Выбрать главу

Sie gingen weiter. Nach wenigen Sekunden erreichten sie das, was einmal die Schaltzentrale des Staudammes werden würde: einen riesigen, halbrunden Raum, in dem sich irgendwann einmal blitzende Maschinenpulte und summende Computer aneinanderreihen würden, der jetzt aber eher aussah wie das Innere Deines zu groß geratenen, halb auseinandergenommenen Fernsehapparates. Überall an den Wänden standen erst halbfertige Apparaturen, bunte Kabel und Leitungen ringelten sich aus den Wänden, und auch hier herrschte ein einziges Durcheinander aus Werkzeugen, Leitungen und herumliegenden Einzelteilen. Nur ein einziges Schaltpult - das aber von beeindruckender Größe - schien zumindest halbwegs fertiggestellt zu sein. Auf seiner Oberfläche blinkten rote und grüne Lichter. Zeiger bewegten sich lautlos über Skalen, und auf einem halben Dutzend kleiner Bildschirme liefen blinkende Zahlenkolonnen von unten nach oben.

Petach trat staunend an das Pult heran und betrachtete es kopfschüttelnd. »Beeindruckend«, sagte er, und bevor Aton etwas darauf erwidern konnte, antwortete sein Vater mit hörbarem Stolz:

»Das ist unsere Art von Magie. Sie werden sehen - auf ihre Art ist sie so mächtig wie die Ihre.«

»Ich hoffe es«, murmelte Petach. »Denn wenn nicht, wird etwas Furchtbares geschehen.«

»Wieviel Zeit haben wir noch, bis die Sonne aufgeht?« fragte Aton.

Sein Vater überlegte einen Moment. »Eine Stunde, eher weniger«, sagte er. »Aber das ist egal. Entweder es klappt in dieser Frist oder nicht.« Er sah ungeduldig hoch. »Wo, zum Teufel, bleiben die Techniker?«

Wie auf ein Stichwort wurde in diesem Moment die Tür aufgestoßen, und eine ganze Anzahl verschlafen aussehender Männer betrat den Raum. Atons Vater ließ ihnen keine Zeit, irgendwelche Fragen zu stellen, sondern begann sofort mit erstaunlicher Ruhe Befehle zu erteilen, denen sie auch gehorchten. Rasch traten sie an die verschiedenen Schaltpulte und Geräte heran, von denen offenbar doch etliche bereits funktionierten.

Der Raum erwachte binnen Minuten zu blinkendem, piepsendem Leben, als das, was Atons Vater seine Art von Magie genannt hatte, aus seinem Dornröschenschlaf erwachte. Aton spürte, wie tief unter ihren Füßen gewaltige Maschinen anliefen. Er konnte sie nicht wirklich hören, aber er fühlte ihr Rumoren mit dem ganzen Körper, und plötzlich verstand er seinen Vater ein bißchen besser. Seine Worte waren mehr als bloßer Stolz gewesen. Es war eine Art von Magie, über die er gebot.

Nach einer Weile winkte ihn sein Vater zu sich heran und deutete auf das große Schaltpult. »Siehst du die drei roten Schalter?« fragte er.

Aton nickte. Die Tasten waren rund, feuerrot und jede so groß wie sein Handteller. Sie waren gar nicht zu übersehen.

»Wenn ich es dir sage, dann drückst du sie«, sagte er.

»Das ist alles?« wunderte sich Aton.

Vater nickte. »Alles andere erledigen wir. Du mußt nur diese Tasten drücken.«

»Moment mal!« mischte sich einer der Techniker ein. »Das ist die Notentleerung. Was soll das -«

»Ich weiß, was das ist«, unterbrach ihn Atons Vater in schneidendem Ton. »Tun Sie, was ich Ihnen gesagt habe!«

»Ich denke ja nicht daran!« erwiderte der Mann trotzig. »Das kostet mich meinen Job! Ich will erst wissen, was hier los ist!«

Aus den Reihen der anderen erklang ein zustimmendes Gemurmel, und Aton konnte regelrecht spüren, wie die Stimmung umschlug.

Vaters Gesicht verdüsterte sich. Er holte Luft zu einer scharfen Antwort, aber er kam nicht dazu. Petach trat rasch an ihm vorbei, legte dem Mann, der sich geweigert hatte, den Befehl auszuführen, die Hand auf die Schulter und sah ihn durchdringend an. Eine Sekunde lang hielt dieser seinem Blick stand, dann erschien ein verwirrter Ausdruck auf seinen Zügen, fast als fragte er sich, was er hier überhaupt tat. Ohne ein weiteres Wort wandte er sich um und nahm seine Arbeit wieder auf.

»Es ist alles in Ordnung«, sagte Petach. »Tut, was euch befohlen wurde.«

Während sich die Männer einer nach dem anderen wieder ihrer Arbeit zuwandten, erschien ein leichtes Lächeln auf Petachs Zügen. »Sehen Sie?« fragte er. »Und das ist meine Art von Magie.«

Atons Vater ersparte sich eine Antwort, sondern trat wieder an das Pult heran und fuhr fort, Schalter umzulegen und auf Computertastaturen einzuhämmern. Der Herzschlag der Maschinen tief unter ihnen veränderte sich, ganz allmählich nur, aber doch spürbar, und an den Wänden begannen immer mehr Lämpchen zu blinken und Monitoren aufzuleuchten.

Aton verlor jedes Zeitgefühl. Er wußte, daß sich eine halbe Stunde zu einer wahren Ewigkeit dehnen konnte, wenn man darauf wartete, daß sie verging, und er durchlebte hundert Ewigkeiten, ehe sein Vater schließlich einen letzten Blick auf seine Instrumente warf und mit einem tiefen Seufzer vom Pult zurücktrat.

»Der Druck ist da«, sagte er. Er machte eine auffordernde Geste. »Alles andere mußt du tun.«

Aton streckte die Hände aus, dann erstarrte er mitten in der Bewegung. Plötzlich hatte er Angst davor, es zu tun. Angst wie niemals zuvor im Leben. Was, wenn es nicht funktionierte? Was, wenn er es tat und feststellte, daß er sich geirrt hatte, daß nichts mehr das Wirken der Götter aufhalten konnte? Seine Zweifel waren so stark, daß er um ein Haar vom Pult zurückgewichen wäre, lieber die sichere Katastrophe gegen die Ungewißheit eines vielleicht erneuten Versagens eingetauscht hätte. Aber dann trat er vor und drückte rasch hintereinander auf die drei roten Tasten.

Im allerersten Moment geschah nichts. Dann änderte sich das mechanische Herzklopfen des Staudammes erneut, wurde zu einem Brüllen und Tosen, und einen Moment später begann der ganze Staudamm fühlbar unter ihren Füßen zu zittern, als die gewaltigen Turbinen anliefen und sich Millionen und aber Millionen Liter Wasser mit unvorstellbarer Wucht über die Wüste ergossen, unter der Echnatons Krieger auf den Moment ihres Erwachens warteten.

Die Nacht war fast vollständig dem neuen Tag gewichen, als der Helikopter landete; nicht einmal weit von der Stelle entfernt, an der er das erste Mal niedergegangen war, um Aton aufzunehmen. In der kleinen Kabine herrschte eine drückende Enge, denn außer Aton und seinem Vater hatten sich Petach und Atons Mutter hineingequetscht - auf letzterem hatte Vater bestanden, um zumindest sie in Sicherheit bringen zu können, sollte ihr Plan doch fehlgeschlagen sein.

Aton wußte, daß seine Sorge überflüssig war. Alles war so gekommen, wie es hatte kommen müssen. Petach und auch einmal Sascha hatten zu ihm gesagt, daß der Mensch nicht in der Lage sei, dem Schicksal zu trotzen, und vielleicht war das die Wahrheit. Aber es gab eine zweite, viel wichtigere Wahrheit, die sich in dieser verbarg, und die war, daß man vielleicht nichts am Lauf des Schicksals ändern konnte, aber sehr wohl an dem, was er bewirkte. Es lag immer in der Macht der Menschen, das Beste aus dem zu machen, was geschah.

Der Hubschrauber setzte auf, und sein Vater schaltete den Motor aus. Diesmal wirbelten die Rotorblätter keinen Staub auf, und obwohl er gewußt hatte, was ihn erwarten würde, konnte Aton ein Frösteln nicht ganz unterdrücken, als er durch die Plexiglaskanzel nach draußen sah.

Was in der Nacht noch ein Meer aus staubfeinem Sand gewesen war, das hatte sich in einen braunen Morast verwandelt, der bis zum Horizont zu reichen schien. Das Wasser, das von der ganzen Kraft der Turbinen angetrieben aus den Schleusen herausgebrochen war, hatte den Wüstenboden meterweit aufgewühlt und in eine Landschaft verwandelt, die aus Kratern, Rinnen und Tälern bestand. Ein feuchter, modriger Hauch lag über der Szene.

Aton stieg langsam aus dem Hubschrauber. Die Maschine war fast bis über die Kufen im Morast versunken, und auch Aton sank ein gutes Stück in den Schlamm ein, aber das störte ihn nicht. Aus den Augenwinkeln bemerkte er, daß sein Vater ihm folgen wollte, Petach ihn jedoch mit einer schnellen Bewegung zurückhielt.