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Als er an sich herab blickte, erkannte Rhonin, dass er tatsächlich den dunkelblauen Reisemantel und anderes, an das er gerade gedacht hatte, über Hemd und Hose trug. Ohne auch nur ein Wort zu verlieren, hatte sein riesenhafter Gefährte seine spärliche Kleidung aufgewertet.

Die Kapuze tief über das Gesicht gezogen, dachte Rhonin über das nach, was vor ihnen lag. Was konnte den Herrn der Zeit so sehr entsetzen? Die Bedrohung klang nach etwas Akutem von katastrophalem Ausmaß … und nach etwas, gegen das ein sterblicher Zauberer kaum etwas würde ausrichten können.

Und doch hatte sich Korialstrasz an ihn gewandt …

Rhonin hoffte, sich als würdig zu erweisen, nicht nur um des Drachens Willen, sondern auch in Hinblick auf seine wachsende Familie.

So unmöglich es auch erschien, irgendwann während des Fluges schlief Rhonin ein. Aber selbst dann stürzte er nicht von seinem Sitz im Nacken der Flugechse in den sicheren Tod. Korialstrasz hatte natürlich, was das anging, irgendetwas damit zu tun, auch wenn der Drache allem Anschein nach völlig unbekümmert dahin flog.

Die Sonne war fast schon untergegangen, als der Zauberer wieder aus seinem Dämmerschlaf erwachte. Rhonin wollte seinen Gefährten gerade fragen, ob er vorhabe, die ganze Nacht durch zu fliegen, als Korialstrasz begann, in den Sinkflug überzugehen. Der Magier sah nur Wasser unter sich, die Große See. Er konnte sich nicht erinnern, je gehört zu haben, dass rote Drachen begeisterte Schwimmer seien. Hatte Korialstrasz ernsthaft vor, wie eine Ente auf dem Wasser zu landen?

Einen Augenblick später wurde seine Frage beantwortet. In der Ferne erschien ein dunkler Felsen. Nein … kein simpler Felsen, eine Insel, der es fast völlig an Vegetation fehlte.

Ein Gefühl von Angst beschlich Rhonin, wie er es früher schon einmal verspürt hatte – als er das Meer auf seinem Weg ins Land Khaz Modan überquert hatte. Damals war er mit zwergischen Greifenreitern unterwegs gewesen, und die Insel, die sie überflogen hatten, war Tol Barad gewesen, ein verfluchter Ort, den die Orcs schon früh überrannt hatten. Die Bewohner der Insel waren alle ermordet, ihre Heimat verwüstet worden, und die hochsensiblen Sinne des Zauberers hatten gefühlt, wie ihre Seelen nach Rache dürsteten.

Jetzt erfuhr er wieder jenes Gefühl schrecklicher, unhörbarer Wehklagen.

Rhonin schrie den Drachen an, aber entweder riss ihm der Wind die Stimme fort, oder Korialstrasz entschied sich, ihn zu überhören. Langsam gingen sie auf der Insel nieder.

Sie landeten auf einem kleinen Berg, der eine Reihe von im Schatten liegender, zerstörter Gebäude überragte. Zu klein für eine Stadt, fand Rhonin, und er nahm an, dass es früher einmal ein Fort gewesen sein musste oder ein umfriedeter Wohnsitz. Auf jeden Fall boten die Ruinen ein beunruhigendes Bild, das die Sorgen des Zauberers nur noch mehrte.

»Wann werden wir unseren Weg fortsetzen?«, fragte er Korialstrasz und hoffte immer noch, dass der Drache nur vorhatte, für ein paar Minuten Rast einzulegen, ehe sie weiter nach Kalimdor flogen.

»Nicht vor Sonnenaufgang. Um Kalimdor zu erreichen, müssen wir in der Nähe des Mahlstroms vorbei, und dafür werden wir unseren wachen Geist und frische Kräfte benötigen. Dies ist die einzige Insel, die ich im Umkreis fand.«

»Wie heißt sie?«

»Dieses Wissen ist nicht das meine.«

Korialstrasz beugte sich tief hinab und erlaubte es Rhonin so, abzusteigen. Der Zauberer entfernte sich gerade weit genug von seinem Gefährten, um einen letzten Blick auf die Ruinen erhaschen zu können, bevor die Finsternis sie verschlang.

»Etwas Tragisches ist hier geschehen«, sagte Korialstrasz plötzlich.

»Du spürst es auch?«

»Ja … doch was es ist, vermag ich nicht zu sagen. Wie auch immer, hier oben sollten wir sicher sein, und ich habe nicht die Absicht, mich zu verwandeln.«

Das beruhigte Rhonin ein wenig. Er entschied sich, so nahe wie möglich bei dem Drachen zu bleiben. Trotz seines tollkühnen Rufs war der Zauberer kein Narr. Nichts konnte ihn hinunter in diese Ruinen locken.

Sein gigantischer Kamerad schlief beinahe sofort ein und ließ einen viel zu aufgeregten Rhonin zurück, der in den Nachthimmel starrte. Vereesas Bild erfüllte seine Gedanken. Die Zwillinge würden nicht mehr lange auf sich warten lassen, und er hoffte, ihre Ankunft durch diese Mission nicht zu verpassen. Geburt war eine ganz eigene Form von Magie, eine, die Rhonin niemals hätte meistern können.

Die Gedanken an seine Familie entspannten den Magier ein wenig, und bevor er es bemerkte, war er doch noch in tiefen Schlummer gesunken. Dort leisteten Vereesa und die noch ungeborenen Zwillinge ihm weiterhin liebevolle Gesellschaft, obwohl er seine Sprösslinge niemals klar als männlich oder weiblich einzuordnen vermochte.

Vereesa verschwand in den Hintergrund und ließ Rhonin mit den Zwillingen zurück. Sie riefen nach ihm, flehten ihn an, zu ihnen zu kommen. In seinen Träumen begann er zu laufen, über eine weite Ebene zu rennen. Die Kinder wurden immer fernere Schattenrisse am Horizont. Was als ein Spiel begonnen hatte, wurde zur wilden Jagd. Die zunächst glücklichen Rufe füllten sich mit Angst. Rhonins Kinder brauchten ihn, aber erst musste er sie finden … und zwar rasch.

»Vater! Vater!«, klangen die Stimmen.

»Wo seid ihr? Wo seid ihr?« Der Zauberer kämpfte sich durch ein Gewirr von Zweigen, das nur noch dichter zu werden schien, je entschlossener er sich vorankämpfte. Endlich brach er durch und fand sich vor einer hoch aufragenden Burg wieder.

Und von oben riefen wieder die Kinder. Er sah ihre fernen Gestalten, ihre Arme, die sich ihm flehentlich entgegen streckten. Rhonin wob einen Zauber, um sich in die Luft zu erheben, aber als er dies tat, wuchs die Burg und hielt mit seinem Bemühungen Schritt.

Frustriert konzentrierte er sich darauf, schneller aufzusteigen.

»Vater! Vater!«, schrillten die Stimmen, jetzt ein wenig vom Wind verzerrt.

Schließlich erreichte er das Turmfenster, wo die Beiden ihn erwarteten. Mit ihren Armen versuchten sie, die Entfernung zu Rhonin zu überbrücken. Ihre Finger waren nur noch wenige Zoll von den seinen entfernt …

Doch plötzlich polterte eine riesige Gestalt in die Burg und ließ sie in ihren Grundfesten erzittern. Rhonin und seine Kinder taumelten in schnellem Sturz zur Erde hinab. Rhonin versuchte verzweifelt, die Zwillinge zu retten, aber eine monströse, ledrige Hand fing ihn auf und trug ihn davon.

»Wach auf! Wach auf!«

Der Kopf des Zauberers pochte. Alles um ihn herum begann sich zu drehen. Die Hand verlor ihren Halt um ihn, und wieder begann er zu stürzen.

»Rhonin! Wo auch immer du bist! Wach auf!«

Unter ihm eilten zwei schattenhafte Gestalten heran, um ihn aufzufangen … seine Kinder, die nun versuchten, sein Leben zu retten. Rhonin lächelte dem Paar zu, und es lächelte zurück.

Lächelte zurück mit rasiermesserscharfen, tückischen Zähnen.

Und gerade noch rechtzeitig erwachte Rhonin.

Statt zu fallen, lag er auf dem Rücken. Die Sterne über ihm enthüllten, dass er sich in der dachlose Ruine eines Gebäudes befand. Modrig-feuchter Gestank attackierte seinen Geruchssinn, und ein aggressiver, zischender Laut drang an sein Gehör.

Er hob den Kopf- und starrte in eine Alptraum-Fratze.

Hätte jemand einen menschlichen Totenschädel genommen, ihn in geschmolzenes Wachs getaucht und dieses dann ungehemmt abtropfen lassen, wäre es dem schockierenden Anblick, der Rhonin erwartete, ziemlich nahe gekommen. Und hätte man diesem Gebilde noch lange, spitze Zähne, sowie rote, seelenlose, hungrig stierende Augen hinzugefügt, wäre das Bild höllischen Grauens perfekt gewesen.

Es kam auf viel zu langen Beinen auf ihn zu und holte mit knochigen Armen aus. Diese endeten in drei langen, gebogenen Fingern, welche sich tief in den bereits verwüsteten Stein gruben. Die makabre Gestalt trug die zerfetzten Überreste eines einst königlichen Mantels. Sie war so dünn, dass Rhonin zuerst glaubte, sie besäße überhaupt kein Fleisch, aber dann sah er eine fast durchsichtige Hautschicht, die die Rippen und andere sichtbare Bereiche überzog.