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Aton sah erschrocken zurück. Sie befanden sich noch immer auf dem Grund des Wasserbeckens, so daß er den Eingang von hier aus nicht sehen konnte, aber das Krachen und Bersten wiederholte sich, und das Brüllen der Sphinx klang plötzlich gequält. Petach hatte recht. Sie hatten nicht mehr viel Zeit.

Die Insel bot einen genauso traurigen Anblick wie die ganze Höhle. Die Zeit hatte auch hier ihren Tribut gefordert. Die lebensgroßen Statuen der Krieger und die anderen Figuren waren zum größten Teil umgestürzt und zerbrochen, so daß sich Schutt und Trümmer mit Gold und funkelnden Edelsteinen mischte. Der gewaltige Baldachin, der das zweite, kleinere Wasserbecken in der Mitte der Insel überspannt hatte, war zusammengebrochen. Einer der mannsdicken Pfeiler hatte die Barke getroffen und ihr Heck zerschmettert, die anderen bildeten einen wirren Haufen aus zerbrochenem Holz, über den sie nur mühsam und äußerst vorsichtig hinwegsteigen konnten, denn die Splitter waren spitz und hatten rasiermesserscharfe Kanten.

Auch der kleine See war ausgetrocknet. Die goldenen Fische lagen zerbeult und blind geworden auf dem Boden, die Barke war von ihrem Sockel gerutscht. Die hölzernen Männer, die sie gelenkt hatten, lagen wie erschlagene Wächter ringsum verstreut, und auch der kleine Baldachin über der Barke hatte sich zur Seite geneigt, so daß die goldenen Schlangen, die seine Pfeiler bildeten, sich nun mit ihren aufgerissenen Mäulern gegenseitig zu bedrohen schienen.

Aton zögerte noch, den letzten Schritt zu tun und in das ausgetrocknete Bassin hinunterzusteigen. Vorhin, als sie die Grabkammer betreten hatten, da hatten der Zerfall und die Zerstörung durchaus etwas Großartiges gehabt, machten sie doch das unvorstellbare Alter dieses Ortes deutlich. Jetzt erschütterte ihn der Anblick, denn er führte ihm deutlich vor Augen, wie vergänglich alles war, was der Mensch erschuf. Nach dem Glauben der Ägypter war dieser Ort für die Ewigkeit gedacht gewesen. Der Mann, der hier bestattet worden war, war ein König gewesen, mehr noch, ein Mensch, der von seinen Untertanen wie ein Gott verehrt worden war. Und doch hatten gerade drei Jahrtausende - für einen Menschen sicher eine unvorstellbar lange Zeit, in Wahrheit jedoch kaum mehr als ein Lidzucken in der Ewigkeit - ausgereicht, ihn nahezu vollkommen zu zerstören. Bald würde nichts mehr von ihm geblieben sein, nichts mehr daran erinnern, daß es ihn je gegeben hatte.

Er begann die Blicke Petachs und der anderen beinahe körperlich zu spüren, und es erinnerte ihn daran, daß er nicht hergekommen war, um über die Vergänglichkeit des Menschen zu philosophieren - genaugenommen würde sich wohl in den nächsten Augenblicken entscheiden, wie es um ihre eigene Vergänglichkeit bestellt war ... Rasch ging er weiter, trat mit einem entschlossenen Schritt in das leere Bassin hinab und näherte sich der Barke. Er mußte in Schlangenlinien gehen, um den übereinandergestürzten Statuen auszuweichen, die zum größten Teil zerbrochen auf dem Beckengrund lagen. Sein Vater, Sascha und die beiden Ägypter folgten ihm, aber sie taten es in gehörigem Abstand, und sie machten jetzt auch keine Versuche mehr, ihn irgendwie anzutreiben.

Atons Herz begann schneller zu schlagen, als er sich den beiden Sarkophagen näherte. Als die Barke von ihrem Sockel gerutscht war, hatten auch sie sich bewegt. Sie waren gegeneinandergeprallt und hatten sich ein wenig gedreht, so daß sich die goldenen Gesichter des Mannes und der Frau - Echnaton und Nofretete, denn um keine anderen konnte es sich bei den beiden Toten im Inneren der gewaltigen goldenen Särge handeln - anzublicken schienen, was Aton auf sonderbare Weise berührte, denn es sah ganz so aus, als hätten sich die beiden absichtlich gedreht, um noch im Tode für die Ewigkeit vereint zu sein.

»Nofretete!« flüsterte sein Vater. Er war neben Aton stehengeblieben und blickte aus ungläubig aufgerissenen Augen auf die beiden Sarkophage hinab. Sein Gesicht war so bleich wie das eines Toten, und seine Stimme bebte. »Das ... das ist Nofretete!«

Er deutete auf das Frauengesicht, und erst jetzt, als hätte es erst dieser Worte bedurft, erkannte auch Aton die weltberühmten Züge. Es gab keinen Zweifel - das goldene Gesicht glich dem einer Büste, die unzählige Male in Büchern und Zeitschriften abgebildet worden war.

»Dann ... dann muß das da ...« Die Stimme seines Vaters brach. Er begann am ganzen Leib zu zittern, als er sich zu dem zweiten Sarkophag herumdrehte und das Gesicht des toten Pharaos ansah. »Dann muß das hier Echnaton sein«, sagte er schließlich mühsam. »Ich ... ich habe es nicht geglaubt, aber ... aber es ist wahr. Wir ... wir haben Echnatons Grab gefunden. Großer Gott, Aton - weißt du, was das bedeutet?«

»Daß die Welt, wie Sie sie kennen, vielleicht bald nicht mehr existieren wird«, antwortete Petach an Atons Stelle.

Atons Vater blickte ihn verunsichert an. Nach ein paar Sekunden lachte er, aber es klang nicht sehr überzeugend. Aton wollte weitergehen, aber sein Vater streckte rasch die Hand aus und riß ihn fast grob an der Schulter zurück.

»Faß es nicht an!« sagte er.

»Aber ich -«, begann Aton, doch sein Vater unterbrach ihn in befehlendem Ton:

»Du wirst nichts tun, bevor ich nicht weiß, was hier geschieht. Warum sind wir hier? Was erwartet er von dir?«

»Nichts, was er nicht freiwillig täte«, sagte Petach ruhig. »Bitte lassen Sie ihn los. Aton weiß, was zu tun ist. Und er weiß, wie wichtig es ist.«

»Wollen Sie mir erzählen, daß wir hier sind, um den Weltuntergang aufzuhalten?« fragte Atons Vater.

»Sie wird nicht untergehen«, antwortete Petach. »Aber sie wird sich verändern - und nicht zum Guten.« Er machte eine Geste in die Richtung, aus der sie gekommen waren. »Sie haben sie gesehen, aber Sie wissen nicht, wer sie wirklich sind. Sie glauben es zu wissen, aber das stimmt nicht. Diese beiden Götter dort draußen sind nicht mehr, was sie waren. Der Osiris und der Horus, die es einst gab, existieren schon lange nicht mehr. Sie sind böse geworden. Sie bestehen nur noch aus Zorn und Haß, und sie werden Zorn und Haß in die Herzen der Menschen säen, die an sie glauben. Es gibt schon zu viel Leid und Unrecht auf der Welt, und sie werden es hundertfach vermehren, glauben Sie mir.«

»Das ist ... Unsinn«, widersprach Atons Vater nervös. »Gut und Böse haben immer nebeneinander existiert. Das eine bedingt das andere.«

»Das ist richtig«, antwortete Petach. »Es ist ein kompliziertes Gleichgewicht, das die Welt in Gang hält. Aber jedesmal, wenn sich die Waagschale weiter auf die Seite der Dunkelheit neigt, wird ihr Übergewicht größer, und sie senkt sich ein wenig schneller. Osiris wird die Welt nicht vernichten - aber vielleicht wird er sie zu einem Ort machen, an dem Sie nicht mehr würden leben wollen.« Er machte eine Handbewegung, als Atons Vater abermals widersprechen wollte, und fuhr mit erhobener, fast zorniger Stimme fort:

»Ich rede nicht von Ihrer Welt. Ich rede nicht von Ihren Städten und Ihren Menschen oder Ihrem Land. Aber ich rede von den Menschen hier, den einfachen Bauern und Handwerkern, den Menschen, die nicht viel haben und darum nur zu bereit sind, den Versprechungen falscher Götter zu glauben. Sie werden sterben. Sie werden leiden, und sie werden die Saat des Bösen an ihre Kinder weitergeben. Osiris wird sicher nie wieder so mächtig werden, wie er einst war, aber es werden Hunderte sein, die seinetwegen sterben müssen, vielleicht Tausende. Wollen Sie das?«

Er trat herausfordernd einen Schritt auf Atons Vater zu und sah ihn kalt an. »Sie haben recht - es betrifft nicht Sie. Es betrifft nicht Aton oder Ihre Frau oder Ihre Freunde und Verwandten zu Hause. Es geht um mein Volk, nicht um das Ihre. Wenn es Ihnen gleich ist, daß es zugrunde geht, dann sagen Sie es, und Aton und Sie können gehen. Ich verspreche Ihnen, daß ich Sie nicht aufhalten werde. Wollen Sie das wirklich?«