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Doktor Bullard beugte sich über Miss Simpson. Hob ihre ringlose Hand, tastete die Fußsohlen ab, zog das Laken beiseite und preßte die Hand auf ihren Brustkorb. Die Leichenstarre hatte sich längst gelöst, und die dürre Brust gab unter seinem Daumen nach. Er runzelte die Stirn und versuchte es noch einmal.

»Stimmt etwas nicht?«

»Die Lungen sind gestaut.«

»Sie war wegen einer Bronchitis in ärztlicher Behandlung.«

»Hm.« Doktor Bullard zog beide Augenlider hoch. »Wann ist sie gestorben?«

»Vor drei Tagen.«

»Wissen Sie, welche Medikamente Lessiter ihr gegeben hat?«

»Nein. Warum?«

»Sehen Sie sich das an.«

Barnaby starrte auf die toten, gelben Augäpfel. Die Pupillen hatten die Größe von Stecknadelköpfen. »Heiliger Strohsack! Was halten Sie davon?«

»Ich denke, Sie sollten mit dem Coroner wegen einer gerichtlichen Untersuchung sprechen.«

»Und ihn um eine Autopsie bitten?«

»Ja.« Die beiden Männer sahen sich an. »Das scheint keine große Überraschung für Sie zu sein.«

Barnaby war tatsächlich nicht erstaunt. Vielleicht waren Miss Bellringers Mißtrauen und Beharrlichkeit doch angebracht. »Ich werde den Coroner wissen lassen, was vorgefallen ist«, sagte er. »Wer wird Ihrer Meinung nach die Obduktion vornehmen?«

»Eynton, vermute ich. Unser Mann macht einen Monat Urlaub auf Kreta.«

»Manchen gefällt's da.«

»Rufen Sie mich an, wenn der Bericht fertig ist, ja? Es interessiert mich sehr, was Sie finden.«

Am Donnerstag morgen lag der Autopsiebericht auf Barnabys Schreibtisch. Er sagte Doktor Bullard telefonisch Bescheid und empfing ihn kurz vor Mittag in seinem Büro. Während der Arzt las, beobachtete Barnaby sein Gesicht mit einiger Belustigung. Es sprach, wie man so schön sagt, Bände. Bullard legte den Bericht weg. »Schierling?«

»Schierling.«

Der Doktor schüttelte den Kopf. »Also das ist wirklich eine Rarität.«

»Es ist vollkommen unzeitgemäß, George. Die Medicis. Shakespeare. Dieser alte Grieche.«

»Sokrates.«

»Ja, genau der. Ich meine, heutzutage ist es normalerweise Valium oder Mogadon mit einem großen Glas Wodka oder so.«

»Oder etwas, was man im eigenen Garten zur Hand hat.«

»Ganz recht. Aber jemanden mit Schierling zu vergiften... Es muß eine unkompliziertere Möglichkeit geben, als das Zeug aufzukochen und zu destillieren.«

»Ich weiß nicht«, wandte der Arzt ein. »Es wird gewöhnlich nicht so einfach über den Ladentisch abgegeben. Man kann nicht in die Apotheke gehen und sich eine Schachtel davon kaufen.«

»Wie wirkt es?«

»Es verursacht eine langsam fortschreitende Lähmung. Platon beschreibt den Tod von Sokrates ziemlich ergreifend. Die Füße, die Beine, der ganze Körper wird nach und nach kalt. Sokrates hat sein Schicksal erstaunlich gut ertragen. Ein echter Stoiker.«

»Also muß derjenige, der ihr das Zeug gegeben hat - falls es ihr überhaupt jemand gegeben hat -, neben ihr gesessen und ihr beim Sterben zugesehen haben.«

»So ungefähr. Die arme Seele. Kein schöner Gedanke.«

»Mord ist nie schön.«

Doktor Bullard überflog noch einmal den Bericht. »Offenbar hatte sie lange nichts gegessen. Das könnte den Prozeß beschleunigt haben. Im Magen wurden keine Schierlingssamen gefunden. Das spricht dafür, daß ein Destillat verwendet wurde.«

»Ja. Ich habe deswegen, kurz bevor Sie kamen, in der Pathologie angerufen. Sie sagen, daß es in Alkohol, Äther oder Chloroform löslich ist.«

»Nicht in Wasser?«

»Nein.«

»Das würde bedeuten, daß sie es getrunken hat, sonst hätte es auf den ersten Blick nicht wie ein natürlicher Tod ausgesehen.«

»Ja, das denke ich auch«, stimmte Barnaby zu. »Alles andere wäre zu riskant gewesen. Selbst eine achtzigjährige Frau kann sich bis zu einem gewissen Grad zur Wehr setzen, wenn ihr jemand ein mit Chloroform getränktes Tuch aufs Gesicht preßt. Es hätte Kampfspuren im Zimmer gegeben. Gegenstände wären umgefallen oder kaputtgegangen. Der Hund hätte Radau gemacht.«

»Das erklärt die Stauungen in den Lungenflügeln.« Doktor Bullard tippte mit dem Zeigefinger auf das Papier. »Ein bißchen zu auffällig, auch wenn sie, wie Lessiter sagt, mit Bronchitis zu tun hatte. Aber wir sollten nicht zu streng mit dem alten Lessiter ins Gericht gehen. Ich kenne kaum einen Arzt, der daran denkt, eine Leiche auf Schierlingsgift zu untersuchen, solange alles nach einem normalen, wenn auch plötzlichen Tod aussieht. Trotzdem«, er grinste breit, »wäre ich gern Mäuschen, wenn Sie ihm von dieser Entdeckung erzählen.«

4

»Es besteht keine Notwendigkeit, so zu fahren, als müßten Sie sich für die Formel i qualifizieren, Sergeant.«

»Entschuldigung, Sir.« Troy verlangsamte schmollend das Tempo. Was für einen Sinn hatte es überhaupt, bei der Polizei zu sein, sich Tag für Tag mit langweiligem Papierkram und blöden Leuten mit ihren bescheuerten Fragen abzuquälen, wenn man nicht ab und zu mal aufs Gas treten, die Sirene einschalten und wie der Teufel durch die Gegend rasen konnte? Und der Rüffel von vor ein paar Tagen (der, wie er meinte, vollkommen ungerechtfertigt war) nagte immer noch an ihm. Er kannte die Regeln genauso gut wie jeder andere, aber wie viele Polizisten gingen schon jeder kleinsten Kleinigkeit nach, die ihnen im Dienst unterkommt? Verdammtes Pech, daß die alte Schachtel ausgerechnet bei ihm gelandet war. Und jetzt rannten sie im Kreis herum, nur weil eine andere alte Schachtel abgekratzt war. Das einzig Erfreuliche an der ganzen Sache war, daß Detective Chief Inspector Barnaby, dieser Wichser, sich damit noch mehr zum Narren machte ... Sergeant Troy hatte nicht die geringste Ahnung von dem, was im Autopsiebericht stand, als er in die Church Lane einbog und den Wagen vor der Hausnummer Dreizehn parkte.

Barnaby traf Miss Bellringer in ihrer unordentlichen Küche beim Fischschneiden an. Wellington saß auf dem Kühlschrank und sah interessiert zu, wie das Messer durch den Fisch schnitt. Sein verknautschtes Gesicht drückte äußerste Zufriedenheit aus. »Er frißt kein Dosenfutter«, erklärte Miss Bellringer überflüssigerweise, dann setzte sie unvermittelt hinzu: »Soviel ich gehört habe, ist eine Autopsie vorgenommen worden.« Barnaby konnte seine Überraschung nicht verbergen. Er war in einem Ort aufgewachsen, der nicht viel größer als Badger's Drift war, und wußte, wie gut das Nachrichtensystem in kleinen Gemeinden funktionieren konnte, aber er war beeindruckt von der Geschwindigkeit, mit der sich diese Neuigkeit herumgesprochen hatte. Er vermutete, daß der Bestattungsunternehmer sofort überall herumerzählt hatte, daß Miss Simpsons Leichnam von einem Gerichtsmediziner abgeholt worden war. »Das stimmt. Morgen gibt es eine gerichtliche Untersuchung. Sind Sie bereit, Miss Simpson zu identifizieren?«

»Aber...« Sie wurde blaß und legte das Messer auf das Brett. »Warum?«

»Das ist leider Vorschrift nach einer Obduktion«, erklärte Barnaby.

»Aber ... können Sie das nicht machen?«

»Ich fürchte, das geht nicht. Ich kannte sie nicht zu Lebzeiten, verstehen Sie ?« Er schwieg eine Weile. »Ich könnte Mr. Rainbird darum bitten.«

»Nein, tun Sie das nicht. Er ist ein gräßlicher Kerl.« Sie überlegte lange. »Also gut - wenn es jemand tun muß, dann ist es wohl besser, ich übernehme es.« Wellington protestierte mit einem Fauchen, und Miss Bellringer machte sich wieder an dem Fisch zu schaffen.

»Danach wird Ihnen der Coroner eine Bescheinigung ausstellen, und Ihre Freundin kann bestattet werden.«

»Gott sei Dank. Die arme Emily.« Sie stellte den Teller mit dem Fisch auf den Boden, öffnete eine Tüte Sahne und schüttete etwas davon in ein Keramikschüsselchen, das sie neben den Teller plazierte. »Die Arterien von diesem alten Kater müssen inzwischen vollkommen verkalkt sein. Jeden Tag bekommt er eine Ladung Cholesterin.« Sie stupste Wellington liebevoll mit dem Fuß an. »Aber er liebt Sahne über alles.«