar ein eigenes Zimmer bekommen.«

Sie sah, wie Andy erbleichte und sich ihre schmale Handfester um die ihres Vaters krampfte. Ihre Augen wurden plötzlich groß und rund.

»Wir haben auch einen Garten«, fuhr sie fort. »Ich habe die Blumen gesehen, die du draußen gepflanzt hast. Sie gefallen mir. Du könntest ein Stück von unserem Garten haben, ganz für dich.« Sie lächelte. »Ich bin eine miserable Gärtnerin, muß ich gestehen. Ich könnte ein wenig Hilfe gebrauchen.«

Frau Starberg sog hinter ihr scharf die Luft ein. Aber sie sagte noch nichts. »Nun?« fragte Liz nach einer Weile. »Wie würde dir der Gedanke gefallen. Du könntest den ganzen Tag bei deinem Vater sein. Und bei mir und meinem Mann. Du wirst sehen, es wird dir gefallen.«

»Heyning«, sagte Frau Starberg scharf, »würden Sie dieser Frau sagen, daß sie aufhören soll, dem Kind Flausen in den Kopf zu setzen? Andy ist nachher nur enttäuscht, wenn Sie wieder gehen.«

Liz drehte sich langsam um. »Warum sagen Sie dieser Frau nicht selbst, was Sie von ihr wollen?« fragte sie.

Frau Starberg erbleichte sichtlich. Sie schien nur langsam zu begreifen, was überhaupt vorging. Für einen Moment tat sie Liz beinahe leid. »Sie...«, stammelte sie, »Sie... kommen hierher, und...«

»Ich tue nur, was Herr Heyning möchte«, sagte Liz ruhig. »Andy ist sein Kind, oder? Immerhin ist es verständlich, wenn ein Vater den Wunsch hat, mit seinem Kind zusammenzuleben.«

»Aber... aber Sie können nicht einfach hierherkommen und ... Andy mitnehmen«, sagte Frau Starberg. Sie rang mit großer Mühe um ihre Fassung. Ihre Stimme hatte jenen ungläubigen, leicht schrillen Ton, den nur pures Entsetzen hervorruft. Ihre Hände zitterten. Liz wußte, daß sie gewonnen hatte. Die Frau mochte alt und böse und gemein sein, hinterlistig sicherlich, aber sie war kein Kämpfer wie sie.

»Doch«, antwortete Liz ruhig. »Wir können.« Sie lächelte, drehte sich um und legte dem Mädchen sanft die Hand auf die Schulter. »Nun, Andy?« sagte sie. »Was hältst du davon? Möchtest du mitkommen? Mit deinem Vater und mir?«

»Nichts wird sie tun!« kreischte Frau Starberg. Sie rauschte wie eine Furie an Liz vorbei, riß das Mädchen an sich und preßte es besitzergreifend an die Brust. »Sie wird hierbleiben, wo sie hingehört. Und Sie werden ihr keine Dummheiten mehr einreden. Gehen Sie! Verlassen Sie mein Haus!«

Liz ignorierte ihre Worte. »Andy«, sagte sie geduldig. »Du brauchst keine Angst zu haben, verstehst du? Vor niemandem. Wenn du mit uns kommen willst, dann nehmen wir dich mit. Jetzt gleich. Du mußt nur zu deinem Vater gehen, und wir wissen Bescheid. Frau Starberg wird dir nichts tun, keine Angst.«

Fünf, zehn Sekunden lang stand das Mädchen starr und wie gelähmt da. Ihr Blick irrte immer wieder zwischen Liz, ihrem Vater und der rotgesichtigen dicken Frau hinter ihr hin und her, und auf ihrem Gesicht war deutlich der innere Kampf zu lesen, den sie durchstehen mußte. Dann, nach einer Ewigkeit, streifte sie Starbergs Hand ab und trat zitternd zu ihrem Vater hinüber.

»Das Mädchen kann überhaupt nicht entscheiden, was es will«, sagte Frau Starberg. »Sie ist...«

»Ganz recht«, unterbrach sie Liz kühl. »Sie kann es nicht. Aber ihr Vater kann es.«