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Die Rencebauern verständigten sich also mit diesen Signalen, mit der Nachahmung des Schreis der Marschgänse. Sie hatten mich also längst entdeckt und beobachtet, denn die Schreie der Marschgänse verfolgten mich schon seit Stunden.

3

Die Renceinseln der Marschgemeinden sind ziemlich klein, selten größer als siebzig Meter im Quadrat. Sie bestehen durch und durch aus den verwobenen Stämmen der Rencepflanze und schwimmen im Sumpf. Sie sind im allgemeinen etwa zwei Meter dick und ragten vielleicht einen Meter aus dem Wasser. In dem Maße, wie die Rencestengel unter der Insel abbrechen oder verfaulen, werden oben neue Schichten angefügt.

Um eine unerwünschte Fortbewegung der Insel zu verhindern, gibt es im allgemeinen mehrere lange Marschranken, die das Gebilde an starken Rencewurzeln festhalten. Es ist gefährlich, eine solche Leine festzumachen, weil die Sumpftiere so überaus raubgierig sind.

Soll die Insel weiterschwimmen, kappt man die Ranken einfach, und die Gemeinschaft teilt sich auf in eine Gruppe, die die langen Staken bedient, und in eine zweite Gruppe, die in kleinen Rencebooten vorausfährt und den Weg freihaut. Die Insel wird entweder vom Ufer aus angetrieben oder von ihrer Mitte her, wo es vier von Korbgeflecht geschützte quadratische Löcher gibt, durch die die langen Stangen ebenfalls in den Sumpfboden gestakt werden können. So läßt sich die Insel auch im Kriegsfall bewegen, ohne die stakenden Männer und Frauen äußeren Angriffen, etwa Pfeilattacken, auszusetzen. Bei Kämpfen versammeln sich die Bewohner hinter einer korbähnlichen Brustwehr, die sich um die mittleren Inselbrunnen zieht; in einem solchen Fall werden auch die niedrigen Rencehütten eingerissen, damit der Gegner keine Deckung findet, und alle Nahrungsmittel und Wasservorräte werden bei den Brunnen gelagert, die sodann eine Art Festung bilden und besonders gegen die Speere der anderen Rencebauern Schutz bieten. Leider nützt dieses System wenig bei einem gut organisierten Angriff überlegen bewaffneter Krieger, wie sie etwa aus Port Kar kommen, während jene, derer sie sich erwehren könnten – nämlich die anderen Rencebauern – selten angreifen. Seit fünfzig Jahren hatte es in den großen Deltasümpfen keine Feindseligkeiten mehr zwischen den Bauern gegeben; die Gemeinschaften leben oft in gut gehüteter Isolation und haben genügend Sorgen mit den »Steuereintreibern« von Port Kar, um sich auch noch um ihre Nachbarn zu kümmern.

»Du bist also auf dem Weg nach Port Kar?« fragte Ho-Hak und musterte mich von oben bis unten.

Er saß auf dem Riesenpanzer einer Vosksorp, der eine Art Thron bildete.

Ich kniete vor ihm, nackt und gefesselt. Zwei Marschranken waren mir zusätzlich um den Hals gebunden worden.

»Ja«, sagte ich. »Ich wollte nach Port Kar.«

»Wir mögen die Männer aus Port Kar nicht«, sagte Ho-Hak.

Um seinen Hals zog sich ein schwerer rostiger Eisenkragen, an dem noch ein Stück Kette hing. Vermutlich hatten die Rencebauern keine Werkzeuge, um den Kragen zu entfernen. Ho-Hak mochte ihn schon seit Jahren tragen. Er war zweifellos ein Sklave, der wahrscheinlich von einer Galeere Port Kars in die Marsch geflohen war.

»Ich bin nicht aus Port Kar«, sagte ich.

»Welches ist deine Heimstadt?«

Ich schwieg. Meine Identität, die Tatsache, daß ich Tarl Cabot war und daß ich den Priesterkönigen diente, ging diese Menschen nichts an. Ich kam aus dem Sardargebirge und wußte nur, daß ich nach Port Kar reisen und mich dort mit Samos, dem ersten Sklavenhändler der Stadt, in Verbindung setzen mußte.

»Du bist ein Geächteter«, sagte Ho-Hak.

Ich zuckte die Achseln; es stimmte, daß mein Schild und meine Kleidung keine Stadtzeichen trugen.

Ho-Haks rechtes Ohr zuckte. Seine Ohren waren ungewöhnlich groß und hatten sehr lange Läppchen, die von schweren Ringen noch mehr in die Länge gezogen wurden. Kein Zweifel – er hatte als Ruderer auf einer Galeere gedient, wovon auch seine breiten muskulösen Schultern zeugten, aber er war ein ungewöhnlicher Sklave, ein Exote, der von seinen Erzeugern sicher für höhere Aufgaben ausersehen gewesen war als für die Arbeit auf der Ruderbank.

»Du bist ein Exote«, stellte ich fest.

Ho-Haks Ohren neigten sich nach vorn, aber er schien nicht ärgerlich zu sein. Er hatte braunes Haar und braune Augen; das lange Haar war hinter seinem Kopf mit einer Renceschnur zusammengebunden. Er trug eine ärmellose Tunika aus Rencetuch.

»Ja«, sagte Ho-Hak. »Ich wurde für einen Sammler gezüchtet. Dem habe ich den Hals umgedreht und bin geflohen. Später fing man mich wieder ein und schickte mich auf die Galeeren.«

»Und von dort bist du wieder geflohen.«

»Und dabei«, sagte Ho-Hak und betrachtete stolz seine ungeheuren Pranken, »habe ich sechs Männer getötet.«

»Und dann kamst du in die Sümpfe?«

Er musterte mich. »Ja, und ich trage in mir die Erinnerung an ein Dutzend Jahre auf den Galeeren und meinen Haß auf alle Dinge, die mit Port Kar zusammenhängen.« Mehrere Rencebauern waren zusammengekommen, Männer mit Sumpfspeeren. Dicht neben mir stand das blonde Mädchen, das der Lockvogel in der Falle gewesen war. Hoch aufgerichtet, eine freie Frau neben einem niederen Sklaven, so stand sie neben mir. Über der Schulter trug sie die vier Vögel, die sie im Sumpf erlegt hatte. Auch andere Frauen waren zu sehen und hie und da Kinder.

»Entweder ist er aus Port Kar«, sagte sie, »oder er wollte nach Port Kar gehen, um dort zu bleiben. Weshalb sonst sollte er dorthin wollen?«

Ho-Hak schwieg lange Zeit. Er hatte einen breiten Kopf und ein massiges, ruhiges und nicht unintelligentes Gesicht.

Ich hörte den Schrei eines Haustarsks, der von einem Kind über die Insel gejagt wurde. Junge Marschgänse piepsten im Schilf. Gezähmte Vögel dieser Gattung wanderten auf der Insel herum und zupften an den Renceschichten herum.

In der Gruppe befanden sich mehrere bedeutend aussehende Männer, bei denen es sich – wie ich erfuhr – um die Anführer anderer Renceinseln aus der Umgebung handelte.

Jede Renceinsel bietet etwa fünfzig bis sechzig Menschen Raum. Die Männer mehrerer Inseln hatten bei meiner Verfolgung zusammengearbeitet. Gewöhnlich leben solche Gemeinschaften allein, doch der Tag der Herbst-Tag- und Nachtgleiche rückte heran, und mit ihm der erste Se’Kara, der große Festtag des Jahres. Zu dieser Zeit ist der größte Teil der jährlichen Renceernte eingebracht, und große Vorräte Rencepapier liegen bereit.

Zwischen Se’Kara und der Wintersonnenwende, die am ersten Se’Var eintritt, wird das Rence verkauft, an Händler, die in das Delta vordringen, oder auf Handelsplätzen am Rand des Sumpfgebiets. Auch am ersten Se’Var wird ein Fest gefeiert, dann jedoch auf den einzelnen Renceinseln. Ist die Jahresernte verkauft, streben die Inseln so schnell wie möglich wieder auseinander, um den »Steuereintreibern« aus Port Kar kein einladendes Ziel zu bieten. Ohnehin war das Risiko im Se’Kara schon groß genug. Die unverkauften Rencevorräte auf den Inseln stellten einen erheblichen Wert dar, wenn dieser Schatz auch ziemlich unhandlich war.

Hier jedoch mußte etwas Besonderes vorgehen, denn ich entdeckte fünf oder sechs Inselführer in der Runde. Sogar im Se’Kara ist es selten, daß mehr als drei Inseln zum Feiern zusammenkommen. Dabei wird viel Rencebier getrunken, gekocht und fermentiert aus zerdrückten Rencesamen und dem weißlichen Mark der Pflanze; dazu Gesang, Spiele, Wettbewerbe und das Freien um die Mädchen. Warum hatten sich so viele Renceinseln hier zusammengefunden? Sicher rechtfertigte die Gefangennahme eines Durchreisenden eine solche Massierung von Inseln nicht. Was also mochte der Grund sein?

»Er ist ein Spion«, sagte einer der Männer neben Ho-Hak.

Ich fragte mich, was es auf den Renceinseln auszuspionieren gab.

Ho-Hak schwieg noch immer. Er saß auf seiner Thronmuschel und betrachtete meine Waffen, die zu seinen Füßen lagen.

Ich bewegte mich etwas in meinen Fesseln, die mich sehr beengten.