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Zadera sagte:»Die Judith und der Karl. «Holler dachte: Das Familienglück ist exklusiv nur für die Familie da, wie der Name es sagt. Zadera sagte:»Der Karl und der Bobby«, und erst da erkannte Holler, dass Bobby ein Irish Setter war, wie Anne Hermanns einst Irish Setter gehabt hatte und vielleicht noch hatte, nur wieder andere vermutlich, und musste an Betty Morgenthal denken, an ihre Hände auf einmal, an die er all die Jahre nicht gedacht hatte, wie sie über das Fell der Hunde streichen, dann wieder das Kind Karl, jetzt mit Schwimmflügeln.»Der Karl mit Schwimmflügerln«, sagte Ulrich, und Holler wünschte sich für einen jähen Moment ebenfalls bitterlich ein Kind, gegen die Einsamkeit, gegen das Ende, gegen die bösen Gedanken, aber mich selbst kann ich niemandem zumuten als Vater, dachte er.

Plötzlich hatte Diedrich in der Tür gestanden, eingerahmt von einigen Frauen. Die älteste der Frauen, eine blonde, aber gefärbte und gefönte Signora Rossiglione, Chefdramaturgin, rauchte unablässig Zigaretten, obgleich dies verboten war, aber ihr war es egal. Sofort zündete sich auch Holler eine Zigarette an, woraufhin etwas Licht in sein Gemüt drang. Das Display der Digitalkamera aber verdunkelte sich. Die Rossiglione trat an ihren Tisch, flankiert von zwei jüngeren Begleiterinnen, die Diedrich als Maren und Simona oder umgekehrt vorstellte. Maren war aus Düsseldorf, wie Diedrich triumphierend in Hollers Richtung rief, so als wäre Düsseldorf ebenso unwahrscheinlich wie das verlorene Atlantis. Simona war aus Italien.

Die Rossiglione hatte sich mit beiden Händen auf ihren Tisch aufgestützt und auf Englisch von einem Erfolg gesprochen. Tom beobachtete ihre kleinen Finger, die sich jeweils etwas abspreizten und über die Tischplatte wischten, während sie über den Erfolg des Konzertabends sprach. Diedrich rückte den Damen die Stühle zurecht. Es wurde von Auslastungszahlen des Hauses gesprochen, Signora Rossiglione hatte die Zahlen ganz im Kopf und sagte, dass das Haus heute zu 85 % ausgelastet gewesen sei, was beachtlich sei, denn sonst sei es schwierig, Musik sei immer schwierig, zumal Modernes, das Neue sei schwierig, sagte sie, denn die Leute mochten eher die Klassiker oder aber Komödien. Und in diese Situation hinein, so die Rossiglione, komme ihr Programm gerade recht, denn es sei anspruchsvoll, aber nicht zu sehr, es sei experimentell, aber auch melodiös, aber auch eigen, aber nicht zu eigen, das mochten die Leute. Musik, die keinem weh tut und zu einem guten Rotwein passt, ergänzte Holler in Gedanken, aber er schwieg und überließ die Kommunikation wie immer Diedrich, den er in diesen Situationen, den von ihnen sogenannten VGS (den Veranstaltergesprächssituationen), die sich zum Verwechseln ähnelten, geradezu liebte, da es den Saxofon spielenden Kollegen offensichtlich nicht störte, dass der Rest der Band schwieg und vor sich hin starrte, als wäre man taub oder geistig benachteiligt, abgesehen von einem hüstelnden Nicken des Kontrabassisten dann und wann oder einem Lächeln des Schlagzeugers.

Diedrich sagte das eine und das andere. Franz hüstelte und sah heimlich auf die Uhr, Ulrich drückte wieder an seiner Digitalkamera herum. Tom Holler aber blickte auf die Hand Marens hinab, die den Fuß ihres Weinglases hin und her drehte, schmal und weiß und knochig war diese Hand, mit einem Netz blauer Adern bedeckt. Feine Sommersprossen lagen unordentlich darauf wie Farbspritzer, dachte er, verursacht von einem umgekippten Glas mit Malwasser. Ihr Haar aber war hellrot und stand flammenartig und fest über ihren Schultern, wie die Windungen überdimensionierter Schrauben, die leise vibrierten, wenn sie sich bewegte, beispielsweise trank, indem sie das Glas nur in einen schwachen Winkel kippte, stattdessen ihren Kopf der Flüssigkeit entgegenneigte, was Holler irgendwie anrührend erschien. Mit dem Zeigefinger, der sich am Mittelgelenk durchdrückte, sah Holler, fuhr sie jetzt auf dem Tisch entlang und zeichnete Linien. Auf einmal versuchte er, sich vorzustellen, wie diese Hand ihn berührte, wie sie sanft und zart und tröstend über seine Haut gleiten würde, nur aus Interesse, aber es war schwer. Sie musste ihn für wortkarg halten, während die Rossiglione und Diedrich über die Kultur im Allgemeinen sprachen. Über Genua als Kulturstadt. Und wie lange sie, das mare-Quartett, schon zusammen spielten, wurde erfragt, und zwar waren das schon acht Jahre, antwortete Diedrich, was Holler entsetzte,»ja, wie die Zeit vergeht«, sagte Diedrich und lachte.

Signora Rossiglione unterdrückte hinter einer locker zur Faust geformten Hand ein Gähnen und verabschiedete sich bald. Auch die Rhythmussektion ergriff die Gelegenheit, um sich zu verabschieden.

«Wie dehnbar die Zeit ist«, sagte Holler, nachdem nur die beiden Frauen, Didi, einige Techniker mit jenem Glanz in den Augen, wie er durch jahrelangen begeisterten Alkoholkonsum entsteht, und er selbst übrig geblieben waren.»Wie lang eine Nacht sein kann, und wie kurz acht Jahre.«

Marens Blick lag nun auf ihm. Ihre Augen waren braun, und die Lider hingen an den Seiten etwas herab, wie halb zugezogene Vorhänge. Dazwischen begann die Nase in einem zarten Höcker, ein Gewimmel von Sommersprossen auf hellem Weiß, darunter ein kleiner Mund, der himbeerfarben war und ihn nichts anging.

«Ja«, sagte sie plötzlich.

«Tom«, sagte Diedrich und lachte, wie man über ein nicht unbegabtes, aber lächerliches Kind lacht,»Tom ist unser Philosoph. Er spielt jedes Stück philosophisch«, sagte er und meinte offenbar, ihn anpreisen zu müssen, wie einen Gebrauchtwagen mit durchlöcherter Ölpumpe.»Du legst ihm«, sagte Diedrich, der ihn zu verkaufen beabsichtigte, zu Maren, die er offenbar als Kundin auserkoren hatte,»einen ollen Jazzstandard hin, und Tom spielt ihn, und du denkst, du hörst ihn zum ersten Mal.«

Tom, der schnell einen großen Schluck von seinem Bier genommen hatte, hätte Diedrich gern das Schienbein kaputtgetreten, unterließ es aber, da er fürchtete, unter dem Tisch eine der Damen zu treffen. Aller Blicke ruhten nun auf ihm. Offenbar wurde erwartet, dass er etwas Philosophisches sagte, daher sagte er leise:»Mein Geheimnis ist, dass ich nicht übe. Ich spiele Fehler rein, und keiner merkt es, weil ich die Fehler wiederhole, es ist wie im Leben, man muss nur die Dinge wiederholen, dann bekommen sie einen Sinn.«

Erstaunte Blicke betasteten ihn, als hätte er wer weiß was gesagt, (was hatte er eigentlich gesagt?). Jetzt sagte er zu Maren:»Rauchst du?«, und obgleich es ihn dort nicht juckte, kratzte er sich hinter dem linken Ohr.

Nein, sagte sie, sie rauche nicht. Das heißt, sie habe sich eigentlich das Rauchen abgewöhnen wollen in Italien, aber es habe ohnehin keinen Zweck, sagte sie und seufzte hell, und es hörte sich an, als meine sie etwas viel Universelleres damit als nur das Rauchen.

«Wir sterben ja sowieso«, sagte Holler. Maren lachte, was sich anhörte wie das helle Klingeln eines Blechglöckchens. Vier Feuerzeugflammen beleuchteten ihr Gesicht, als sie sich eine Zigarette in den Mund schob, denn inzwischen hatte Diedrich auch die drei Techniker an ihren Tisch herübergewunken und die Stimmung wurde fröhlicher. Nach kurzem Zögern und mit einem Blick von unten durch die hellen Bürsten ihrer Wimpern entschied sie sich für Tom. Die Zigarette klemmte sie zwischen Mittel- und Ringfinger, und sie rauchte mit halb geschlossenen Augen, indem sie tiefe Züge einsaugte mit nach vorn gerecktem Kopf und den Pfeil des Rauchs nach draußen schoss. Das Rauchen stach von ihrer zierlichen Person ab wie ein Riss in einem Porzellangefäß.

Diedrich saß nah bei der italienischen Simona, es wird nicht lang dauern, dachte Tom, und er wird aus der Hand ihr die Zukunft herauslesen. Es wurde gelacht. Eine Runde Grappa blitzte auf einem Tablett. Prost, auf einen unvergesslichen Abend, und wie sagt man auf Italienisch?