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Mensch. In meinem eigenen Auto. In meiner Freizeit. Vielen, vielen Dank. Troy bemerkte, daß die Augenbrauen seines Chefs, die heute mehr denn je wie abgenutzte Topfreiniger aussahen, fragend hochgezogen waren.

».. .Hm... was ist denn mit Ihrem Orion, Sir?«

»Joyce ist damit zum TÜV gefahren.«

»Eigentlich wollte ich nicht direkt nach Hause..., sondern noch beim >Goldenen Schwan< vorbeischauen.« Und etwas lockerer: »Die sind nicht an eine bestimmte Brauerei gebunden«, erklärte Troy. »Es liegt draußen an der Uxbridge Road.«

»Das ist mir sehr recht. Ich könnte an einem solchen Abend gut etwas Nasses und Warmes vertragen.«

»Nun ja...« Mit rotem Gesicht blieb Troy, den Türgriff in der Hand, stehen und erläuterte die Umstände etwas genauer. »Es ist nicht wirklich eine Kneipe... das war nur ein Witz... es ist eher so etwas wie ein Bad... verstehen Sie...«

Barnaby sah seinen Sergeant an. Und verstand. »Äh, entschuldigen Sie, Troy. Ich bin normalerweise nicht so schwer von Begriff. Es war ein langer Tag.«

»Ja, Sir.« Der jüngere Mann ging halb durch die Tür, dann drehte er sich um und baute sich in einer gleichermaßen unbeholfenen wie aufsässigen Art vor Barnaby auf. »Ich meine, der Fall ist doch abgeschlossen.«

»Oh, ja, ja. Was Sie nach Dienstschluß tun, ist Ihre eigene Angelegenheit.« Dann, als Troy immer noch herumdruckste: »Wenn Sie allerdings auf Beifallsbekundungen von meiner Seite warten, dann können Sie hier stehenbleiben, bis Ihnen Gänseblümchen aus dem Hintern wachsen.«

»Gute Nacht, Sir.«

»Gute Nacht, Sergeant.« Als er die Tür schloß, rief Barnaby noch: »Und richten Sie Maureen Grüße von mir aus.«

Das erinnerte ihn an ein Lied vom Broadway, was ihn wiederum an Theater, an das Latimer und an Harold erinnerte, den er zu vergessen versuchte, was ihm meistens auch gelang, vor allem dann, wenn er viel zu tun hatte. Trotzdem sagte er sich immer wieder (und jetzt auch), daß es nur eine ganz normale Verhaftung gewesen war, nicht mehr und nicht weniger. Nur insofern etwas ungewöhnlich, weil es jemand war, den er kannte. Außergewöhnlich auch deshalb, weil sie drei Männer gebraucht hatten, um ihn festzuhalten und in die Zelle zu stecken, als er erkannt hatte, daß sich die creme de la creme des britischen Journalismus’ nicht versammelt hatte, um ihn zu ehren. Barnaby hatte sich, soweit er sich erinnern konnte, zum ersten Mal in all seinen Berufsjahren als ein Feigling erwiesen, sich gedrückt und die Arbeit den anderen überlassen. Aber selbst in der Kantine konnte er Harolds Schreie hören.

»O Jesus!« Barnaby schlug die Bürotür zu und entschied sich, zu Fuß nach Hause zu gehen. Ein forscher Marsch durch die beißend kalte Luft würde sein Blut abkühlen. Und seine Gedanken beruhigen. Er lief die Causton High Street hinunter, und die Finsternis war sein Begleiter. Natürlich hatte er selbst als naiver Wachtmeister in den frühen fünfziger Jahren nie erwartet, daß sein Los als Polizist immer glücklich sein würde. Er war auf Abscheulichkeiten in Hülle und Fülle vorbereitet worden, und diese Vorbereitung war nicht umsonst gewesen. Aber es gab eben immer wieder Gelegenheiten, bei denen sich die Erinnerungen an alles Übel zu vereinen schienen und einen übelriechenden Schorf bildeten, der die guten und die hellen Zeiten verbarg.

Er lief weiter und wechselte die Straßenseite, ehe er zum Latimer gelangte, auch wenn das bedeutete, daß er später erneut die Straße überqueren mußte. Er wollte diesem Ort einfach nicht zu nahe kommen. Und er hatte auch nicht vor, für die nächste Produktion beim Anmalen der Kulissen zu helfen, obwohl ihm seine Tochter versichert hatte, es würde einfach »himmlisch« werden. Sie und Joyce waren jetzt bestimmt dort - er sah auf seine Uhr - und probten. Er wußte, daß er sich in ein paar Tagen vermutlich anders fühlen würde, vielleicht sogar schon morgen, aber in diesem Augenblick hatte er genug von Schauspielern. Er hatte ihre verkommenen Gefühle und ihre unsteten Herzen total satt. Und ihre Posen und der hinterhältige Klatsch, den sie austauschten, wenn sie sich in Grüppchen zusammendrängten, hingen ihm zum Hals raus.

Doch der boshafte Zufall sucht sich immer diejenigen aus, die am wenigsten mit ihm umgehen können. Gerade in dem Moment, als die Ampel grün zeigte und er über die Straße ging, hupte das Auto, das angehalten hatte, und als Barnaby genauer hinsah, erkannte er die Everards. Ihre Gesichter schimmerten im Licht der Straßenlaternen schmutziggelblich. Clive kurbelte das Fenster hinunter und rief: »Hallo.« Und Donald, der hinter dem Steuer saß, hupte noch einmal. Barnaby lief einfach weiter.

Es muß doch eine Möglichkeit geben, dachte Barnaby grimmig, als er mit energischen Schritten vorantrabte und sich immer noch in elenden Erinnerungen wälzte, diese Flut von traurigen Gedanken von mir abzuwenden. Dann blieb er stehen, zum Glück ausgerechnet vor dem Jolly Cavalier. Die Szene vom Frühstückstisch trat ihm plötzlich wieder vor Augen. Joyce hatte gefragt, ob es ihm etwas ausmachen würde, sich zum Abendessen etwas vom Inder oder vom Chinesen zu holen, da sie einen arbeitsreichen Tag hätte und schon um sieben im Theater sein müsse. Also drückte Barnaby die Tür zum Cavalier auf und trat ein.

Die Kneipe ging mit der Zeit und stellte einen Familien-/Nichtraucherraum im hinteren Teil zur Verfügung. Außerdem kochten sie alles selbst. Barnaby entschied sich für eine Fleischpastete - Steak und Nieren in Blätterteig in Butter geschwenkten Brokkoli, Bratkartoffeln und hinterher einen Melasseknödel. Er fügte noch einen halben Liter Real Ale zu seiner Bestellung hinzu und trug sein Tablett nach hinten.

Im Raum, der seinem Namen gerecht wurde, saß eine kleine Familie. Eine dünne junge Frau, die ein Baby stillte, und ein stark tätowierter junger Mann, der vor einem Karton saß, in dem bereits häufig benutztes Spielzeug lag, das er seiner dreijährigen Tochter zeigte. Er sprach leise und hielt ihr zuerst ein schäbiges Tier hin, dann eine Puppe. Der Tisch war mit Chipspackungen und Bierflaschen übersät. Barnaby nickte kurz (er hätte den Raum viel lieber für sich allein gehabt) und nahm Platz.

Das heiße, schmackhafte Essen besänftigte ihn, und er begann, sich zu entspannen. Die Kleine entschied sich endlich für ein wolliges Lamm, nahm es mit an den Tisch und hielt es ihrem Bruder hin. Der nahm es und warf es auf den Boden. Sie schimpfte, hob es auf und gab es ihm wieder. Daraufhin warf er es erneut hin. Die beiden schienen zu glauben, das sei ein guter Witz.

Barnaby widmete sich seinem Nachtisch. Er wünschte sich jetzt nicht mehr, den Raum für sich allein zu haben. Diese Familie, über die er, vermutlich zum Glück, nichts wußte, schien ihm auf eine verworrene Weise, mit der er sich gar nicht erst genauer befassen wollte, ein Trost zu sein. Er leerte sein Glas und ging, um sich noch ein Bier zu holen, da er beschlossen hatte, aus dem Abend etwas zu machen.

Die Latimerkarawane zog weiter. Gerade jetzt fand eine Probe zu Onkel Wanja statt. Rosa, die ernsthaft mit dem Gedanken gespielt hatte, endgültig auszuscheiden, als man ihr die popelige Rolle der alten Krankenschwester angeboten hatte, war jetzt doch froh, daß sie es nicht getan hatte. Mehr als einmal war sie kurz davor gewesen, alles hinzuschmeißen, vor allem, als man ihr gesagt hatte, es gäbe keine kleinen Rollen, nur kleine Schauspieler. Sie war beleidigt hinausstolziert, aber dann, nachdem Joyce ihr einen Kaffee gemacht und sich darüber ausgelassen hatte, wie aufregend neu das alles sein würde, hatte sie sich wieder zurückgeschlichen. Und Rosa mußte zugeben, daß es wirklich spannend war. Sogar außerordentlich spannend. Aber eben auch beängstigend.

All die kleinen technischen Tricks, die sie sich über die Jahre hinweg angewöhnt hatte, mußte sie aufgeben. Auch die romantisch rauhe Stimme, die ihr Publikum so liebte. Alles, was ihr immer wieder gesagt wurde, war, daß sie ihre Vorstellungskraft einsetzen, echt wirken und dem Satzbau folgen solle. Rosa hatte sich auf einmal wie ohne Rüstung gefühlt, so als hätte sie noch nie in ihrem Leben auf der Bühne gestanden. Es kam ihr so vor, als wandele sie auf einem dünnen Draht über einen Abgrund. Und sie war müde. Noch nie war sie so müde gewesen. Als sie auf all die Hauptrollen zurückblickte, die sie in ihrem Leben gespielt hatte, auf die ganze Technik, ohne auch nur einmal außer Atem zu geraten, wunderte sie sich über ihre derzeitige Erschöpfung. Gott sei Dank, daß sie den lieben Ernest hatte. Er war ihr eine so große Hilfe, wärmte ihre Schuhe am Kamin, der Kakao wurde frisch gemacht, sobald sie ins Haus gewankt kam. Rosa versuchte sich zu konzentrieren. Es war gleich an der Zeit für ihren Auftritt; die Eröffnung des vierten Akts.