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»Kaum«, antwortete Abbé. »Du wirst Jerusalem noch vor Ablauf der nächsten Stunde verlassen, und wir werden uns nicht wiedersehen.«

Robin starrte ihn beinahe entsetzt an. Noch vor einem Moment war sie so wütend auf ihn gewesen, wie selten zuvor auf irgendjemanden. Aber ihn niemals wiedersehen? Ein einziger Blick in Abbés Gesicht machte ihr klar, dass er auf keine der tausend Fragen antworten würde, die ihr plötzlich auf der Zunge brannten. Wenigstens jetzt nicht. Schweigend legten sie den restlichen Weg nach unten zurück.

Als sie das Gebäude verlassen wollten, traten ihnen zwei Männer in weißen Templeruniformen entgegen. Beide hatten ihre Schilde abgenommen und am linken Arm befestigt, und ihre Hände lagen auf den Schwertern. »Ritter Robin von Tronthoff?«, sprach sie der eine an.

Robin war so überrascht, dass sie im allerersten Moment gar nicht reagierte, sondern den Mann nur verwirrt anblickte. Er war überdurchschnittlich groß, und die Schultern unter dem weißen Hemd schienen beständig darum bemüht zu sein, ihr Gefängnis aus Stoff und Kettengewebe zu sprengen. Auch sein Begleiter war von ähnlich beeindruckendem Wuchs, und jetzt fiel Robin auch auf, dass die beiden Männer nicht allein gekommen waren. Vier weitere Ritter, alle mit ihren Schilden an den Armen, standen wie zufällig ganz in der Nähe, aber sie blickten bestimmt ganz und gar nicht zufällig in ihre Richtung.

»Was geht hier vor?«, fragte Abbé scharf. Er trat mit einem einzigen Schritt zwischen Robin und den Ritter und funkelte ihn an. Abbé reichte dem bärtigen Hünen kaum bis zum Adamsapfel, doch es war nicht das erste Mal, dass Robin Zeuge wurde, wie der kahlköpfige, dicke Mann andere einfach dadurch in die Flucht schlug, dass er sie anstarrte.

So weit kam es diesmal nicht, aber das herausfordernde Glitzern in den Augen des Hünen machte für einen Moment Verwirrung und dann deutlicher Unsicherheit Platz. »Verzeiht, Bruder Abbé«, sagte er. »Ich habe Euch nicht gleich erkannt.«

»Ja, ja, schon gut«, unterbrach ihn Abbé unwillig. »Was soll das? Was fällt Euch ein, uns aufzuhalten?«

»Es tut mir Leid, Euch Ungelegenheiten zu bereiten«, antwortete der Mann. Er fühlte sich sichtlich mit jedem Wort weniger wohl in seiner Haut. Er wich Abbés Blick aus, doch er sprach trotzdem weiter. »Aber ich fürchte, wir müssen Bruder Robin von Tronthoff mit uns nehmen.«

»Auf wessen Anweisung?«, fragte Abbé lauernd.

»Der Befehl kommt von Ordensmarschall von Ridefort persönlich, Bruder Abbé. Unsere Order lautet, Robin von Tronthoff unverzüglich zu ihm zu bringen, damit Anklage gegen ihn erhoben werden kann.«

»Anklage?«, ächzte Abbé. »Weswegen?«

»Man beschuldigt ihn der Feigheit im Angesicht des Feindes«, antwortete der Ritter. »Aus diesem Grunde soll über ihn zu Gericht gesessen werden. Jetzt gleich.«

23. KAPITEL

Der Raum, in dem über sie geurteilt werden sollte, gehörte zwar noch offiziell zum Templum Domini, aber gewiss nicht zu jenem Teil der ausgedehnten Tempelanlage, die jedem Besucher zugänglich war und vermutlich nicht einmal jedem Ritter. Es war eine kleine, schäbige Kammer abseits des Kirchenschiffes und der prachtvollen Kreuzgänge, in die nur wenig Licht und noch weniger frische Luft gelangten. Es brannten nur einige wenige Kerzen, die ein unheilträchtiges, rotes Licht verbreiteten. Darüber hinaus war der Raum fast leer. Es gab einen hohen Lehnstuhl, in dem ein Pater des Templerordens saß; kein Ritter, sondern ein Priester in weißer Kutte, mit dem Tatzenkreuz über dem Herzen. Auf einem schmalen Tisch vor ihm lagen einige Pergamente, in denen er angelegentlich herumkramte, seit man Robin hereingeführt hatte. Obwohl seither mindestens eine halbe Stunde vergangen war, hatte er sie in der ganzen Zeit nicht eines einzigen Blickes gewürdigt - obwohl Robin bezweifelte, dass seine trüben, von tausend winzigen Fältchen eingerahmten Augen in dem flackernden Licht gut genug sehen konnten, um zu lesen.

Sie fühlte sich hilflos. Hilflos und auf eine Art allein gelassen, die ihre Angst noch schürte. Bruder Abbé hatte nicht einmal versucht, den grotesken Vorwurf zu entkräften, sondern war nahezu kommentarlos verschwunden, und die sechs Ritter hatten sie hierher gebracht. Bevor sie den Raum betreten durfte, hatte man ihr befohlen, nicht nur Schwert und Ordensrock, sondern auch das schwere Kettenhemd und die Stiefel auszuziehen. Zumindest für das Kettenhemd war sie im Stillen dankbar. Sie wusste nicht, wie lange sie das Gewicht des eisernen Kleidungsstücks auf ihrer Schulter noch ertragen hätte. Aber sie fühlte sich zugleich auch nackt und schutzlos. Außer dem Verband trug sie jetzt nur noch das dünne baumwollene Unterhemd über ihrem verräterischen Körper. Eine einzige unbedachte Bewegung, und sie war verloren.

Wenigstens waren sie nicht so weit gegangen, sie zu binden; zumindest nicht mit Fesseln, die man sah. Vier der sechs Männer, die sie hierher begleitet hatten, waren sofort wieder gegangen, die beiden anderen hatten rechts und links der Tür Aufstellung genommen und schienen zu lebensgroßen Statuen erstarrt zu sein. Es gab keine Stühle oder andere Sitzgelegenheiten.

Der Pater sah für einen Moment von seinen Unterlagen auf, und zum ersten Mal glaubte Robin eine menschliche Regung auf seinem Gesicht zu erkennen, als er mit einem ungeduldigen Stirnrunzeln zur Tür sah. Aber sie suchte vergeblich nach einer Spur von Mitleid in seinen Augen, als sein Blick sie streifte.

Endlich wurde die Tür aufgestoßen, und Marschall von Ridefort trat ein, dicht gefolgt von Bruder Dariusz. Robin war überrascht, den grauhaarigen Tempelritter hier zu sehen, aber auch - fast widerwillig - ein wenig erleichtert. Wenn es jemanden gab, der wusste, was sie während der Schlacht am Litani getan hatte, dann er.

»Bruder Dariusz!«, rief sie erleichtert. »Ihr ...«

»Schweigt still, Robin von Tronthoff«, fuhr sie der Geistliche an. »Als Angeklagter vor diesem Gericht habt Ihr zu schweigen, bis Ihr zum Reden aufgefordert werdet oder man Euch eine direkte Frage stellt.« Er hatte eine dünne, schneidende Stimme, die mehr über sein wahres Alter verriet als sein Gesicht, aber deutlich sanfter wurde, als er hinzufügte: »Keine Sorge. Ihr werdet Gelegenheit bekommen, in aller Ausführlichkeit zu den Vorwürfen Stellung zu nehmen, die gegen Euch erhoben werden.«

Er seufzte tief, runzelte die Stirn und wandte sich dann mit einem Blick an Dariusz und Ridefort, in dem sehr wenig Respekt für die beiden hochrangigen Ritter zu erkennen war. »Und Ihr, Bruder Gerhard, Bruder Dariusz - verratet Ihr einem müden alten Mann, weshalb Ihr in aller Eile einen Prozess von mir verlangt, der eigentlich einer tagelangen gründlichen Vorbereitung bedarf, um dann zu eben jenem Prozess zu spät zu erscheinen?«

Dariusz wollte antworten, doch Ridefort kam ihm zuvor: »Bitte vergebt uns, Vater Johannes. Es war meine Schuld. Leider haben mich wichtige Geschäfte daran gehindert, sofort zu erscheinen. Und ich fürchte auch, dass ich Jerusalem noch vor dem nächsten Sonnenaufgang verlassen muss, woraus sich die große Eile dieses Prozesses ergibt.«

»So, tut es das?«, fragte Johannes. Er seufzte erneut. »Nun ja, wir werden sehen.« Er kramte einen Moment lautstark in seinen Pergamenten herum, seufzte noch einmal und sah Robin dann mit verändertem Gesichtsausdruck an. »Feigheit im Angesicht des Feindes, Ritter Robin. Das ist ein sehr schwerer Vorwurf. Was sagt Ihr dazu?«

»Das ist Unsinn«, antwortete Robin, biss sich auf die Unterlippe und setzte mit einem entschuldigenden Lächeln neu an:

»Verzeiht. Ich wollte sagen: Das ist nicht wahr. Ich bin noch niemals einem Kampfe ausgewichen. Fragt Bruder Dariusz. Er wird es Euch bestätigen.«