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Robin wusste nicht, wie viel Zeit seither vergangen war, aber es konnte allerhöchstens eine halbe Stunde gewesen sein, wahrscheinlich weniger. Sie fühlte sich mittlerweile wieder deutlich besser; die Schmerzen in ihrem Leib waren vollends verebbt, und auch Fieber und Schwindelgefühl waren fast verschwunden. Selbst ihre Schulter tat nicht mehr weh, auch wenn sie den Arm inzwischen kaum noch bewegen konnte. Voller Angst fragte sie sich, was als Nächstes geschehen würde. Auch wenn ihr Geheimnis bisher anscheinend noch immer nicht aufgedeckt worden war, zweifelte sie doch keine Sekunde daran, dass zumindest Marschall Ridefort sie erkannt hatte, und wenn schon nicht für irgendetwas anderes, so würde sie sich doch zumindest für den bloßen Umstand rechtfertigen müssen, hier zu sein, wo sie doch angeblich schwer verletzt auf Safet im Sterben lag.

Draußen auf dem Gang wurden Stimmen laut. Robin konnte durch das dicke Holz hindurch nicht hören, was gesprochen wurde, aber es hörte sich ganz eindeutig nach einem Streit an. Nach einem Augenblick wurde die Tür geöffnet, und Bruder Abbé kam herein. Sein Gesicht war rot vor Zorn, und er atmete so schwer, als wäre er die drei Treppen hier herauf auf seinen kurzen Beinen gerannt.

Robin setzte dazu an, etwas zu sagen, doch Abbé brachte sie mit einer verstohlenen Geste und einem fast beschwörenden Blick zum Verstummen und wandte sich in rüdem Ton an jemanden draußen auf dem Gang: »Schließt die Tür, habe ich gesagt, und untersteht euch zu lauschen, oder ich lasse euch auspeitschen! Ich gebe euch Bescheid, wenn wir bereit sind.«

Robin konnte noch immer nicht erkennen, wer sich draußen auf dem Gang aufhielt, doch die Tür wurde geschlossen, und sie hörte ein Geräusch, das es ihr vollends unmöglich machte, sich nicht als Gefangene zu fühlen: das Poltern eines schweren Riegels, der vorgelegt wurde.

»Bruder Abbé«, begann sie, »ich bin ja so froh, Euch zu ...«

Abbé brachte sie mit einem abermaligen und noch erschrockeneren Gestikulieren zum Verstummen. Anscheinend war er nicht vollkommen überzeugt davon, dass die Männer draußen seinen Befehl auch befolgten. »Gütiger Gott, was hast du nur wieder angestellt, du Unglückskind? Was tust du hier? Willst du uns alle auf den Scheiterhaufen bringen?«

»Es tut mir ja Leid, Bruder«, sagte Robin zerknirscht. »Ich wollte wirklich nicht ...«

»Wieso bist du nicht in deinem Zimmer in Salims Haus? Ich werde diesen unfähigen Wächter auspeitschen lassen - falls wir das hier überleben, heißt das.«

Robin riss die Augen auf. »Was meint Ihr damit?«

»Wie oft habe ich den Tag schon bedauert, an dem sich unsere Wege gekreuzt haben«, fuhr Abbé mürrisch fort. »Vielleicht wollte der Herr mich auf diese Weise für das bestrafen, was in jener Nacht geschehen ist, doch allmählich muss ich doch genug Buße getan haben!« Er schüttelte den Kopf, als könne er tatsächlich nicht verstehen, was geschehen war. »Wie stehe ich jetzt da? Noch vor einer halben Stunde habe ich Marschall Ridefort berichtet, ich hätte Nachricht von Bruder Horace aus Safet, dass es nicht gut um Bruder Robin steht, und nur einen Augenblick später fällst du ihm ohnmächtig vor die Füße! Was soll ich ihm nun sagen?«

»Euch wird schon etwas einfallen«, antwortete Robin spröde. So erleichtert sie im ersten Moment gewesen war, Abbé zu sehen, so zornig wurde sie plötzlich. Abbé machte sich nicht einmal die Mühe, Besorgnis zu heucheln. »Ihr redet doch auch sonst gerne mit ihm.«

Abbé zog die Augenbrauen zusammen und schwieg. Seine Verwirrung war beinahe perfekt gespielt. Aber das machte Robin in diesem Moment eher noch wütender. »Ihr macht doch nicht tatsächlich gemeinsame Sache mit Gerhard von Ridefort, um den Großmeister zu verraten, oder?«, fragte sie.

Abbés Augen wurden groß. »Woher ...?«

»Ich habe Euch belauscht«, schleuderte ihm Robin entgegen. Plötzlich konnte sie ihre Gefühle kaum noch im Zaum halten. Von allen Menschen auf der Welt war Abbé der letzte, von dem sie erwartet hätte, dass er sie anlog. »Ich habe jedes Wort gehört!«

Abbés Augen wurden noch größer. »Du ... warst unten in den Ställen?«, murmelte er.

»Keine zehn Schritte vor Euch«, antwortete Robin. »Ich habe jedes Wort gehört. Ihr plant tatsächlich, die Zahlung des Lösegeldes zu verweigern? Ich ... ich verstehe das nicht! Ihr könnt doch unmöglich wollen, dass Gerhard von Ridefort neuer Großmeister unseres Ordens wird!«

»Der Tag, an dem ein Mann wie Gerhard von Ridefort Großmeister unseres Ordens wird, ist der Beginn unseres Untergangs«, sagte er ernsthaft. »Deine Ohren mögen ja noch die Schärfe der Jugend haben, aber du urteilst vielleicht auch etwas vorschnell. Manche Worte haben mehr als eine Bedeutung, weißt du?« Er schnitt ihr mit einer ärgerlichen Bewegung das Wort ab, als sie etwas sagen wollte. »Was um alles in der Welt hattest du im Tempelberg zu suchen? Willst du dich mit aller Gewalt ins Unglück stürzen, und uns gleich dazu?«

Robin verstand nicht, warum Abbé so überrascht war. »Aber hat Rother Euch denn nicht gesagt, wo Ihr mich findet?«

»Rother?«, gab Abbé zurück. »Wer soll das sein?« Er wiederholte seine unwillige Handbewegung. »Aber egal, wir klären das später. Jetzt bringe ich dich erst einmal hier heraus, und dann werde ich dafür sorgen, dass du noch heute aus der Stadt verschwindest und ganz bestimmt niemals wieder auftauchst.«

»Und Marschall Ridefort?«, fragte Robin. »Er hat mich gesehen, oder?«

»Ich fürchte«, sagte Abbé grimassenschneidend, »mir wird schon etwas einfallen. Notfalls kann ich ja behaupten, du hättest mich und meine Begleiter niedergeschlagen und wärst geflohen. Aber auch das hat Zeit bis später. Lass uns von hier verschwinden, bevor Ridefort am Ende noch auf die Idee kommt, sich persönlich nach deinem Befinden zu erkundigen.«

Er schlug zweimal mit der flachen Hand gegen die Tür und setzte einen möglichst finsteren Gesichtsausdruck auf, als geöffnet wurde. »Bruder Robin und ich verlassen den Tempel«, sagte er, bevor sein Gegenüber auch nur Gelegenheit fand, einen einzigen Ton herauszubekommen. »Geht zu Marschall von Ridefort und richtet ihm aus, dass ich ihn wie besprochen zum Nachmittagsgebet in der Grabeskirche erwarte.«

Der Mann, der offenbar die undankbare Aufgabe hatte, Robin zu bewachen, kam auch jetzt nicht dazu, irgendwelche Einwände vorzubringen. Abbé scheuchte ihn mit einer groben Bewegung aus dem Zimmer und bedeutete ihm kaum weniger rüde, vorauszugehen. Rasch und mit demütig gesenktem Haupt trat Robin an ihm vorbei auf den Flur, wobei sie den Mann, der draußen neben der Tür stand, nur aus den Augenwinkeln sah. Trotzdem war sein Unbehagen nicht zu übersehen. Was Abbé tat, stand offensichtlich ganz und gar nicht im Einklang mit seinen Befehlen. Aber er versuchte nicht, sie aufzuhalten, sondern starrte ihnen nur finster nach, bis sie die Treppe erreicht hatten und nebeneinander die schmalen Stufen hinabzusteigen begannen.

»Irgendwann frage ich Euch einmal, wer Ihr wirklich seid, Bruder Abbé«, sagte Robin leise.

»Wer ich wirklich bin?«

»Mit Sicherheit kein kleiner Ritter aus einer unbedeutenden Komturei in Friesland«, behauptete Robin.

»Aber nichts anderes bin ich«, erwiderte Abbé. Täuschte sie sich, oder klang seine Stimme leicht amüsiert? »Genau so hast du mich doch kennen gelernt, Bruder Robin. Als unbedeutenden Ritter aus einer noch viel unbedeutenderen Komturei in Friesland.«

»Dem man kaum weniger Respekt entgegenbringt als dem Großmeister und den Männer wie Gerhard von Ridefort in wichtigen Angelegenheiten des Ordens um Rat fragen«, sagte Robin spöttisch. »Wie gesagt: Eines Tages werde ich Euch fragen, wer Ihr wirklich seid. Und Ihr werdet mir diese Frage beantworten.«