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Vielleicht, dachte sie, und ein neuerlicher, eisiger Schauer, der nichts mit ihrer Schwäche oder der Hitze des Tages zu tun hatte, lief ihr über den Rücken, trug sie ihn ja nur noch, weil sie darin wenigstens noch wie eine Christin aussah.

2. KAPITEL

Robin erwachte vom Duft frisch gebackenen Fladenbrotes. Noch bevor sich ihre Gedanken vollends klärten und sie die letzten Fesseln des Schlafes abstreifte, der ihre Erinnerungen festzuhalten versuchte wie klebriger Altweibersommer, der sich auf das Gesicht eines Spaziergängers niedergelassen hat und sich beharrlich weigert, sich wegwischen zu lassen, lief ihr das Wasser im Munde zusammen, und sie hörte, wie ihr Magen leise knurrte. Das Gefühl war mit einem leichten Erschrecken verbunden, das ihr im ersten Moment grundlos erschien, doch dann lauschte sie in sich hinein und stellte mit einem deutlich stärkeren Gefühl von Erleichterung fest, dass sowohl die Schwäche als auch die latente Übelkeit, mit der sie eingeschlafen war, nicht mehr da waren.

Behutsam setzte sie sich auf, blinzelte aus noch immer leicht schlaftrunkenen Augen in das Halbdunkel des kleinen Zimmers, das sie umgab, und nahm erneut und dieses Mal mit spürbarem Hunger den Duft frisch gebackener Brote wahr. Gleich drei davon lagen auf einem hölzernen Teller, den Saila hereingebracht haben musste, während sie schlief. Daneben stand ein einfacher Tonkrug und ein ebenso schmuckloser Becher.

Robins Lippen verzogen sich zu einem flüchtigen, aber sehr warmen Lächeln, während sie aufstand und zu dem kleinen Tisch neben der Tür ging, um sich Wasser einzugießen und einen großen Schluck davon zu trinken. Ihrem Ansehen und Stand wären Krüge und Trinkgefäße aus Gold oder anderen, edlen Metallen angemessen gewesen, und wenn sie sich mit Salim oder seinem Vater zu einem offiziellen Anlass zusammenfand, pflegte sie solcherlei auch zu benutzen, aber Saila kannte sie mittlerweile gut genug, um zu wissen, wie zuwider Robin derartige Standessymbole waren.

Sosehr sie das Leben in Luxus und Sicherheit auch genoss, das sie an Salims Seite auf der Burg seines Vaters führte, hatten sie die Jahre bei den Tempelrittern und noch viel mehr ihre Jugend in der Armut eines einfachen Fischerdorfes Demut und die Vorzüge eines einfachen Lebens gelehrt. Es war nichts dagegen zu sagen, Wasser aus einem goldenen, mit Edelsteinen verzierten Becher zu trinken; aber es schmeckte nicht besser als aus einem einfachen irdenen Krug, und sie war zu vielen begegnet, die irgendwann darauf bestanden hatten, von goldenen Tellern zu essen und aus silbernen Bechern zu trinken, und die zu spät begriffen hatten, welche Gefahr in einem solchen Leben lauerte. Manche hatten es erst gespürt, als einfacher, geschmiedeter Stahl in ihr Fleisch schnitt.

Robin verjagte den Gedanken. Einen Teil von ihr haderte offensichtlich immer noch mit dem Schicksal und vor allem mit ihrer eigenen, vermeintlichen Schwäche. Sie brach ein Stück des kleinen Brotes ab, kaute genießerisch darauf herum und spülte es mit einem Schluck des eiskalten, ganz leicht nach Anis schmeckenden Wassers herunter, als ihr etwas auffiel.

Etwas stimmte nicht.

Robin ließ den Becher sinken, sah sich - von einer plötzlichen Unruhe ergriffen - aufmerksam im Halbdunkel des Zimmers um und lauschte.

Sie hörte nichts.

Aber gerade das war es, was nicht stimmte.

Es war nicht der Duft der Fladenbrote gewesen, begriff sie, der sie geweckt hatte. Es war zu still. Nichts rührte sich. Keine Stimme war zu hören, nicht der mindeste Laut, abgesehen vom monotonen Rauschen der Brandung, die durch das einzige, schmale Fenster hereindrang, und dem Wispern des Windes in den dürren Ästen des Aprikosenbaums im Innenhof.

Fast behutsam, als wäre etwas in ihr plötzlich über die Maßen darauf bedacht, ja kein verräterisches Geräusch zu verursachen, stellte sie den Becher auf den Tisch zurück, ging zum Fenster und blickte hinaus. Das grelle Sonnenlicht des Nachmittags stach ihr im allerersten Moment schmerzhaft in die Augen, sodass sie blinzeln musste und sich mit dem Handrücken die Tränen fortwischte, aber auch nachdem sie sich an den unbarmherzigen Schein gewöhnt hatte, sah sie nichts Auffälliges. Zumindest auf dem schmalen Abschnitt des Strandes, den sie von hier aus überblicken konnte, regte sich nichts. Robin blieb fast eine Minute so stehen, blickte auf das Meer hinaus, das von der allmählich tiefer sinkenden Sonne in einen riesigen, azurblau und kupfern schimmernden Spiegel verwandelt wurde, und lauschte angestrengt.

Nichts. Und genau das war es.

Es war tatsächlich zu still.

Robin ließ noch einen weiteren, allerletzten Moment verstreichen, dann aber drehte sie sich rasch um, verließ das Zimmer und eilte leichtfüßig die Treppe hinunter. Sie wartete darauf, dass Saila ihr entgegenkam oder dass sie Nemeths glockenhelles Lachen aus einem anderen Teil des Gebäudes hörte, vielleicht auch die Stimme ihrer Mutter, die sie wieder einmal wegen irgendeiner Kleinigkeit schalt; aber die Stille hielt an und bekam etwas Bedrohliches.

Auch der große Raum unten war leer. Saila hatte ihre Kleider ordentlich zusammengefaltet auf die Bank neben der Tür gelegt. Rasch schlüpfte Robin in ihr Kettenhemd - es kam ihr jetzt noch schwerer vor als vorhin, so als hätte sich das Kleidungsstück gleich ihrem Ordensrock und dem schwarzen Mantel mit Wasser voll gesogen -, wollte ganz automatisch auch das weiße Templergewand überziehen und zog die Hand dann, einem Gefühl folgend, wieder zurück. Stattdessen band sie sich den Schwertgurt um und zog nur den schwarzen, zerfetzten Mantel darüber, den Saila, so gut es ging, vom gröbsten Schmutz befreit hatte. Flickzeug, um die Risse zu flicken, hatte sie nicht mitgebracht. Als Letztes raffte sie ihre Haare zu einem Knoten zusammen und band, so gut es ging, den schwarzen Turban um ihren Kopf.

Sie eilte zur Tür, machte dann noch einmal kehrt und verschenkte eine weitere Minute, die sie brauchte, um in die Stiefel zu schlüpfen. Bevor sie das Haus endgültig verließ, überzeugte sie sich davon, dass unter dem Mantel weder von ihrem Schwertgurt noch von dem Kettenhemd etwas zu sehen war. Die Risse bereiteten ihr ein wenig Sorge. Aber auch das musste sie riskieren. Alt und matt, wie das Kettenhemd war, mochte es zumindest beim flüchtigen Hinsehen nicht auffallen.

Während sie das Haus verließ, wunderte sie sich ein wenig über sich selbst. Ihre Umsicht war nur zu verständlich, hätte sie sich auf einen Kampf vorbereitet. Was aber nicht der Fall war. Sie lebten in gefährlichen Zeiten und in einem noch gefährlicheren Landstrich, doch dieses kleine Dorf stellte - ebenso wie eine Hand voll anderer Dörfer und Ansiedlungen im Umkreis eines halben Tagesrittes - eine Ausnahme dar. Niemand, der nicht entweder vollkommen verrückt oder lebensmüde war, würde es wagen, die Hand gegen einen seiner Bewohner zu erheben. Mochten die Assassinen unter Sheik Sinans Führung auch überall in der Welt gefürchtet und berüchtigt sein, hier war die unmittelbare Nähe ihrer Burg der sicherste Garant für das Wohlbefinden und die Freiheit ihrer Bewohner. Der Letzte, der es gewagt hatte, gegen dieses ungeschriebene Gesetz zu verstoßen, war Omar gewesen, der Sklavenhändler, der letzten Endes auch Robin gefangen und verschleppt hatte zusammen mit den Bewohnern genau dieses Dorfes; und er hatte einen so furchtbaren Preis dafür bezahlt, dass es seither nicht einmal mehr die gefürchteten türkischen Piraten gewagt hatten, sich der Küste auch nur auf Sichtweite zu nähern.

Nein, es musste eine andere Erklärung geben, dachte Robin, während sie mit schnellen Schritten die schmale Gasse zwischen den ärmlichen Hütten zum Dorfplatz hinabeilte.