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Wir mussten lachen. Inga schnippte mit dem Finger gegen das Seil, das gespannt war wie eine Gitarrensaite.

»Und jetzt lass uns darüber nachdenken, wie wir von hier wegkommen«, sagte sie.

»Und wie soll das gehen?«

»Im Prinzip gibt es zwei Möglichkeiten. Entweder alle Inseln erobern …«

»Fällt aus«, fiel ich ihr ins Wort.

»… oder wir müssen diese Außerirdischen finden und ihnen eine Tracht Prügel verpassen.«

»Ach ja?« Ich hüstelte, um einen in mir hochsteigenden Lachanfall zu unterdrücken. »Inga, du bist ein Genie. Wir verpassen ihnen also einfach eine Tracht Prügel. Hast du schon mal versucht, in der Richtung was zu unternehmen?«

»Nö«, erwiderte sie, »ich wollte kein Risiko eingehen, schließlich wusste ich ja nicht, dass es zu Hause noch eine zweite Inga gibt.«

Sie sagte das mit einer Selbstverständlichkeit, als sei unsere Situation nun völlig klar. Und offensichtlich interpretierte sie diese dahin gehend, dass uns als Kopien unserer selbst nun überhaupt nichts mehr passieren konnte.

»Aber wenn uns hier etwas geschieht, Inga, dann ist das doch völlig real. Wir sind doch andere Menschen als diejenigen, die auf der Erde geblieben sind. Hast du denn überhaupt keine Angst?«

»Wieso? Auf den Inseln gibt es niemanden, der älter als siebzehn Jahre alt ist. Wir haben hier drei oder vier Jahre, und dann …« Sie verstummte und strich sich eine Strähne aus dem Gesicht. »Ich bin nicht bereit, mich damit abzufinden«, setzte sie schließlich hinzu.

Erstaunt sah ich sie an. Was für ein mutiges Mädchen, dachte ich. Dabei war sie eigentlich ein eher zurückhaltender Typ und hatte nie eine Neigung zu riskanten Unternehmungen an den Tag gelegt. Der Monat auf der Insel war augenscheinlich nicht spurlos an ihr vorübergegangen. Wie auch immer, sie hatte jedenfalls vollkommen recht.

»Wir versuchen es, Inga«, sagte ich entschlossen. »Entweder

Sie sah mich mit ernstem Blick an. »Dann muss unser Vorhaben aber völlig geheim bleiben«.

8

DER GEHEIMPLAN

Das erstaunte mich.

»Völlig geheim?«, echote ich. »Vor wem, vor den Außerirdischen? Dann sollten wir das aber nicht hier draußen besprechen. Ich hätte zu euch in die Burg kommen sollen. Und mit den anderen Jungen und Mädchen müssen wir uns auch beratschlagen.«

Bei dieser letzten Bemerkung schien Inga hellhörig zu werden. Mit deutlicher Ironie in der Stimme sagte sie: »Bei euch hat heute ein kleiner Junge mitgekämpft, wirklich nur ein halbes Hemd, aber mit dem Schwert eine Furie wie der Teufel höchstpersönlich, als …«

»Das war Maljok«, fiel ich ihr ins Wort, »ich wohne mit ihm zusammen in einer Kammer.«

Inga fuhr zusammen. »Hat er geschlafen, als du losgegangen bist?«

»Ja.«

»Sicher?«

»Sicher!«

Sie wirkte ernstlich besorgt. »Dima, überleg doch mal«, sagte sie und tippte sich mit dem Finger an die Stirn, »wie kommt es, dass er so gut kämpfen kann? Wie alt ist er überhaupt?«

»Noch keine elf. Aber er ist schon lange auf der Insel, da hat er eben gelernt, mit dem Schwert umzugehen.«

»So ein Unsinn!«, entrüstete sich Inga. »Ums Fechten geht’s doch gar nicht. Der ist zehneinhalb, mit Käppi

»Von wem?«

»Von diesem Riesen, der mit zwei Schwertern gleichzeitig kämpft.«

»Timur?«

»Ja, so ein dunkler, ziemlich furchterregender Typ. Und hör zu, wie das passiert ist: Raul kämpfte wieder gegen diesen Maljok, als der plötzlich theatralisch hinfiel. Raul wollte zuschlagen, brachte es aber irgendwie nicht fertig, und ehe er sich’s versah, fiel eure ganze Meute über ihn her. Anscheinend mögen sie diesen Maljok alle sehr. So kam das.«

Es wollte mir nicht in den Kopf, dass Maljok irgendetwas Schlechtes anhaften sollte. Andererseits war Ingas Verdacht durchaus nachvollziehbar.

»Gibt’s bei euch auch solche Jungen, die völlig aus dem Rahmen fallen?«, fragte ich.

»Solche nicht«, erwiderte Inga, »aber wir haben einen Genka, der lebt schon zehn Jahre auf der Insel.«

»Bei uns sind Chris und Timur am längsten da, sieben Jahre.«

»Siehst du,das ist auch seltsam«,sagte sie nachdenklich. »Schließlich kann es einen hier jeden Tag erwischen.«

Ich schloss die Augen. Eine unendliche Leere breitete sich in mir aus, so unendlich wie das Weltall selbst. Wenn mir in jenem Moment einer dieser Außerirdischen unter die Finger gekommen wäre, hätte ich ihn, ohne zu zögern, die Brücke hinuntergestürzt.

»Gehst du regelmäßig auf Brückenwache?«, fragte ich besorgt.

»Nein, selten«, erwiderte sie. »Manchmal bitten unsere Jungen mich oder Lorka mitzukommen, sie sagen, unsere Anwesenheit würde sie anspornen.«

Etwas versetzte mir einen Stich. Inga und ich stritten zwar häufig, versöhnten uns aber immer schnell wieder, nur um bald einen neuen Grund zu finden, uns zu zanken - doch wir waren niemals Feinde gewesen. Auf dieser verwunschenen Inselwelt allerdings trennte uns erheblich mehr als ein Spalt in einer Brücke. Auf ihrer Insel hätte ich bestenfalls als Sklave oder Gefangener leben können, ohne jede Aussicht, jemals auf die Erde zurückzukehren. Die Insel Nr. 36 wiederum war für Inga tabu. Es war uns beiden klar, dass keiner von uns auf die Insel des anderen wechseln konnte. Deshalb verloren wir auch kein Wort darüber. Inga würde auch in Zukunft für die Insel Nr. 24 auf Wache gehen und für die Jungen kochen, die gegen mich und meine Gefährten kämpften.

»Warum hatten es denn eure Kämpfer heute so eilig wegzukommen?«, fragte ich spöttisch. »Haben sie dich zurückgelassen, damit du ihren Rückzug deckst?«

»Ich bin mit Absicht zurückgeblieben«, entgegnete Inga, »um mit dir sprechen zu können.«

Das Auge des Außerirdischen sah mit einem höhnischen Grinsen auf uns herab. Wenn schüttere Wolken darüberhuschten, sah es so aus, als würden die Sterne

»Wie bist du auf die Inseln gekommen?«, fragte ich.

»Wie alle«, antwortete sie knapp. Offenbar wollte sie nicht daran erinnert werden.

»Wie genau?«, insistierte ich. »Mich haben sie am Eingang des Parks abgepasst.«

»Mich auch im Park«, sagte sie seufzend. »Ich war gerade mit Laina spazieren.«

Laina war Ingas Hund, ein großer, schöner und gutmütiger Schottischer Schäferhund.

»Dann seid ihr also zusammen hier angekommen?«

»Nein«, entgegnete sie etwas wehmütig. »Irgend so ein Idiot hat mich angesprochen und gefragt, ob er den Hund fotografieren darf. Ich hab’s ihm erlaubt. Erst hat er ein bisschen herumgedruckst und an seiner Kamera hantiert, dann hat er mich gebeten, Laina festzuhalten, damit sie stillhält.«

Ingas Lippen begannen zu beben. Ich konnte ihre Wut gut verstehen, denn hinter unseren Entführungen steckte eine widerwärtige, kaltblütige Präzision.

»Dann ist es dunkel geworden«, fuhr sie fort, »und ich bin ins Wasser gefallen.«

»Ins Wasser?«, fragte ich überrascht.

»Ja. Bei uns wurde am Landeplatz extra ein Wasserloch ausgehoben, damit sich die Neuankömmlinge beim Aufschlagen nicht die Knochen brechen. Nachdem ich aus dem Wasser gestiegen war, ist Lorka aufgetaucht, die kannte ich damals natürlich noch nicht. Als sie mir erzählte, wo ich bin, habe ich gedacht, dass das alles nur ein Traum ist.«

»Gut. Lass uns darüber nachdenken, was nun zu tun

»Einverstanden.« Inga nahm meinen Vorschlag dankbar an.

Ich begann laut nachzudenken wie ein Krimikommissar: »Wir müssen mehr über die Inseln in Erfahrung bringen. Wie lange existieren sie schon? Wer wohnt auf welchen Inseln? Gibt es noch andere Waffen außer Schwertern und Armbrüsten? Haben schon einmal Ritter verschiedener Inseln versucht, sich abzusprechen, und wenn ja, was ist dabei herausgekommen? Eine Landkarte müsste man auch zeichnen.«