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Der Gedanke erfüllte ihn mit purer Todesangst, und diese gab ihm die Kraft, hochzukommen und auf den Waldrand zuzulaufen. Es waren nur wenige Meter, aber für Aton wurden sie zu Ewigkeiten. Der Schlamm schien sich an seinen Füßen festzusaugen, und er strauchelte immer wieder.

Auch als er den Waldrand erreichte und wie wild durch das dürre Geäst und Unterholz brach, wurde es nicht besser. Unter seinen Füßen war jetzt halbwegs fester Boden, aber die Zweige und Äste, die dürren Wurzeln und das trockene Unterholz schienen sich wie gierige Finger nach ihm auszustrecken und ihn festhalten zu wollen. Dornige Ranken zerkratzten sein Gesicht und rissen an seiner Jacke und seinem Haar, und es war so dunkel hier, daß er kaum die Hand vor den Augen sah. Zweimal prallte er im vollen Lauf gegen einen Baum, und schließlich stolperte er und fiel der Länge nach hin.

Seine Stirn schrammte unsanft an etwas Hartes, und für Augenblicke drohte er das Bewußtsein zu verlieren. Alles wurde unwirklich und finster um ihn herum, das bißchen Licht, das er noch sah, verblaßte, und er fühlte, wie eine trügerisch warme, wohltuende Dunkelheit nach seinen Gedanken griff und sie einzuhüllen begann. Nur das Wissen, nie wieder aus diesem Schlaf zu erwachen, wenn er dies zuließe, brachte ihn dazu, die Augen zu öffnen und sich aufzurichten.

Er hörte Schritte. Nicht die Schritte eines Menschen, sondern ein unregelmäßiges Stampfen, unter dem die Erde zu zittern schien, und er hörte das Splittern und Bersten des Unterholzes, durch das der Unheimliche hindurchbrach.

Und wieder dieses Atmen.

Dieses schreckliche, eiserne Hecheln, das ihn mehr erschreckte als alles andere.

Mit einem noch halb unterdrückten Schreckensschrei fuhr Aton herum und rannte ziellos tiefer in den Wald hinein.

Doch er kam nur wenige Schritte weit. Plötzlich war etwas vor ihm, auch diesmal nur ein Schatten, aber irgendwie massiver, körperlicher als der des Unheimlichen, der ihn zu ersticken versucht hatte.

Er blieb stehen und blickte verzweifelt um sich. Nun bewegte sich auch etwas vor ihm. Ein schwerer, gedrungener Körper, den er nur als Schatten erkennen konnte. Gelbglühende Augen starrten ihn aus der Dunkelheit heraus an, und Aton hörte ein tiefes, drohendes Knurren, das ihm das Blut in den Adern gerinnen ließ. Verzweifelt sah er sich um, suchte nach einem Versteck, einer Deckung, einem Schutz. Aber da war nichts. Der Wald war kein Wald mehr, sondern ein Meer aus Schwärze, das von bizarren, falschen Umrissen in noch tieferem Schwarz erfüllt war. Ein Wirklichkeit gewordener Alptraum, aus dem es kein Entrinnen, in dem es kein Licht, kein Versteck und keine Sicherheit gab. Der Schatten kam nicht näher, aber die gelbglühenden, unheimlichen Augen starrten ihn weiter an, und er vernahm noch immer dieses tiefe, drohende Knurren.

Obwohl er wußte, daß der Verfolger hinter ihm war, machte er einen Schritt zurück - und schrie abermals gellend auf!

Ein dürrer Zweig hatte sich um sein Handgelenk gewickelt. Aton versuchte, den Arm zurückzuziehen, aber der Zweig gab nicht nach, sondern zog sich im Gegenteil wie eine Schlinge enger zusammen, so daß sich die winzigen Dornen daran wie kleine Nadeln in seine Haut bohrten und feine Blutströpfchen an seinem Arm herabliefen. Und noch während Aton aus weit aufgerissenen Augen auf das schreckliche Bild starrte, schnellte ein zweiter und dritter und vierter Zweig herbei, jeder wand sich gleich einem dünnen, lebenden Lasso um seine Hand und begann sich zusammenzuziehen, so daß seine Finger mit erbarmungsloser Kraft gegeneinandergepreßt wurden.

Etwas zupfte an seinem rechten Hosenbein, und endlich erwachte Aton aus seiner Erstarrung. Aber es war zu spät. Ein halbes Dutzend dürrer, biegsamer dornenbesetzter Ranken schoß aus der Dunkelheit herbei und wickelte sich um seinen rechten Knöchel, und einen Moment später spürte er einen heftigen Schmerz und warmes Blut, als auch sie sich mit grausamem Druck zusammenzuziehen begannen!

Die Angst fegte auch den letzten Rest klaren Denkens hinweg. Aton stieß einen Schrei aus und begann, heftig an den lebendigen Fesseln zu zerren, ohne auf den Schmerz zu achten, den er sich damit selbst zufügte. Vor ihm waren noch immer die rotglühenden Augen, die aber nicht mehr ihn anstarrten, sondern in die Richtung sahen, aus der das rasselnde Atmen des Unheimlichen und seine merkwürdig schwerfälligen Schritte zu hören waren. Aton schrie, wand sich wie von Sinnen und torkelte herum.

Die Gestalt stand hinter ihm.

Und obwohl sie jetzt kaum noch eine Armeslänge von ihm entfernt war, konnte Aton sie immer noch nicht deutlicher erkennen. Sie blieb ein Schatten, blieb das, als das er sie im allerersten Moment gesehen hatte: ein Stück zum Leben erwachter Dunkelheit. Der Schatten einer mächtigen Gestalt, auf deren Schultern der Kopf eines Hundes thronte!

Langsam hob der Unheimliche wieder die Hand, und diesmal berührten seine Finger beinahe Atons Hals. Ein Hauch tödlicher Kälte streifte seine Haut, die gleiche, unheimliche Kälte, die er auch auf der Treppe im Internat gespürt hatte, ein eisiger Hauch, der nach Moder und Alter roch, wie der Luftzug aus einem Grab, das nach tausend Jahren geöffnet wurde, und wieder griff die unsichtbare Hand nach seiner Kehle und drückte sie zu, langsam, aber unbarmherzig und preßte das Leben aus ihm heraus.

Aton taumelte. Er wollte schreien, aber er konnte es nicht mehr. Zwischen seinen Schläfen erwachte ein pochender, im Takt seines rasenden Herzens immer schneller und heftiger werdender Schmerz. Seine Lungen schrien nach Luft. Aber seine Bewegungen wurden schwächer und schwächer, und er konnte fühlen, wie die Kraft und das Leben aus ihm herausflossen. Der Nachtwald begann vor seinen Augen zu verschwimmen, und die Gestalt des Unheimlichen zerfaserte, als wäre sie ein Trugbild aus Nebel, das von einem Windstoß einfach auseinandergetrieben wurde.

Und dann war es vorbei.

Plötzlich, von einer Sekunde auf die andere, verschwand die würgende Hand von seiner Kehle. Die dornigen Ranken lösten sich von seinen Gliedmaßen und schnellten in die Nacht zurück, aus der sie gekommen waren, und Aton fiel mit einem erstickten Keuchen nach vorn und aufs Gesicht ins feuchte Moos.

Er hustete, stemmte sich in einer letzten verzweifelten Anstrengung in die Höhe und wälzte sich auf den Rücken, um tief ein- und auszuatmen, seine Lungen mit frischem Sauerstoff zu füllen, der die Schwärze des Todes, deren Nahen er schon gefühlt hatte, noch einmal vertrieb.

Er spürte, wie ihm die Sinne schwanden. Aber einen Moment, bevor er endgültig das Bewußtsein verlor, sah er, wie sich die Gestalt des Unheimlichen mit dem Hundekopf mit einem Ruck herumdrehte und einer zweiten, viel kleineren Gestalt entgegenblickte, die mit weit ausgreifenden Schritten und hocherhobenen Armen durch den Wald herangestürmt kam - Petach!

Aton wußte nicht, was weiter geschah, denn die grauen Schleier vor seinem Blick verdichteten sich zu einem schwarzen Vorhang, der sich endgültig über seine Sinne senkte. Aber er konnte nicht sehr lange ohne Bewußtsein gewesen sein, denn das nächste, was er spürte, waren Petachs Hände, die besorgt über sein Gesicht und seinen zerschundenen Hals tasteten, und das nächste, was er sah, war das schreckensbleiche Gesicht des Ägypters, das sich über ihn beugte.

»Aton!« rief er aufgeregt. »Was ist mit dir? Bist du verletzt?«

Aton versuchte, den Kopf zu schütteln, aber es blieb bei dem Versuch. Er fühlte sich schwach, unendlich schwach. Sein Hals schmerzte, und als er zu reden versuchte, brachte er im ersten Moment nur ein unverständliches Krächzen heraus.

»Bist du verletzt?« fragte Petach noch einmal.

Diesmal gelang es Aton, den Kopf zu schütteln. »Nein«, flüsterte er.

Petach sah ihn kurz an, dann wandte er den Kopf und blickte auf seine Hand hinunter, von der noch immer warmes Blut lief, und der nächste Blick, den er in Atons Gesicht warf, machte deutlich, was er von dieser Antwort hielt. »Ich habe dir gesagt, du sollst beim Wagen bleiben«, sagte er vorwurfsvoll. »Was suchst du hier im Wald?«