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Überrascht drehte sie sich herum, griff mit zitternden Fingern nach dem Wecker und hob ihn dicht vor die Augen, um die winzigen Leuchtziffern erkennen zu können. Es war kurz vor Mitternacht. Wer, zum Teufel, rief um diese gotteslästerliche Uhrzeit bei ihnen an?

Dann begriff sie...

...natürlich war es niemand anderes als Ohlsberg. Der alte Mistsack hockte jetzt wahrscheinlich grinsend an seinem Apparat und freute sich darauf, sie mit Vorwürfen und Angriffen überhäufen zu können, und er mußte sich sehr genau ausgerechnet haben, daß er sie aus dem ersten Nachtschlaf riß und sie nicht unbedingt darauf vorbereitet war, sich zu wehren.

Wütend schlug sie die Decke zurück, schwang die Beine aus dem Bett.

Und erstarrte.

Es war dunkel im Zimmer, aber nicht so dunkel, daß sie es nicht sehen konnte. Durch das Fenster fiel helles Mond licht herein, so daß das Bett und ihre Beine wie von einem silbrigen Scheinwerfer beleuchtet wurden, ein blasses unwirkliches Licht, das alle Farben eliminierte, dafür abertausend neue Grautöne erschuf, so daß sie fast überscharf sehen konnte, wie auf einem sehr harten Schwarz-Weiß-Foto.

Ihr Bett war naß und ihre Beine von den Waden abwärts schmutzig.

Wo ihre Füße gelegen hatten, glänzte ein großer, schmierigschwarzer Fleck auf dem Laken. Ein leichter Geruch wie nach faulendem Wasser (Moor) stieg ihr in die Nase, und an ihren nackten Füßen klebte Schlamm in kleinen, feucht kalten Klümpchen. Eisiges Wasser lief träge zwischen ihren Zehen hindurch und tropfte auf den Teppich, wo es schwarze Flecken hinterließ.

Liz saß da wie gelähmt. Für einen kurzen Augenblick verlor sie wirklich den Verstand, trat hinüber in die Dimension des Wahnsinns, in der nichts Bestand hatte und der Schrecken zur Normalität wurde. Es dauerte nur einen Augenblick - Liz glaubte ein deutlich hörbares ›Klick‹ zuhören, mit dem irgendwo in ihrem Kopf eine Sicherung heraussprang, und kurz darauf spürte sie ebenso deutlich, wie sie (von wem eigentlich?) wieder her eingedrückt wurde. Vielleicht rettete ihr dieser kurze Augenblick des Wahnsinns im Endeffekt den Verstand.

Zitternd saß sie da, mit geschlossenen Augen, die Hände so fest in die Matratze gekrallt, daß ihre Fingerspitzen schon wieder zu bluten begannen, lauschte auf das monotone Schrillen des Telefons und betete darum, daß der entsetzliche Anblick nicht mehr da war, wenn sie die Augen wieder öffnete.

Er war da.

Die Kälte in ihren Zehen, das Gefühl der Feuchtigkeit, das langsam in ihren Waden empor kroch, und der schlechte Geruch verrieten es ihr, noch ehe sie die Augen wieder öffnete und den schwarzen Morast sah, der an ihren Füßen klebte und das Bett besudelte, das alles war da und das alles verriet ihr, daß sie nicht weiter träumte.

Aber sie war doch nicht verrückt! Sie war...

... eingeschlafen und wieder aufgestanden, ohne es zu merken, und wie eine Schlafwandler in nach unten und aus dem Haus gegangen, quer über den Hof und hinüber in den Wald. Daher auch ihr Traum von Bäumen und Dornen und Morast. Natürlich, das war eine Erklärung, und von allen zur Verfügung stehenden wahrscheinlich die logischste. Aber war das überhaupt möglich?

Sie hatte davon gehört, wie jedermann von Schlafwandlern, Mondsüchtigen hört, und sie hatte es - wie jedermann - geglaubt. Aber so etwas am eigenen Leibe zu erfahren war... entsetzlich. Sie hatte Angst, sie fror, und plötzlich wurde ihr übel. Und als ihr Blick auf den Teppich fiel, machte ihr Herz einen schmerzhaften Satz bis in ihre Kehle hinauf und verwandelte sich in einen bitteren stacheligen Klumpen, der sie zu erwürgen drohte.

Da waren keine Spuren.

Sie starrte ihre Füße an, das besudelte Bett und dann wieder den Teppich, der rein und weiß wie am ersten Tag da lag, ohne die geringste Schmutzspur.

Aber das war doch nicht möglich! Sie konnte doch nicht hinausgegangen und mit diesen Füßen wieder zurückgekommen sein, ohne auch nur einen Fleck auf dem Teppich zu hinterlassen !

Unter ihr gellte das Telefon erneut, und neben ihr bewegte sich Stefan im Schlaf. Liz fuhr zusammen, zog ganz instinktiv die Beine wieder an und die Decke darüber, gerade noch rechtzeitig, ehe Stefan mit einem verschlafenen Grunzen die Augen aufschlug und benommen zu ihr hoch blinzelte.

»Wasnlos?« nuschelte er. »Welcher Hirni ruft hier mitten in der Nacht an?« Er zog die Nase hoch, versuchte sich aufzusetzen und sank mit einem Stöhnen wieder zurück. »Bring dieses verdammte Ding zum Schweigen, ehe ich es aus der Wand reiße«, murmelte er undeutlich. »Selbst ich muß ab und zu einmal schlafen, zum Teufel noch mal.« Ersetzte sich im Bett auf, blinzelte, fuhr sich schlaftrunken über die Augen und ließ sich wieder in die Kissen zurückfallen.

Liz regte sich nicht. Sie war gelähmt, unfähig auch nur einen klaren Gedanken zu fassen. Es war nicht so, daß sie sich nicht bewegen konnte - sie hatte nicht einmal mehr das bißchen Willen, sich bewegen zu wollen. Es begann erneut. Das Ungeheuer war wieder da, das DING aus dem Sumpf, die Moorhexe, die Banshee, der Wahnsinn, der sich nur eine kleine Atempause gegönnt hatte, um erneut und zehnmal heftiger nach ihr zu greifen - aber sie konnte nichts sagen. Ihre Stimmbänder waren so gelähmt wie der Rest ihres Körpers. Sie hatte nicht einmal die Kraft, sich zu ihm herum zudrehen. Hilf mir! dachte sie verzweifelt. So hilf mir doch!

Stefan drehte sich wieder auf die Seite. »Bring dieses verdammte Scheißding zur Ruhe«, maulte er.

Sekundenlang starrte sie ihn an, versuchte verzweifelt, es ihm zu sagen, ihn um Hilfe anzuflehen. Aber sie konnte nicht.

Und selbst wenn - natürlich würde er ihr kein Wort glauben. Und gleichzeitig hatte sie Angst davor, daß er aufstehen und sie ansehen könne und daß für ihn alles ganz normal war. Daß sie doch wahnsinnig war.

»Bleib liegen«, sagte sie mühsam. »Ich gehe schon. Sicher... hat sich nur jemand verwählt.« Ihre eigene Stimme erschien ihr fremd, falsch und verzerrt vor Hysterie und beginnender Panik. Stefan schien es nicht einmal zu bemerken.

Noch vor ein paar Tagen hätte er diesen Vorschlag schlichtweg ignoriert und wäre aufgestanden, um Ohlsberg - oder wer immer da kurz vor Mitternacht bei ihnen anrief - ein paar Worte über das Thema nächtliche Ruhestörung zu erzählen. Jetzt drehte er sich nur mit einem ärgerlichen Grunzen wieder zur Seite, knuffte sein Kissen zusammen und schlief einfach weiter.

Sie mußte all ihre Kraft auf bieten, um aufzustehen. Alles in ihr sträubte sich dagegen hinauszugehen, die Geborgenheit des Zimmers zu verlassen, aber sie mußte es tun. Sie mußte hinaus, wenn sie nicht wahnsinnig werden wollte.

Liz öffnete lautlos die Schlafzimmertür und trat auf den Flur. Das mißtönende Schrillen des Telefons begrüßte sie, als sie auf den Korridor hinaustrat. Der Gedanke an die finstere Treppe trieb ihr den Schweiß auf die Stirn, aber sie ging weiter, obwohl ihr Herz bis zum Hals klopfte und ihr Neglige schweißnaß war. Ihr Herz raste. Die Diele lag in völliger Dunkelheit da, und wieder griff die Angst nach ihr; sie machte einen Schritt, blieb stehen, überlegte, zurückzugehen und das Licht einzuschalten, und begriff, daß sie es nicht konnte, denn zurückgehen hätte herumdrehen bedeutet, und es war die Art aller Alptraummonster, im gleichen Moment zuzuschlagen, in dem man sich herumdrehte und sie sah. So ging sie weiter. Es war nicht einmal so schlimm, wie sie befürchtet hatte. Es war nur eine ganz normale Treppe. Die Angst war da, aber sie wurde nicht heftiger, als sie die dunkle Treppe hin unterging. Die Schatten zwischen den einzelnen Tritten waren leer, bloß dunkle keilförmige Flächen lichtloser Schwärze, in denen sich nichts verbarg, und der wuchtige Durchgang zur Küche war nichts als ein Loch in der Wand, hinter dem außer ein paar Möbeln nichts Bedrohliches wartete. Sie wußte, daß das Haus sicher war, eine unbezwingbare Festung, in der ihr nichts geschehen konnte. Noch.