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»Aber sie gehört hierher!« zischte die Starberg. Ihr Gesicht verzerrte sich vor Zorn. Sie streckte die Hand aus, packte Andys Arm und zerrte sie wütend zu sich hinüber. Irgend etwas in Liz schien zu Eis zu erstarren. Mit einem Mal verspürte sie keine Gewissensbisse mehr. Das war nicht der Schmerz einer Mutter, die ihr Kind verlor. Sie hatte nicht einmal so falsch gelegen, als sie vorhin einen Vergleich mit Aschenputtel gezogen hatte. Diese Frau kämpfte nicht um ihr Kind, sondern um ihren Besitz. Sie würde sich mit aller Kraft wehren, aber aus den gleichen Gründen, aus denen sie auch um einen Schrank oder ein Schmuckstück kämpfen würde.

»Machen Sie sich nicht die Mühe, Andys Sachen zusammenzusuchen«, sagte sie kühl. »Wir nehmen sie mit. Jetzt gleich. Was sie braucht, bekommt sie von uns.«

»Nichts werden Sie!« keuchte Frau Starberg. »Nichts, verstehen Sie?! Sie werden verschwinden, und zwar sofort. Verlassen Sie mein Haus, bevor ich die Polizei rufe.« Liz lächelte, aber es war nicht die geringste Spur von Humor oder auch nur Wärme darin. »Das ist gar keine schlechte Idee, Frau Starberg«, sagte sie. »Vielleicht erspart uns das eine Menge unnötigen Ärger. Vielleicht bringt es Ihnen auch noch eine Anzeige wegen Freiheitsberaubung. Wir werden sehen.« Ihr Lächeln wurde ein bißchen kälter. »Ich habe mit meinem Rechtsanwalt telefoniert, ehe wir gekommen sind, wissen Sie? Was wir hier tun, ist völlig legal.«

Das war zumindest zweifelhaft, wenn nicht glatt gelogen - sie hatte mit ihrem Anwalt in Hamburg gesprochen, und sie hatte regelrecht gehört, wie er blaß wurde, als sie ihm von ihrem Vorhaben erzählte. Aber ihre Rechnung ging auf. Die Drohung, die dem Begriff Rechtsanwalt für einen Menschen wie Frau Starberg innewohnte, reichte schon aus.

»Freiheitsbe...«, ächzte sie. »Sie sind ja verrückt! Das Kind bleibt hier. Fünfzehn Jahre lang hat sich der Kerl nicht um seine Tochter gekümmert, und jetzt...«

»Hat er zum ersten Mal die Gelegenheit, das Versäumte nachzuholen«, unterbrach sie Liz.

»Aber, Sie können doch nicht... ich meine, so etwas braucht doch Zeit. Sie können nicht nach fünfzehn Jahren auftauchen und innerhalb von fünf Minuten das Kind mitnehmen. Sie müssen mir Zeit lassen. So etwas will gründlich vorbereitet sein.«

»Zeit?« wiederholte Liz spöttisch. »Wozu? Um das Mädchen weg zubringen?« Der betroffene Ausdruck auf Frau Starbergs Gesicht sagte ihr, daß sie mit ihrer Behauptung ins Schwarze getroffen hatte. »Ich sehe keinen vernünftigen Grund, noch zu warten. Und jetzt spielen Sie nicht die gequälte Mutter«, fügte sie in absichtlich verletzendem Tonfall hinzu. »Das nehme ich Ihnen nicht ab.« Frau Starberg wurde plötzlich ganz ruhig. Vielleicht spürte sie instinktiv, daß sie Liz nicht gewachsen war. Aber vielleicht schlug sie auch nur eine andere Taktik ein.

»So«, sagte sie. »Das nehmen Sie mir nicht ab. Sie können sich nicht vorstellen, was in einem Menschen vorgeht...«

Liz ließ sie auch diesmal nicht zu Ende sprechen. »Ich kann mir nicht vorstellen, was einen Menschen dazu bringen kann, einen Vater nur alle vier Wochen zu seiner Tochter zulassen«, sagte sie ruhig. »Und ich kann mir noch viel weniger vorstellen, wie grausam jemand sein muß, der einen Menschen mit der Drohung gefügig macht, sein Kind in ein Heim zu stecken.«

»Sie wissen nicht, was Sie tun«, sagte die Starberg leise. »Dieses Kind ist nicht normal.«

»Es kommt mir normaler vor als Sie«, antwortete Liz ungerührt. »Und ich denke, ich werde mit ihm fertig. Geben Sie uns Andys Papiere - soweit es welche gibt?«

»Fällt mir nicht ein«, sagte Frau Starberg stur. »Weder sie noch das Kind. Andy wurde meiner Obhut übergeben. Ich habe all die Jahre für sie gesorgt, ohne einen Pfennig dafür zu verlangen. Sie können nicht einfach mit Ihrem dicken Wagen und... und all Ihrem Geld hier auftauchen und das Kind verlangen. Das wird Herr Ohlsberg entscheiden.«

»Ich kann mir vorstellen, wie diese Entscheidung ausfällt«, sagte Liz. »Aber Sie können von mir aus gerne zu ihm gehen - sobald wir weg sind.«

»Ich lasse Sie nicht gehen«, sagte Frau Starberg noch einmal. Ihre Stimme zitterte, klang aber entschlossen.

»Und wie wollen Sie uns aufhalten?« fragte Liz ruhig. »Mit Gewalt vielleicht?« Sie lächelte, nahm Andy beim Arm und machte einen Schritt in Richtung Tür. »Die Papiere holen wir später. Andys Sachen können Sie behalten, Frau Starberg«, sagte sie. »Das Mädchen hat beinahe meine Figur. Fürs erste werde ich ihr ein paar von meinen Kleidern geben. Später werden wir dann etwas aus der Stadt schicken lassen. Würde es dir gefallen, ein so hübsches Kleid wie ich zu tragen, Andy?« fragte sie, an das Mädchen gewandt.

Andy nickte, obwohl Liz kaum glaubte, daß sie die Frage überhaupt verstanden hatte. Es ist zu leicht, dachte sie. Sie hatte nicht damit gerechnet, auf unüberwindlichen Widerstand zu treffen, aber die Starberg machte es ihr fast zu einfach. Irgend etwas stimmte nicht.

Sie ging zur Tür, bedachte Frau Starberg mit einem langen, eisigen Blick und wandte sich dann an Peter. »Gehen wir?«

Heyning nickte. Die Bewegung wirkte abgehackt und mühsam. Er sah Frau Starberg mit einem eindeutig ängstlichen Blick an und ging dann mit kleinen, hastigen Schritten an Liz vorbei.

»Wenn Sie jetzt gehen, Heyning«, sagte Frau Starberg, »dann wird Ihnen das leid tun. Ich warne Sie.«

Liz schüttelte den Kopf, griff nach ihrer Handtasche und trat rückwärts aus der Küche heraus. »Machen Sie sich nicht lächerlich. Sie haben nichts mehr gegen ihn in der Hand. Finden Sie sich damit ab.«

»Sie...«

»Beschimpfen Sie mich ruhig, wenn es Ihnen Freude bereitet« sagte Liz gelassen. »Aber das ändert auch nichts mehr.«

Sie fuhr herum, verließ mit schnellen Schritten das Haus und warf die Tür hinter sich ins Schloß.

27.

Am Nachmittag des gleichen Tages.

»Du hättest es mir wenigstens sagen müssen«, seufzte Stefan. Er schüttelte den Kopf, lehnte sich zurück und nippte geistesabwesend an seinem Glas. Es kam selten vor, daß er so früh am Tage bereits trank; ein sicheres Zeichen, daß es in seinem Inneren nicht so ruhig aussah, wie er sich vorzugeben bemühte.

»Was heißt hier sagen?« schnappte Liz. Sie war wütend, und sie gab sich nicht die geringste Mühe, dies zu verbergen. »Wir haben weiß Gott oft genug darüber gesprochen. Du warst damit einverstanden. Soviel ich weiß, war es überhaupt deine Idee, das Mädchen hierherzuholen.« Diese Bemerkung als übertrieben zu bezeichnen, wäre geschmeichelt. Aber zu ihrem Erstaunen reagierte Stefan nur mit einem weiteren, sehr tiefen Seufzen und dem ungefähr siebenhundertfünfzigsten vorwurfsvollen Blick des Tages.

Sie waren gegen Mittag zum Hof zurückgekommen. Die Fahrt zu dritt in dem winzigen Wagen war alles andere als bequem gewesen, selbst für sie, obwohl Peter das Mädchen auf den Schoß genommen hatte, und die Nervosität, die trotz allem in ihr brodelte, hatte sie zusätzlich fertiggemacht. Sie war aggressiv, aggressiv in einer Art, die sie bisher an sich selbst nicht gekannt hatte.

»Natürlich war es meine Idee«, murmelte Stefan nach einer Weile. »Ich hatte auch schon die Idee, alle Regierungen abzuschaffen oder das Geld, weißt du?« Er starrte an ihr vorbei auf einen imaginären Punkt irgendwo hinter ihrem Rücken. Seine Finger glitten nervös über den Rand des Glases. »Du hättest vorher etwas sagen können. Was du heute morgen gemacht hast, war ziemlich dumm.«

»Ach?« machte Liz.

»Ach ja.« Stefan lächelte traurig. »Es war dumm«, wiederholte er. »Ich habe nie vorgeschlagen, Schwarzenmoor in einer Nacht-und-Nebel-Aktion anzugreifen und zu besetzen.«

»Und was hättest du getan?«

Stefan zuckte die Achseln. »Es ist sinnlos, darüber zureden, was ich getan hätte, nicht?« murmelte er. »Auf jeden Fall hätte ich vorher mit Ohlsberg geredet.«