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Ein Lächeln huschte über Ritas Gesicht. »Ich bleibe bei dir, mein Kommandeur. Wir bleiben bei dir.«

Ratlos sah ich die beiden an.

»Chris!«, flüsterte ich eindringlich und deutete mit einer Kopfbewegung auf die Schleuse.

Kopfschüttelnd und mit einem milden Lächeln im Gesicht parierte der Engländer meine Aufforderung. »Ich kann doch die anderen nicht allein lassen, Dima. Schließlich bin ich doch ihr Kommandeur, wenn du gehst.«

»Ich?«

»Ja, du.«

»Und du, Timur?«

Seufzend breitete Timur die Arme aus. »Zwei Timure wären zu viel für eine Erde. Ich muss noch lernen, mit diesem Teil hier umzugehen«, sagte er grinsend und wedelte mit der Strahlenkanone. »Außerdem finde ich das Raumschiff spannend. Nimm das als Andenken mit.«

Er nahm den Tragegurt mit seinem Samuraischwert von der Schulter und überreichte es mir.

Zu Tränen gerührt, bekam ich kein Wort heraus. Stattdessen griff ich nach meinem Schwert und streckte es Timur hin.

Plötzlich fasste mich Tolik am Arm. »Ihr Idioten, beeilt euch, der Durchlass wird immer enger!«

Der Ring hatte noch vierzig Zentimeter Durchmesser, vielleicht sogar etwas weniger. Ein leuchtender Fleck in seinem Stahlkäfig.

Zu dritt hievten Chris, Timur und Tolik mich durch die enge Schleuse.

Zuerst fühlte ich den Wind, der mir ins Gesicht blies. Dann erblickte ich die grasbewachsene Böschung, und mir wurde schwindlig. Jetzt spürte ich die Schwerkraft der Erde. Eine unsichtbare starke Hand hatte mich der Inselwelt entrissen und auf meinen Heimatplaneten zurückbefördert.

Mich überschlagend und ohne die geringste Chance zu bremsen, kullerte ich den steilen Hang hinab. Mein Aufenthalt auf den Vierzig Inseln endete genauso, wie er begonnen hatte: mit einem heftigen Absturz.

Meine rasante Talfahrt endete abrupt an einem Baum. Dumm nur, dass ich ausgerechnet mit dem Kopf dagegenkrachte!

Als ich das Bewusstsein wiedererlangt hatte, taten mir sämtliche Knochen weh. Wie nach einem Wachdienst auf der Ostbrücke. Eine leichte, kühle Hand streichelte mir übers Gesicht.

»Inga«, flüsterte ich, ohne die Augen zu öffnen. »Entschuldige, dass ich dich angeschrien habe.«

»Das verstehe ich schon«, entgegnete sie ruhig.

Wir befanden uns auf halber Höhe des Hangs, zwischen dem höchsten Punkt des Hügels und einer einsamen, menschenleeren Straße. Inga saß mit dem Rücken an ebenjene Kiefer gelehnt, an der ich zur Begrüßung auf der Erde k. o. gegangen war. Mein Kopf ruhte auf ihren Knien.

Ich spähte zum Himmel und suchte ihn nach einer Spur des Hypertunnels ab. Vergeblich. Womöglich konnte man ihn nur vom Schiff aus sehen.

»Was ist mit den anderen?«, fragte Inga.

»Sie haben sich geweigert zu gehen. Chris, Timur und Tolik haben mich gepackt und durch die Schleuse geschoben. Ich bin ihnen so unendlich dankbar. Was meinst du, ob es ihnen gelingt, den Tunnel wieder zu aktivieren?«

»Ich weiß nicht«, erwiderte sie achselzuckend. »Aber es ist doch nicht unsere Schuld, oder?«

»Was ist nicht unsere Schuld?«

»Dass sie zurückgeblieben sind.«

Nachdenklich blickte ich zur Straße hinab. »Nein. Sie waren wohl schon zu sehr an die Inseln gewöhnt. Die Inseln waren ganz ihre Welt geworden.«

»Aber auch unsere Welt.«

»Ein bisschen, ja.«

»Aber wir sind jetzt wieder auf der Erde und...«

Inga sprach nicht zu Ende. Über dem Hügel tauchte plötzlich wie aus dem Nichts ein Holzschwert auf, wirbelte durch die Luft und fiel wenige Meter oberhalb von uns ins Gras.

»Ja, wir sind auf der Erde«, wiederholte ich, rappelte mich auf und ging das Schwert holen.

7

ZU HAUSE

Gegen Abend erreichten wir eine Stadt.

Wir waren der Straße gefolgt, die sich unterhalb unseres »Landehügels« befand. In sanften Windungen schlängelte sie sich talwärts und war von südlich anmutenden Gärten gesäumt. Alte Apfelbäume bogen sich darin unter der Last ihrer riesigen, rotbackigen Früchte. Ich konnte der Versuchung, einige davon zu pflücken, einfach nicht widerstehen, schon beim ersten Baum griff ich zu.

Schmatzend biss ich in die saftigen, unbeschreiblich süßen Äpfel, während wir über den von der Sonne aufgeheizten Asphalt trotteten. Immer wieder brachen wir grundlos in Gelächter aus. Aber was heißt da grundlos? Wir befanden uns auf der Erde! Zwar nicht in unserer Heimatstadt, aber immerhin auf der Erde. Wir waren nach Hause zurückgekehrt! Das Wiedersehen mit unseren Eltern - und mit unseren Doppelgängern - stand uns noch bevor. Früher oder später.

Schon von ferne konnten wir den Stadtrand sehen: ein Neubauviertel aus neun- und zwölfstöckigen Häusern, deren Fenster die Abendsonne reflektierten. Noch hatte ich keinerlei Plan, was zu tun war: an die Tür der erstbesten Wohnung klopfen, eine Milizstation suchen oder Wissenschaftlern von unseren Abenteuern erzählen. In jenen Momenten war es mir aber völlig gleichgültig.

Wir waren zu Hause, nur das zählte!

Als wir die ersten Gebäude erreichten, entdeckte ich in einem kleinen Hinterhof ein gepflegtes Blumenbeet. Inga lief ein Stück vor mir her und achtete gerade nicht auf mich.

Diesmal traute ich mich. Eilig pflückte ich einige der Blumen. Obwohl es nur blasse Chrysanthemen waren, die der Herbstwind schon ein wenig zerzaust hatte, waren es für mich die schönsten Blumen der Welt.

Ich holte Inga ein und fasste sie an der Hand.

»Auf den Inseln gab es ja keine Blumen«, sagte ich und reichte ihr den kleinen Strauß. »Die hier... ähm... sind für dich.«

Hand in Hand standen wir nun da und waren ziemlich verlegen. Uns trennte nur der Blumenstrauß, den ich fest umklammert hielt, als Inga danach griff und ich ihre schmalen warmen Finger spürte.

»Ich habe noch nie jemandem Blumen geschenkt«, sagte ich, während mein Gesicht zu glühen begann.

Wir sahen uns in die Augen. Selbst im Dämmerlicht konnte ich mein Spiegelbild in ihren Pupillen sehen, so nah waren sich unsere Gesichter.

»Ich habe noch nie jemanden geküsst«, flüsterte Inga.

Die Berührung ihrer Lippen spürte ich kaum. Umnebelt versank ich in einem bodenlosen Abgrund, mir wurde schwindlig, und ein heftiger Schauer fuhr durch meinen Körper. Der Duft ihrer Haare, der Duft der Äpfel, die schwerelose süße Berührung ihrer Lippen, alles verschmolz zu einem wilden Taumel und brachte mein Blut zum Kochen.

Mit einem Ruck lösten wir uns voneinander, so wie ein Verdurstender die Feldflasche absetzt, da er Gefahr läuft, sich vor Gier zu verschlucken.

Verlegen wandte Inga sich ab und wies mit einer Kopfbewegung auf eine Holzbank, die unweit eines Hauseingangs stand.

»Setzen wir uns?«, fragte sie.

Wir suchten keinen Ort, um uns weiter zu küssen. Unsere Bank lag mitten im Schein der inzwischen eingeschalteten Straßenbeleuchtung und wäre dafür kaum ein geeigneter Ort gewesen. Außerdem waren wir beide noch vom ersten Kuss völlig aus den Fugen.

Um uns herum herrschte Stille, allmählich brach die Nacht herein. Nur ab und zu hörte man auf der Straße ein Auto vorbeifahren, leise und gedämpft, so als wollten auch sie uns nicht stören in diesem Augenblick. Schweigend sahen wir uns an, als sähen wir uns zum ersten Mal. Oder zum letzten Mal.

Schritte und ein erregtes, von johlendem Gelächter unterbrochenes Geschwätz näherten sich vom Bürgersteig her unserer Bank. Aus dem Augenwinkel konnte ich sehen, dass eine Gruppe junger Burschen auf den Hauseingang zuging. Sie mochten zwischen dreizehn und fünfzehn Jahre alt sein, ein fröhlich lärmender Haufen Halbstarke. Ich beobachtete die Gruppe mit einer beinahe mitleidigen Milde. Ich fühlte mich um fünf, um zehn, ja um vierzig Jahre älter als diese Jungen. Um vierzig Inseln älter!

Als die Jungen uns auf der Bank sitzen sahen, verstummte ihr Gespräch. Neugierig und ein wenig geringschätzig sahen sie uns an. Kein Wunder, so wie wir aussahen. Mich streckend, rückte ich das doch eher peinliche Holzschwert so zurecht, dass es hinter der Lehne der Bank verborgen war.