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»Harold«, wiederholte er und ging auf den Regisseur zu. Er legte ihm behutsam eine Hand auf den Arm. »Die Presse wartet.«

»... Die Presse ...« Harold wiederholte dieses honigsüße Wort, doch dann verfinsterte sich sein Blick. »Etwa dieser schmerbäuchige Idiot vom Echo...«

»Nein, nein, die richtige Presse. The Times, The Independent, The Guardian, Michael Billington.«

»Michael Billington.« Der Hoffnungsschimmer in Harolds Augen war überwältigend. »Oh... Tom!« Harold legte seine Hand auf den Arm des Inspektors, und Barnaby spürte das ganze Gewicht seiner Freude. »Ist das wahr?«

»Ja«, log Barnaby, und seine Stimme klang rauh.

»Endlich! Ich wußte ja, daß es passieren würde... Ich wußte, daß sie sich an mich erinnern würden...« Harold blickte wild um sich. Sein Gesicht war weiß vor Triumph, und Speichel hing wie eine Dolde kleiner kristallener Trauben von seinen Lippen herab. Er gestattete es Barnaby, ihn am Arm zu nehmen und die Stufen von der Bühne hinunterzuführen. Mitten im Gang blieb er stehen. »Werden sie auch Fotos machen, Tom?«

»Ich... ich denke schon.«

»Sehe ich denn gut aus ?«

Barnaby wandte den Blick von diesem strahlenden Gesicht, das vom Wahnsinn entstellt wurde. »Sie sehen gut aus.«

»Ich sollte aber meinen Hut mitnehmen.«

Avery stand auf, schnappte sich Harolds Dämon und reichte ihn schweigend seinem Besitzer. Harold setzte den Hut in einem grotesken Winkel auf, so daß der Schwanz über einem Ohr hing, dann strebte er zufrieden dem Ausgang entgegen.

Troy, der ein paar Schritte vorauslief, öffnete die Doppeltür, hakte sie ein und hielt den schweren purpurroten Vorhang zur Seite. Harold blieb in der Tür stehen, drehte sich um und stand einen Moment lang da, um einen letzten Blick über sein Königreich schweifen zu lassen. Er hielt den Kopf ein wenig zur Seite geneigt und lauschte gebannt. Auf seinem Gesicht bewegten sich die Erinnerungen, und ein Ausdruck größter Sehnsucht trat in seine wahnsinnigen Augen. Er schien aus weiter Ferne einen Trompetenschall zu hören. Dann, immer noch durch den Zauber von Tod und Traum bewegt, ging er davon. Der schwere rote Vorhang fiel, und der Rest war Schweigen.

Eine weitere Eröffnung, eine weitere Vorstellung

Weihnachten war gekommen und wieder gegangen, und das Wetter war alles andere als mild. Die Frau, die aus dem schimmernden blauen Metro stieg, trug einen langen Wollmantel mit einer Pelzkappe (Biberlamm), die mit Seide gefüttert war. Sie lief über den nassen Bürgersteig zum Reisebüro Far Horizons und eilte dankbar in die Wärme. Als sie am Schalter stand, schob sie die Kapuze zurück, und weiche, graublaue Locken fielen herab. Dann zog sie die Handschuhe aus. Sie fragte nach ein paar Kreuzfahrtbroschüren, und bei dem Klang ihrer Stimme wandte sich die einzige andere Kundin des Reisebüros, eine schlanke Frau in Schwarz, um, und in ihrer Stimme drückte sich ein gewisses Erstaunen aus, als sie sagte: »Doris...?«

»Kitty, hallo.« Doris Winstanleys Antwort war ein spontanes Lächeln, doch dann, als die Erinnerung an die vergangenen Umstände wiederkehrte, folgte betretenes Schweigen. Kitty war alles andere als verlegen. Sie lächelte und fragte Doris, wo um Himmels willen sie denn hinsegeln wolle.

»Ich bin mir nicht sicher. Ich habe einfach nur mein ganzes Leben lang davon geträumt, einmal eine Kreuzfahrt zu machen. Aber natürlich hätte ich nie geglaubt, daß ich jemals die Gelegenheit dazu haben würde.«

»Ich kann Sie verstehen, Doris. Bei dem Wetter. Aber Sie sollten sich wirklich in acht nehmen.«

»Entschuldigen Sie? Ich bin nicht sicher...«

»Vor Salonlöwen. All diese Charmeure, die sich nach einer reichen Dame ohne Begleitung umsehen.«

»Oh, so reich bin ich doch gar nicht«, stellte Doris eilig richtig. »Mir ist nur ein unverhoffter Glücksfall zugestoßen. Also dachte ich, ich tu’ mir mal was Gutes.«

»Super. Werden Sie denn in Causton bleiben, wenn Sie wieder zurück sind?«

»Oh, ja. Ich habe ja einige Freunde hier.« (Tatsächlich hatte es sie sehr erstaunt, wie viele Leute sie besucht hatten, ernsthaft besorgt gewesen waren und ihr über die vergangenen Wochen hinweggeholfen hatten. Leute, die sich nie hatten blicken lassen, wenn Harold zu Hause war.) »Und wenn ich zurück bin, werde ich die beiden Zimmer, die ich nicht brauche, an Studenten vermieten. Ich habe schon Kontakt zu Brunei aufgenommen. Es wäre so schön, wieder mal junge Leute um mich zu haben. Meine eigenen Kinder sind so weit weg.«

Doris redete noch einige Minuten weiter. Es machte ihr nicht das geringste aus, daß Kitty ihr all diese Fragen stellte, und auch ihr dreister Rat störte sie nicht. Doris war einfach nur dankbar, daß Esslyns Witwe in der Lage war, ihr zu begegnen und mit ihr halbwegs nett zu plaudern. Kitty sah sehr gut aus und hatte keine Konzessionen an das Wetter gemacht. Sie trug ein schwarzes Kostüm mit einem Minirock, und sie schien weder eine Bluse noch einen Pulli unter der enganliegenden Jacke zu tragen. Sie war wunderbar zurechtgemacht und hatte einen kleinen flachen Hut ohne Krempe auf dem Kopf, mit einem schwarzen Schleier, der bis zu ihrer hübschen Nasenspitze reichte, und durch den ihre perlweiße Haut schimmerte. Doris beendete ihre weitschweifenden Bemerkungen, indem sie Kitty fragte, was sie ins Far Horizons getrieben hätte.

»Ich hole mein Flugticket ab. Ich fliege am Dienstag nach Ottawa. Um meinen Schwager zu besuchen.« Sie zupfte mit Fingern, deren -Nägel rot lackiert waren, ihren Schleier zurecht. »Er ist so nett gewesen und scheint sehr darauf bedacht zu sein, mich zu trösten.«

»Oh«, entgegnete Doris. Es schien nicht mehr viel zu geben, was sie sonst noch hätte sagen können, außer: »Gute Reise.«

»Das wünsche ich ihnen auch. Und hüten Sie sich vor den Salonlöwen.« Kitty verstaute das Ticket in ihrer Handtasche. »Ich muß mich jetzt aber beeilen. Ein Freund kommt um sieben bei mir vorbei, und ich will noch ein Bad nehmen. Auf Wiedersehen.«

Doris dachte einen Moment lang darüber nach, wie unwahrscheinlich es war, daß sie einander jemals wieder begegnen würden, sammelte dann ihre Stapel Broschüren ein und machte sich auf den Weg ins Soft Shoe Café, wo sie Tee und Kuchen bestellte. Hier war es viel gemütlicher als bei ihr zu Hause. Dort gab es im Moment nämlich kaum noch Möbel. Der ganze abgenutzte, verdreckte und verhaßte alte Kram eines Lebens war auf den Sperrmüll gewandert, und es würde eine ganze Weile dauern, bis alles ersetzt war. Sie würde ein paar neue Sachen kaufen und in Gebrauchtwarenläden nach einigen kleinen Schätzen suchen. Sie würde viel Zeit dafür haben. Und eine Menge Geld. Sie hatte viel für den Morgan bekommen, und zu ihrem Erstaunen hatte ein sehr fähiger Anwalt, den Barnaby ihr empfohlen hatte, das Geschäft für einen Betrag verkauft, der Doris wie eine enorme Summe vorkam. Und natürlich war das Haus auf ihren Namen überschrieben worden.

Der Kuchen kam. Doris entschied sich für einen Windbeutel mit Mokkaglasur, aus dem frische Sahne quoll, und dann schlug sie die erste Broschüre auf. Da stand etwas von einer Kreuzfahrt zu den Kanaren, und Doris wußte sofort, daß das etwas für sie war. Sie spürte förmlich schon die warme Brise, die ihr die Haare zerzauste, und sie sah bereits die fliegenden Fische aus den Wellen springen, während die Seevögel über ihrem Kopf schrien. Sie würde einfach den Winter dort verbringen und erst wieder im Frühling zurückkommen, wenn die Sträucher und Rosen, die sie vergangene Woche bestellt hatte, geliefert wurden. Und sie würde sich ein Gewächshaus anschaffen. Ihr ganzes Leben lang hatte sie sich nach einem Gewächshaus gesehnt. In ihrer Phantasie entwarf Doris ein Bild, wie sie zwischen Kompost, eingetopften Pflanzen und Tomaten herumwerkelte. Sie nahm die kleine silberne Gabel in die Hand und war vor lauter Glück fast überwältigt.