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»Und bestimmt auch tief und fest«, meinte Jennsens Mutter. »Außer dem Abendessen habe ich noch ein paar Kräuter mitgebracht, die Euch helfen werden.« Sie hielt Sebastian die Schüssel hin und bot ihm vom Fisch an mit den Worten, »Ich möchte mich bei Euch für die Hilfe bedanken, die Ihr Jennsen heute gegeben habt, junger Mann.«

»Sebastian, bitte.«

»Ja. Jennsen hat Euren Namen bereits mehrmals erwähnt.«

»Ich habe es gern getan. Eigentlich habe ich mir damit selbst auch geholfen. Nur zu gern würde ich es vermeiden, d’Haranische Soldaten auf meine Spur zu locken.«

Sie deutete auf die Fische. »Das Stück obenauf hat eine Kruste aus Kräutern, die Euch helfen werden zu schlafen.«

Er spießte das dunklere, mit einem Kräutermantel umgebene Stück Fisch mit seinem Messer auf. Nachdem sie die Klinge an ihrem Rock abgewischt hatte, nahm Jennsen sich mit ihrem Messer ein anderes Stück.

»Jennsen erzählte mir, Ihr seid von außerhalb D’Haras.«

Er sah kauend auf. »Das ist richtig.«

»Es fällt mir schwer, das zu glauben. D’Hara ist von unpassierbaren Grenzen umgeben. Solange ich lebe, konnte niemand D’Hara betreten oder verlassen. Wie ist es dann möglich, daß Ihr es konntet?«

Sebastian zog das Stück Fisch im Kräutermantel mit den Zähnen von der Klinge, sog die Luft ein, um den Bissen abzukühlen, und gestikulierte kauend mit dem Messer. »Wie lange lebt Ihr schon ganz auf Euch gestellt hier draußen in diesem riesigen Waldgebiet? Ohne je einen Menschen zu Gesicht zu bekommen? Ohne Nachrichten?«

»Einige Jahre.«

»Oh. Nun, dann ist es vermutlich nur verständlich, daß Ihr nichts darüber wißt, denn während Ihr hier draußen gelebt habt, sind die Barrieren gefallen.«

Jennsen und ihre Mutter nahmen diese geradezu unfaßbare Neuigkeit schweigend auf, und in diesem Augenblick der Stille wagten die beiden nach und nach, sich die schwindelerregenden Möglichkeiten auszumalen. Zum allerersten Mal in Jennsens Leben schien eine Flucht denkbar, der unvorstellbare Traum von einem selbstbestimmten Leben schien plötzlich nur noch eine Reise weit entfernt. Sie waren ihr Leben lang umhergezogen und hatten sich versteckt, doch jetzt schien es, als nähere sich diese Reise endlich ihrem Ende.

»Sebastian«, sagte Jennsens Mutter »warum habt Ihr Jennsen geholfen?«

»Ich helfe gern anderen, und sie brauchte Hilfe. Es schien mir offensichtlich zu sein, wie sehr dieser Mann sie ängstigte, obwohl er tot war.« Er lächelte Jennsen an. »Sie sah hübsch aus, deswegen wollte ich ihr helfen. Außerdem«, gab er schließlich zu, »mag ich d’Haranische Soldaten nicht besonders.«

Als sie ihm gestikulierend die Schale hinhielt, spießte er ein weiteres Stück Fisch auf. »Mrs. Daggett ich werde wahrscheinlich schon recht bald einschlafen. Warum erzählt Ihr mir nicht einfach, was Ihr auf dem Herzen habt?«

»Wir werden von d’Haranischen Soldaten verfolgt.«

»Warum?«

»Das ist eine Geschichte für einen anderen Abend. Je nach Ausgang dieses Abends werdet Ihr sie noch erfahren, aber im Augenblick ist wirklich nur wichtig, daß wir verfolgt werden – Jennsen mehr noch als ich. Wenn die d’Haranischen Soldaten uns aufgreifen, wird man sie töten.«

Sebastians Blick wanderte hinüber zu Jennsen. »Das würde mir überhaupt nicht gefallen.«

»Dann sind wir drei ja einer Meinung«, meinte ihre Mutter murmelnd.

»Deswegen also habt Ihr Eure Messer stets griffbereit«, meinte er.

»So ist es«, sagte ihre Mutter, »Jennsen, zeig Sebastian das Stück Papier, das du bei dem d’Haranischen Soldaten gefunden hast.«

Völlig verdutzt wartete Jennsen. bis ihre Mutter in ihre Richtung schaute. Der Blick, den sie wechselten, verriet Jennsen, daß ihre Mutter entschlossen war, das Risiko einzugehen; nun, wenn sie es tatsächlich wagen wollten, dann mußten sie ihn wenigstens teilweise einweihen.

Jennsen zog den zerknüllten Zettel aus der Tasche und reichte ihn Sebastian. »Das fand ich in der Tasche des toten Soldaten.«

Sebastian zog das zerknüllte Papier auseinander und strich es mit Daumen und Zeigefinger glatt während er den beiden einen mißtrauischen Blick zuwarf. Er hielt das Papier in den Schein des Feuers, damit er die beiden Worte darauf entziffern konnte.

»Jennsen Lindie«, las er von dem Zettel ab. »Wer ist Jennsen Lindie?«

»Das bin ich«, antwortete Jennsen. »Zumindest war ich es eine Zeit lang.«

»Eine Zeit lang? Das verstehe ich nicht.«

»So lautete mein Name früher«, sagte Jennsen. »Jedenfalls der Name, den ich vor ein paar Jahren benutzte, als wir hoch oben im Norden lebten. Wir ziehen häufig um – stets in der Hoffnung, verhindern zu können, daß wir gefaßt werden. Und jedes Mal ändern wir den Namen, damit es schwieriger wird, uns nachzuspüren.«

»Dann ... ist also auch Daggett nicht Euer richtiger Name?«

»Nein.«

»Und wie heißt Ihr nun wirklich?«

»Auch das ist Teil der Geschichte für einen anderen Abend.« Der Tonfall ihrer Mutter verriet, daß sie nicht die Absicht hatte, darüber zu diskutieren. »Worauf es ankommt, ist, daß der Soldat heute im Besitz dieses Namens war. Das kann nur das Allerschlimmste bedeuten.«

»Aber Ihr sagtet doch, es sei ein Name, den Ihr gar nicht mehr benutzt.«

Ihre Mutter beugte sich zu Sebastian hinüber. Jennsen wußte, daß sie ihn jetzt mit einem Blick bedachte, den er als beunruhigend empfinden würde.

»Mag sein, daß wir jetzt anders heißen und wir diesen Namen ausschließlich oben im Norden benutzt haben, aber er hatte sich diesen Namen notiert, und er war hier nur wenige Meilen von der Stelle entfernt, wo wir uns im Augenblick befinden. Irgendwie hat er eine Verbindung zu uns hergestellt, beziehungsweise der Mann, der uns verfolgt, hat diese Verbindung hergestellt und seinen Schergen dann auf uns angesetzt. Und nun sucht man uns hier.«

»Jetzt verstehe ich, was Ihr meint.« Sebastian machte sich wieder daran, den auf seinem Messer aufgespießten Fischhappen zu verspeisen.

»Dieser tote Soldat wird in Begleitung anderer hergekommen sein«, fuhr ihre Mutter fort. »Durch das Verscharren habt ihr Zeit für uns gewonnen. Zumindest in diesem Punkt haben wir Glück, denn wir sind ihnen noch immer ein paar Schritte voraus. Diesen Vorteil müssen wir nutzen und uns aus dem Staub machen, bevor die Schlinge sich zusammenzieht. Wir müssen gleich morgen früh aufbrechen.«

»Seid Ihr sicher?« Er deutete mit dem Messer gestikulierend um sich. »Ihr habt Euch hier in der Wildnis ein Leben aufgebaut. Hätte ich Jennsen nicht zufällig bei dem toten Soldaten gesehen, ich hatte Euch niemals entdeckt. Wie sollten sie Euch finden? Ihr habt ein Haus hier, ein richtiges Heim.«

»›Leben‹, das ist der entscheidende Begriff bei allem, was Ihr gerade sagtet. Ich kenne den Mann, der hinter uns her ist. Er kann sich bei unserer Verfolgung auf ein jahrtausendealtes, blutiges Erbe berufen. Und er wird niemals Ruhe geben. Wenn wir hier ausharren, wird er uns früher oder später aufspüren. Wir müssen fliehen, solange wir noch dazu in der Lage sind.«

Sie zog das edle Messer aus dem Gürtel und reichte es Sebastian.

»Der Buchstabe ›R‹ auf dem Heft steht für das Haus Rahl, für unseren Häscher. Eine solch vortreffliche Waffe wird er nur einem ganz besonderen Soldaten geschenkt haben. Ich will keine Waffe, die ein Geschenk dieses verruchten Mannes war.«

Sebastian blickte kurz auf das ihm dargebotene Messer, ohne es jedoch entgegenzunehmen. Er bedachte die beiden mit einem Blick, der Jennsen bis ins Mark frösteln ließ – einem Blick, der von unerbittlicher Entschlossenheit zeugte.

»Dort, wo ich herkomme, ist es Brauch, Besitztümer unserer Feinde als Waffe gegen sie zu benutzen.«

Jennsen hatte noch nie jemanden eine solche Einstellung äußern hören.

»Wäret Ihr bereit, das, was er Euch versehentlich in die Hände gespielt hat, gegen ihn zu benutzen? Oder zieht Ihr es vor, das Opfer zu spielen?«