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Feixend drückte er ihr die Kehle zu. Aus seiner vom Ohr bis zum Mundwinkel aufgeschlitzten Wange floß das Blut in Strömen; hinter der klaffenden Wunde konnte sie seine rot glänzenden Zähne erkennen.

Jennsen kämpfte, bekam aber einfach keine Luft; seine Faust grub sich in ihren Magen. Sie trat nach ihm, doch er bekam ihren Knöchel zu fassen, bevor sie ein zweites Mal zutreten konnte. Einer war tot, zwei hielten sie gepackt. Ihre Mutter lag am Boden.

Jennsens Gesichtsfeld schrumpfte zu einem schwarzen Tunnel. Ihre Brust brannte. Es tat so weh, so höllisch weh.

Die Geräusche klangen gedämpft.

Plötzlich vernahm sie einen wuchtigen Schlag, der ihr durch Mark und Bein ging.

Der Mann vor ihr, eben noch im Begriff, ihr die Kehle zu zerquetschen, torkelte einen Schritt, während sein Kopf eine ruckartige Bewegung vollführte und sein Griff erschlaffte. Gierig sog sie Luft in ihre Lungen. Dann kippte der Kopf nach vorn. Im Nacken des Mannes steckte eine Axt mit sichelförmiger Klinge; sie hatte sein Rückgrat durchtrennt.

Als er zu Boden ging, beschrieb der Axtgriff einen weiten Bogen. Hinter ihm stand, ganz beherrschtes Ungetüm mit weißem Haar, Sebastian.

Der letzte noch lebende Soldat ließ ihren Arm los und riß mit seiner anderen Hand ein blutverschmiertes Schwert nach oben, doch Sebastian war schneller als er.

Jennsen war sogar noch schneller als Sebastian.

Gib dich hin.

Sie stieß einen Schrei aus, wild und hemmungslos, und schlitzte dem Mann seitlich den Hals auf. Die Klinge drang durch bis auf die Knochen, durchschnitt die Arterie, durchtrennte Muskeln. Er brüllte wie am Spieß; das Blut schien in der Luft zu stehen, als der Mann kopfüber gegen die rückwärtige Wand stieß. Jennsen hatte mit solcher Wucht ausgeholt, daß sie der Länge nach mit ihm zu Boden ging. Sebastians Kurzschwert schlug blitzschnell zu und bohrte sich mit Wucht in die mächtige Brust des Soldaten.

Jennsen krabbelte über die Körper hinweg; sie sah nur noch ihre Mutter auf dem Boden, die in halb aufrechter Stellung an der gegenüberliegenden Wand lehnte.

Blutüberströmt, die Lider halb geschlossen, sah ihre Mutter aus, als sei sie im Begriff wegzudämmern. Und doch war da noch ein Rest von Freude, weil sie Jennsen sah, jener Funken Freude, der stets beim Anblick ihrer Tochter in ihren Augen funkelte. Grobschlächtige Finger hatten blutige Striemen in ihrem Gesicht hinterlassen.

»Meine Kleine ...«, hauchte sie.

Jennsen schaffte es nicht ihr Kreischen und Zittern abzustellen, sie wagte nicht, nach unten zu schauen, auf die entsetzlichen, blutroten Wunden.

Sie sah nur das Gesicht ihrer Mutter.

»Mama. Mama, Mama.«

Der noch verbliebene Arm legte sich um ihre Schultern.

Der Arm um Jennsens Schultern verhieß Liebe, Trost und Schutz. Ihre Mutter lächelte gequält. »Das hast du gut gemacht, meine Kleine.«

Sebastian war derweil wie von Sinnen damit beschäftigt, den Stumpf des rechten Armes ihrer Mutter mit irgend etwas nicht näher Erkennbarem zu umwickeln, um die starke Blutung zu stoppen. Ihre Mutter hatte jedoch nur Augen für Jennsen.

»Ich bin da, Mama. Alles wird gut werden. Ich bin da. Mama ... stirb nicht... stirb nicht. Halt durch. Mama. Halt durch.«

»Hör zu.« Ihre Stimme war kaum mehr als ein Hauchen.

»Ich hör ja zu, Mama«, wimmerte Jennsen. »Ich höre zu.«

»Ich bin verloren ... werde jetzt ins Reich der Gütigen Seelen hinüberwechseln.«

»Nein. Mama, nein, bitte nicht.«

»Es ist nicht zu ändern, meine Kleine ... Die Gütigen Seelen werden gut für mich sorgen.«

Jennsen hielt das Gesicht ihrer Mutter in beiden Händen und versuchte es durch die Flut ihrer hilflosen Tränen zu erkennen.

»Laß mich nicht allein, Mama. Verlaß mich nicht. Bitte, bitte, tu es nicht. Oh, Mama, ich liebe dich.«

»Ich liebe dich auch, meine Kleine. Mehr als alles andere. Ich hab dir alles beigebracht, was ich wußte. Jetzt hör mir zu.«

Jennsen nickte, aus Angst, ihr könnte auch nur ein einziges ihrer kostbaren Worte entgehen.

»Die Gütigen Seelen rufen mich zu sich. Das mußt du verstehen. Wenn ich fortgehe, wird dieser Körper nicht mehr ich sein. Verstehst du? Ich brauche ihn nicht mehr. Ich spüre keine Schmerzen, überhaupt keine. Ist das nicht ein Wunder? Ich bin jetzt bei den Gütigen Seelen. Du mußt stark sein und meinen Körper, der ich nicht länger bin, zurücklassen.«

»Mama.« Jennsen brachte nur ein gequältes Schluchzen zu Stande, während sie das Gesicht in Händen hielt das sie mehr liebte als das Leben selbst.

»Er ist auf dem Weg hierher, um dich zu holen, Jenn. Lauf weg. Hast du verstanden?«

»Nein. Mama, ich kann dich nicht zurücklassen. Ich kann einfach nicht.«

»Du mußt. Sei nicht so dumm, dein Leben zu riskieren, nur um diesen nutzlosen Körper zu beerdigen. Ich bin in deinem Herzen und bei den Gütigen Seelen. Verstehst du das, meine Kleine?«

»Ja, Mama.«

Ihre Mutter nickte schwach. »Gutes Mädchen. Nimm das Messer mit. Ich habe einen von ihnen damit getötet, also ist es auch deiner würdig.«

»Ich liebe dich, Mama.« Jennsen wünschte, ihr würden angemessenere Worte einfallen, doch die gab es nicht. »Ich liebe dich.«

»Ich liebe dich auch ... deswegen mußt du fortlaufen, meine Kleine. Dein Leben ist zu kostbar. Lauf fort.« Ihre Augen wanderten zu Sebastian. »Werdet Ihr ihr helfen?«

Sebastian nickte. »Ganz bestimmt, ich schwöre es.«

Dann sah sie wieder Jennsen an, gütig lächelnd und voller Liebe. »Ich werde für immer in deinem Herzen wohnen, Kleine. Immer. Und dich immer lieben.«

»Ach, Mama, du weißt, daß auch ich dich liebe. Für immer.«

Lächelnd betrachtete sie ihre Tochter. Jennsen ließ ihre Finger über das schöne Gesicht ihrer Mutter wandern. Ihre Mutter sah ihr dabei zu – bis Jennsen merkte, daß ihre Mutter in dieser Welt gar nichts mehr sah.

Jennsen warf sich, aufgelöst in Tränen und Entsetzen, ein Schluchzen unterdrückend, über sie. Das war das Ende, ihre verrückte, sinnlose Welt hatte aufgehört zu existieren.

»Jennsen.« Sebastians Mund befand sich unmittelbar neben ihrem Ohr. »Wir müssen ihren letzten Wunsch erfüllen.«

»Nein! Bitte, nein«, jammerte sie.

Er versuchte sie behutsam weiter fortzuziehen. »Ihr müßt tun, was sie von Euch verlangt hat, Jennsen. Wir haben keine andere Wahl.«

Jennsen trommelte mit den Fausten auf den Boden. »Nein!«

»Jennsen, wir müssen fort.«

»Geht Ihr allein«, schluchzte sie. »Ich gebe auf.«

»Nein, das werdet Ihr nicht tun. Das dürft Ihr nicht.«

Er half ihr hoch, packte sie bei den Oberarmen und rüttelte sie. »Jennsen, wir müssen von hier verschwinden.«

Sie drehte ihren Kopf zur Seite und betrachtete ihre auf dem Boden liegende Mutter. »Wir müssen etwas tun. Bitte, wir müssen doch etwas tun.«

»Ja, das werden wir auch. Hört mir zu. Eure Mutter hatte Recht. Wir müssen augenblicklich von hier fort.«

Er wandte sich dem Rucksack zu, der neben der Lampe auf dem Tisch lag. Jennsen aber schleppte sich hinüber zu ihrer – wie sie immer noch meinte – schlafenden Mutter. Sie durfte nicht sterben, auf keinen Fall. Jennsen liebte sie viel zu sehr.

»Jennsen! Trauern könnt Ihr später! Wir müssen von hier verschwinden!«

Draußen goß es noch immer es in Strömen.

»Ich werde sie nicht zurücklassen!«

»Eure Mutter hat sich für Euch geopfert – damit Ihr weiterleben könnt. Laßt ihre letzte mutige Tat nicht vergeblich gewesen sein.«

Er war damit beschäftigt, alles, was ihm in die Finger kam, in den Rucksack zu stopfen. »Ihr müßt tun, was sie gesagt hat.«

Sie starrte auf die Tür. Sie war doch eben noch zu gewesen!

Ein hünenhafter Schatten schälte sich aus dem Regen und schob sich durch die Türöffnung ins Haus.

Die Augen des stämmigen Mannes hefteten sich auf sie, und sogleich ging eine Woge ungezügelter Angst durch ihren Körper. Er kam auf sie zu, immer schneller.

Jennsen sah das Messer mit dem verzierten »R« seitlich aus dem Hals eines Toten hervorragen, das Messer, das ihre Mutter ihr mitzunehmen aufgetragen hatte. Es war nicht weit...