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Die Orcs, einst selbst Marionetten der Dämonen, hatten sich gegen ihre ehemaligen Herren gewandt und sich den Menschen, Elfen, Zwergen und Drachen angeschlossen, um die dämonischen Krieger und ihre teuflischen Bestien zu dezimieren und die Überlebenden in das höllische Jenseits zurückzudrängen, aus dem sie einst hervorgebrochen waren. Tausende hatten den Tod gefunden, aber die Alternative wäre gewesen …

Der Drachenmagier schnaubte. Es hatte keine Alternative gegeben.

Krasus ließ seine langen Finger über die Kugel spielen und beschwor eine Vision der Orcs herauf. Das Bild wurde für einen Augenblick verschwommen, dann enthüllte sich ein gebirgiger, felsiger Landstrich, der weiter im Innern Kalimdors lag. Es war ein raues Land, aber noch immer voller Leben, und es hatte die neuen Siedler auf seinem Grund willkommen geheißen.

Mehrere steinerne Gebäude erhoben sich bereits in der Hauptsiedlung, wo der Kriegshäuptling Thrall herrschte, einer der großen Helden des vergangenen Krieges. Das hohe, runde Gebäude, das ihm als Quartier diente, mochte nach den Maßstäben der meisten anderen Völker primitiv sein, doch die Orcs hatten eine Neigung zum Einfachen. Extravaganz bedeutete für einen Orc schon, einen ständigen Platz zu haben, an dem er leben konnte. Diese Wesen waren so lange Nomaden und Gefangene gewesen, dass ihnen die Bedeutung von »Heimat« fast verloren gegangen wäre.

Mehrere der bulligen, grünlichen Gestalten bestellten ein Feld. Während er die brutal aussehenden Krieger mit ihren riesigen Stoßzähnen betrachtete, erfüllte die Vorstellung von Orc-Bauern Krasus mit großer Verwunderung. Doch Thrall war ein sehr ungewöhnlicher Orc, und er hatte die Ideen, die seinem Volk Stabilität verleihen konnten, bereitwillig ergriffen.

Stabilität war etwas, das die ganze Welt verzweifelt benötigte. Mit einer kurzen Handbewegung schickte der Drachenmagier Kalimdor fort und beschwor einen Ort, der sehr viel näher lag – die einst stolze Hauptstadt seines geliebten Dalaran. Beherrscht von den Magiern der Kirin Tor, den wichtigsten Vertretern der Zauberkünste, war sie in Lordaeron die vorderste Linie im Kampf der Allianz gegen die Brennende Legion gewesen – und damit eines der ersten Angriffsziele der Dämonen.

Halb Dalaran lag in Schutt und Asche. Von den Meisten der einst stolzen Türme waren nur noch große Trümmerhaufen übrig geblieben. Die großen Bibliotheken waren niedergebrannt, immenses Wissen – über Generationen angehäuft – für immer verloren gegangen … ebenso wie zahllose Leben. Selbst der Rat der Kirin Tor hatte schwer gelitten. Einige der obersten Zauberer, die Krasus als Freunde oder zumindest als geachtete Kollegen betrachtet hatte, hatten den Tod gefunden. Die Führung der Magischen Gilde befand sich in einer Krise, und Krasus wusste, dass es geboten war, ihr zur Seite zu stehen. Dalaran musste mit einer Stimme sprechen, und sei es auch nur, damit das, was von der zerbröckelten Allianz noch existierte, intakt blieb.

Doch trotz all des Elends und der Prüfungen, die noch auf die Welt zukommen mochten, hatte der Drache Hoffnung. Die Probleme konnten bewältigt werden. Man musste sich nicht mehr vor den Orcs fürchten, man musste sich nicht mehr vor den Dämonen fürchten. Azeroth würde hart zu kämpfen haben, aber Krasus war überzeugt, dass die Länder dieser Welt am Ende nicht nur überleben, sondern sogar neu erblühen würden.

Der Magier ließ von dem Kristall ab und erhob sich. Die Drachenkönigin, seine geliebte Alexstrasza, würde ihn erwarten. Sie ahnte bereits, dass er in die Welt der Sterblichen zurückkehren wollte, um ihnen beizustehen, und von allen Drachen konnte sie das am Besten verstehen. Er würde sich in sein wahres Ich verwandeln, sich von ihr verabschieden – für kurze Zeit – und dann gehen, bevor Reuegefühle ihn zurückhalten konnten.

Er hatte sein neues Allerheiligstes nicht nur wegen seiner Abgeschiedenheit gewählt, sondern auch wegen seiner Größe. Als er die kleinere Kammer verließ, betrat Krasus eine gewaltige Höhle, deren Höhe es leicht mit den inzwischen verlorenen Türmen des früheren Dalaran hätte aufnehmen können. Eine Armee hätte in dieser Grotte zu lagern vermocht und sie hätte sie nicht einmal gefüllt.

Genau die richtige Größe für einen Drachen.

Krasus streckte seine Arme aus … und seine feingliedrigen Finger wurden länger, entwickelten Krallen. Sein Rücken krümmte sich, und in der Nähe seiner Schultern brachen zu beiden Seiten seiner Wirbelsäule zwei Geschwülste hervor, die sich rasch in kleine Flügel verwandelten. Seine langen Gesichtszüge streckten sich noch mehr und wurden echsenhaft.

Und während all dieser kleinen Verwandlungen dehnte sich Krasus’ Leib aus. Er wurde vier, fünf, ja zehn Mal so groß wie ein Mensch und wuchs weiter. Jede Ähnlichkeit mit einem Menschen oder einem Elf schwand schnell dahin.

Der Zauberer Krasus wurde Korialstrasz, der Drache.

Aber plötzlich – inmitten der Metamorphose – erfüllte eine verzweifelte Stimme seinen Kopf.

Kor … strasz …

Er stockte und fiel wieder in seine Menschengestalt zurück. Krasus blinzelte. Dann wanderten seine Augen durch den riesigen Raum, als suchten sie hier die Quelle des Schreis.

Nichts. Der Drachenmagier wartete und wartete, aber der Ruf wiederholte sich nicht.

Er zuckte die Schultern und kam zu dem Schluss, dass seine eigenen Ungewissheiten und Sorgen ihm einen Streich gespielt hatte. Er entschloss sich, seine Verwandlung wieder aufzuneh …

Und wieder schrie die verzweifelte Stimme: Korialstra

Dieses Mal … erkannte er sie. Sofort antwortete er auf die gleiche Weise. Ich höre Euch! Was ist es, das Ihr von mir benötigt?

Es kam keine Antwort, doch Krasus fühlte, dass die Verzweiflung nicht verschwand. Er konzentrierte sich, versuchte, die Fühler seines Geistes auszustrecken und eine Verbindung mit demjenigen herzustellen, der ihn so dringend um Hilfe rief – demjenigen, der von keinem Geschöpf Hilfe hätte benötigen sollen.

Ich bin hier!, rief der Drachenmagier. Fühlt mich! Gebt mir einen Hinweis auf Eure Not!

Er spürte eine schwache Berührung als Antwort, die das Gefühl einer schweren Krise in sich trug. Krasus konzentrierte jedes Jota seiner Gedanken in die dürftige Verbindung und hoffte … hoffte …

Die übermächtige Präsenz eines Drachens, dessen Magie der seinen tausendfach überlegen war, ließ Krasus torkeln. Ein Eindruck von Jahrhunderten, von gewaltigem Alter, brach über ihn herein. Krasus fühlte sich, als umgebe ihn die Zeit selbst in all ihrer schrecklichen Majestät.

Aber es war nicht die Zeit … nicht ganz … sondern er, der der Aspekt der Zeit war.

Der Drache der Zeitalter – Nozdormu!

Es gab nur vier große Drachen, vier Große Aspekte, von denen seine geliebte Alexstrasza das Leben verkörperte. Der wahnsinnige Malygos war die Magie, und die ätherische Ysera beeinflusste die Träume. Gemeinsam mit dem grüblerischen Nozdormu repräsentierten sie die gesamte Schöpfung.

Krasus schnitt bei diesen Gedanken eine Grimasse. Tatsächlich hatte es einmal fünf Aspekte gegeben. Den fünften hatte man Neltharion genannt … den Wächter der Erde. Doch in einer Zeit, die so lange zurücklag, dass sich selbst Krasus nur vage an sie erinnern konnte, hatte Neltharion seine Gefährten verraten. Der Erdwächter hatte sich gegen seine Brüder und Schwestern gewandt und sich so einen neuen – ihm angemesseneren – Titel erworben.

Deathwing. Der Zerstörer.

Der Gedanke an Deathwing riss Krasus aus seinem Erstaunen. Geistesabwesend berührte er die drei Narben an seiner Wange. War Deathwing zurückgekehrt, um erneut die Welt heimzusuchen? War dies der Grund für die Not, die aus dem Gedankenruf des großen Nozdormu sprach?

Ich höre Euch!, sprach Krasus in seinem Geist, und jetzt fühlte er noch größere Furcht, was der Grund für diesen Ruf sein mochte. Ich höre Euch! Ist es … ist es der Zerstörer?

Als Antwort flutete eine weitere übermächtige Welle erstaunlicher Bilder über ihn hinweg. Die Visionen brannten sich in seinen Schädel und machten es Krasus unmöglich, auch nur eine einzige von ihnen zu vergessen.