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Er öffnete den Mund und wollte vorschlagen, Leya zu warnen, doch dann schloß er ihn wieder. Es gab niemals einen Zweifel an dem, was Min sah und wußte, ob im Guten oder im Schlechten. Wenn sie sicher war, dann geschah es auch.

»Ein blutverschmiertes Gesicht«, murmelte er. »Heißt das, sie wird eines gewaltsamen Todes sterben?« Er zuckte zusammen, als ihm die eigenen so leicht über die Lippen gekommenen Worte zu Bewußtsein kamen. Aber was kann ich machen? Wenn ich es Leya sage und sie mir auch noch glaubt, dann verbringt sie ihre letzten Tage in Angst und es ändert doch nichts.

Min nickte kurz.

Wenn sie eines gewaltsamen Todes stirbt, dann könnte das einen Überfall auf das Lager bedeuten. Doch jeden Tag befanden sich Kundschafter draußen, und Tag und Nacht wurden Wachen aufgestellt. Und Moiraine hatte das Lager mit einem magischen Ring umgeben, sagte sie, damit es kein Geschöpf des Dunklen Königs sehen konnte, außer es stolperte direkt darüber. Er dachte an die Wölfe. Nein! Die Kundschafter würden alles und jedermann aufspüren, was sich dem Lager näherte. »Es ist ein weiter Weg zurück zu ihrem Volk«, sagte er mehr zu sich selbst. »Die Kesselflicker bringen ihre Wagen höchstens bis in die Vorberge. Von hier bis dorthin kann alles passieren.«

Min nickte traurig. »Und wir haben nicht genug Leute, um auch nur einen zu ihrer Bewachung abzustellen. Selbst wenn das etwas nützen würde.«

Sie hatte ihm davon erzählt. Als sie sechs oder sieben war und ihr zum erstenmal klar geworden war, daß nicht jedermann das sehen konnte, was sie sah, hatte sie versucht, Menschen vor dem Schlimmsten zu warnen. Sie sagte nicht mehr dazu, aber er hatte den Eindruck, daß ihre Warnungen die Dinge nur noch verschlimmert hatten, soweit man ihr überhaupt Glauben schenkte. Es kostete Überwindung, Mins Voraussagen hinzunehmen, jedenfalls so lange, bis man die Beweise hatte.

»Wann?« fragte er. Das Wort klang ihm eiskalt und so hart wie Stahl in den Ohren. Für Leya kann ich nichts tun, aber vielleicht finde ich heraus, wann wir angegriffen werden.

Kaum hatte er das Wort ausgesprochen, nahm sie die Hände abwehrend hoch. Allerdings sprach sie trotzdem leise weiter: »So geht das nicht. Ich kann nie voraussagen, wann etwas passieren wird. Ich weiß nur, daß es geschehen wird, falls ich überhaupt weiß, was das Gesehene bedeutet. Das verstehst du nicht. Die Bilder kommen nicht, wenn ich das will, und das Verständnis genausowenig. Es geschieht einfach, und manchmal verstehe ich es. Etwas davon. Ein bißchen. Es ist dann einfach da.« Er bemühte sich, ein beruhigendes Wort einzuwerfen, aber er konnte ihre Wortflut nicht aufhalten. »Ich sehe an einem Tag etwas aus der Zukunft eines Menschen und am nächsten Tag nichts, oder eben andersherum. Die meiste Zeit über sehe ich überhaupt nichts. Die Aes Sedai natürlich sind immer von Bildern umgeben, genau wie ihre Behüter, aber da ist es noch schwerer, eine Bedeutung herauszulesen, als bei anderen Menschen.« Sie sah Perrin aus zusammengekniffenen Augen forschend an. »Bei ein paar anderen ist es allerdings auch so.«

»Sag mir ja nicht, was du siehst, wenn du mich anschaust«, fuhr er sie heftig an, und dann zuckte er die Achseln. Schon als Kind war er größer gewesen als die meisten anderen, und er hatte schnell begriffen, wie leicht man Menschen ohne böse Absicht verletzen konnte, wenn man größer war als sie. Das hatte ihn vorsichtig und rücksichtsvoll gemacht. Außerdem bedauerte er es jedesmal, wenn er seinem Ärger freien Lauf gelassen hatte. »Tut mir leid, Min. Ich hätte dich nicht so anfahren sollen. Ich wollte dir nicht weh tun.«

Sie sah ihn überrascht an. »Du hast mir nicht weh getan. Zum Glück wollen nur wenige Menschen wissen, was ich gesehen habe. Das Licht weiß: Ich wollte es auch nicht wissen, wenn jemand anders meine Zukunft sähe.« Selbst die Aes Sedai hatten noch nie von jemand anderem gehört, der ihre Gabe besaß. Für sie war es eine ›Gabe‹, für Min allerdings nicht.

»Es ist halt nur so, daß ich etwas für Leya tun möchte! Ich könnte es nicht wie du ertragen, zu wissen und nichts dagegen unternehmen zu können.«

»Seltsam«, sagte sie leise, »wie dich die Tuatha'an bewegen. Sie sind vollkommen friedfertig, und um dich herum sehe ich immer... «

Er wandte den Kopf ab, und sie schwieg sofort.

»Tuatha'an?« erklang eine grollende Stimme wie die einer riesigen Hummel. »Was ist mit den Tuatha'an?« Der Ogier kam zu ihnen ans Feuer herüber. Er hielt einen wurstdicken Finger in seinem Buch, um die Seite nicht zu verlieren, auf der er gerade gelesen hatte. Ein dünner Faden Tabaksqualm erhob sich von der Pfeife in seiner anderen Hand. Sein dunkelbrauner Wollmantel mit hohem Kragen war bis oben hin zugeknöpft. An den Knien war er ausgestellt und ließ seine heruntergeschlagenen Stiefelschäfte sehen. Perrin reichte ihm kaum bis an die Brust.

Loials Gesicht hatte schon mehr als einen erschrocken zusammenfahren lassen. Seine Nase war so breit, daß man sie schon einen Rüssel nennen konnte, und der Mund war ebenfalls von enormer Breite. Die Augen hatten die Größe von Untertassen, und die Enden seiner dichten Augenbrauen hingen ihm wie Schnurrbärte fast bis auf die Wangen hinunter. Seine Ohren ragten mit ihren behaarten Spitzen aus dem langen Haar. Einige Leute, die noch nie einen Ogier gesehen hatten, hielten ihn für einen Trolloc, obwohl auch Trollocs für die meisten Menschen wie die Ogier eine Legende darstellten.

Loials breites Lächeln wich Unsicherheit, und er blinzelte nervös, als ihm klar wurde, daß er sie unterbrochen hatte. Perrin fragte sich, ob irgend jemand sich wirklich längere Zeit vor dem Ogier fürchten konnte. Und doch werden sie in einigen Legenden als wild und als unerbittliche Feinde bezeichnet. Das wollte er nicht glauben. Ogier waren niemandes Feinde.

Min erzählte Loial von der Ankunft Leyas, aber nicht von dem, was sie gesehen hatte. Sie war immer ausgesprochen einsilbig, was ihre Visionen betraf, besonders, wenn es schlimme waren. Statt dessen fügte sie hinzu: »Du solltest ja wissen, wie ich mich fühle, Loial, so plötzlich eingefangen von den Aes Sedai und auch noch von diesen Leutchen von den Zwei Flüssen.«

Loial gab einen nichtssagenden Laut von sich, doch Min faßte es wohl als Zustimmung auf.

»Ja«, unterstrich sie ihre Worte mit Nachdruck. »Da war ich und lebte ein friedliches Leben in Baerlon. Plötzlich packt man mich am Kragen und schleift mich Licht weiß wohin. Na ja, geschieht mir wohl recht. Ich habe keine Kontrolle mehr über mein eigenes Leben, seit ich Moiraine traf. Und natürlich diese Bauernlümmel von den Zwei Flüssen.« Sie rollte ihre Augen in Richtung Perrin und zeigte dabei ein spitzbübisches Lächeln. »Ich wollte nur so leben, wie es mir gefiel, und mich in einen Mann verlieben, der mir gefiel...« Ihre Wangen liefen plötzlich rot an, und sie räusperte sich. »Was ich sagen wollte: Was ist eigentlich schlimm daran, sein eigenes Leben ohne all diesen Aufruhr leben zu wollen?«

»Ta'veren«, fing Loial an. Perrin bedeutete ihm, damit aufzuhören, aber man konnte den Ogier nur selten bremsen oder gar von etwas abbringen, wenn er sich dafür begeisterte. Unter den Ogiern galt er als äußerst ungestüm. Loial schob sein Buch in eine Manteltasche und fuhr fort, wobei er mit seiner Pfeife gestikulierte. »Alle von uns, all unsere Leben, beeinflussen die Leben anderer, Min. So, wie das Rad der Zeit uns in das Muster verwebt, so zieht der Lebensfaden eines jeden von uns an den Lebensfäden der Menschen um uns. Bei Ta'veren ist es dasselbe, nur eben viel, viel stärker. Sie beeinflussen das ganze Muster, zumindest zeitweilig, und zwingen es, sich ihnen anzupassen. Je näher du ihnen stehst, desto stärker wirst du persönlich davon erfaßt. Man sagt, wenn du dich im gleichen Raum befändest wie Artur Falkenflügel, dann könntest du richtig fühlen, wie sich das Muster um euch neu formiert. Ich weiß nicht, inwieweit das der Wahrheit entspricht, aber ich habe es gelesen. Doch auch das ist noch nicht alles. Die Ta'veren selbst hängen an einem viel stärkeren Faden als wir und haben viel weniger Bewegungsfreiheit.«