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»Amy will sagen, daß wir alle ein gemeinsames Hobby haben«, ergänzte die Frau, die links von Vivian saß. Wenn Vivian sich recht erinnerte, hieß sie Mary-Lou Cramer und war die Frau des Chefs des New Yorker FBI. »Wir haben in gewisser Hinsicht die gleiche Leidenschaft wie Sie. Mindestens einmal im Monat treffen wir uns, um eine ... na ja, eine spiritistische Sitzung abzuhalten.«

»Natürlich keine richtige Beschwörung«, ergriff Missis Masterton rasch wieder das Wort, als sie die starke Ablehnung auf Vivians Gesicht sah. »Wir feiern keine Schwarzen Messen oder versuchen, den Teufel heraufzubeschwören, wenn Sie so etwas befürchten. Nein, es ist nur ein harmloses, kleines Vergnügen, ein Nervenkitzel, wenn Sie so wollen. Aber niemand von uns ist als Medium sonderlich geeignet.«

»Zweimal haben wir Versuche mit professionellen Spiritisten unternommen«, fügte eine der anderen Frauen hinzu. »Aber beide entpuppten sich als Betrügerinnen. Als wir dann erfuhren, daß Sie zusammen mit Ihrem Mann nach New York kommen würden, stand für uns fest, daß wir Sie unbedingt kennenlernen müßten.«

Vivian schluckte. Anfangs hatte sie befürchtet, die Fragen nach ihrer spiritistischen Veranlagung würden nur dazu dienen, sie auch über diesen Abschnitt ihres Lebens auszuhorchen, doch was sich nach dieser unerwartet eingetretenen Wendung abzeichnete, bereitete ihr noch wesentlich größeres Unbehagen. »Sie meinen, ich soll an Ihrer Seance teilnehmen?«

»Sie würden uns eine große Freude damit machen«, bestätigte Missis Masterton. »Ich bin davon überzeugt, Sie wären eine echte Bereicherung für unsere kleine Runde.«

Vivian zögerte. Sie hatte diesen Abschnitt ihres Lebens nie als ein abgeschlossenes Kapitel betrachtet, sondern gewußt, daß die Vergangenheit sie wieder einholen würde, zumal sie immer noch die gleiche Veranlagung wie früher besaß, doch war es ihr niemals nur um das Geld gegangen. Und auch wenn sie seit ihrer Hochzeit mit Mark nicht mehr darauf angewiesen war, sich auf diese Art ihren Lebensunterhalt zu verdienen, zierte sie sich gewöhnlich nicht, wenn einer ihrer Bekannten sie um ihre Hilfe als Wahrsagerin bat.

Diesmal jedoch lag die Situation aus gleich zweierlei Gründen anders. Hier ging es nicht darum, jemandem zu helfen. Sie betrachtete sich nicht als eine Jahrmarktskünstlerin, und hatte wenig Lust, ihre Fähigkeiten dazu zu mißbrauchen, ein paar alten Damen eine wohlige Gänsehaut zu bereiten.

Der zweite Grund beruhte auf einem wesentlich weniger edlen Motiv. Bereits seit sie nach New York gekommen war, verspürte sie eine seltsame innere Unruhe. Irgendwo in dieser Stadt drohte ihr eine noch ungewisse Gefahr. Vielleicht war es nur eine alberne Überreaktion auf die Alpträume, und sie bildete sich nur etwas ein, zumal sie sich bereits seit dem Vormittag schon nicht mehr sicher war, ob ihr nicht in ihrer Nervosität beim Legen der Karten einfach nur ein Fehler unterlaufen war, da sie vor allem für die zweite der beiden dominierenden Karten - den Januskopf - noch keine Erklärung gefunden hatte. Aber falls ihr Gefühl sie nicht trog, würde sie diese drohende Gefahr vielleicht unnötig vergrößern, wenn sie an dieser spiritistischen Sitzung teilnahm.

»Tun Sie uns doch den Gefallen«, drängte Missis Masterton. »Es handelt sich doch wirklich nur um ein harmloses Vergnügen. Gerade eine sachkundig durchgeführte Seance ist schließlich völlig ungefährlich. Meinen Freundinnen und mir aber liegt wirklich viel daran.«

Vivian ließ ihren Blick über die Gesichter der Anwesenden wandern. In allen entdeckte sie die gleiche Mischung aus Aufregung und erwartungsvoller Vorfreude; sie freuten sich fast wie kleine Kinder darauf. Wenn sie sich jetzt weigerte, würde sie alle vor den Kopf stoßen, und man würde es ihr übelnehmen.

Andererseits - was war denn schon dabei? Anders als die meisten Menschen es sich vorstellten, diente eine ernsthafte Seance nicht dem Zweck, den Geist irgendeines Toten heraufzubeschwören, der dann als grünes Schemen über dem Tisch tanzte, sondern es ging darum, ähnlich wie bei einem Orakel Antworten auf bestimmte Fragen zu erhalten, die detaillierter waren, als die Karten sie zu geben vermochten, die nur grundsätzliche Richtungen andeuteten. Statt sich alle bisher errungenen Sympathien mit einer Weigerung zu verscherzen, erschien es Vivian günstiger, wenn sie wenigstens zum Schein auf die Bitte einging.

Nur bei ganz wenigen Seancen gelang es, die Tür in die Bereiche jenseits der normalen menschlichen Wahrnehmungsfähigkeit mehr als nur einen winzigen Spalt zu öffnen. Mehr dürfte in diesem Fall für einen kleinen Nervenkitzel auch nicht nötig sein, und es lag an ihr, dafür zu sorgen, daß es selbst bei einer günstigen Konstellation, die ein tieferes Vordringen ermöglichen würde, bei diesem Spalt blieb. Niemand konnte sie dazu zwingen, weiter zu gehen, als sie es wollte.

»Also gut«, gab sie nach. »Versuchen wir es. Aber ich kann nicht für einen Erfolg garantieren, Missis Masterton.«

»Sagen Sie doch einfach Amy zu mir, dafür werde ich Sie Vivian nennen, einverstanden?« Amy Masterton wartete keine Antwort ab, sondern fuhr fort: »Und was den Erfolg der Seance betrifft, so bin ich durchaus Realistin. Wir alle wissen, daß es auf diesem Gebiet keine Garantien gibt.« Sie lachte kurz und etwas nervös auf. »Kommen Sie, gehen wir in die Bibliothek hinüber.«

Genau wie die anderen stand sie auf und wollte ihrer Gastgeberin in einen Nebenraum folgen, als Missis Cramer neben sie trat und sie am Arm zurückhielt. »Bitte warten Sie einen Moment, Vivian.« Ihre Nervosität war unverkennbar, und als sie weitersprach, sprudelten die Worte so schnell aus ihr heraus, daß man merken konnte, daß sie sie sich schon vorher zurechtgelegt hatte, es ihr nun aber nicht mehr gelang, sich richtig an sie zu erinnern. »Ich befinde mich in einer ziemlich bedrückenden Situation. Mein Mann lebt schon seit langem nur noch für seine Arbeit, unsere Kinder und ich spielen in seinem Leben kaum noch eine Rolle. Ich ... ich habe mich damit zwar abgefunden, aber es fällt mir immer schwerer, so zu leben.«

»Warum wenden Sie sich damit gerade an mich?« fragte Vivian. »Ein Eheberater dürfte Ihnen sicherlich eher helfen können.«

Mary-Lou Cramer schüttelte hastig den Kopf. »Darum geht es nicht. Sehen Sie, ich liebe meinen Mann noch immer, und ich habe Andeutungen aufgeschnappt, daß man ihn wegen seiner angeschlagenen Gesundheit demnächst in den vorzeitigen Ruhestand versetzen wird. Der Streß, wissen Sie, und ich möchte gerne wissen, ob es nach seiner Pensionierung noch eine Chance gibt, unsere Ehe zu retten. Obwohl ich meinen Mann liebe, möchte ich nicht neben jemandem alt werden, der mir nur noch Gleichgültigkeit entgegenbringt. Noch bin ich nicht zu alt, um irgendwo einen Neuanfang zu versuchen, aber die Zeit rinnt immer unbarmherziger davon. Wenn ich weitere Jahre unnütz opfere, um etwas zu retten, was nicht mehr zu retten ist, wird es zu spät sein. Können Sie verstehen, was ich meine?« Sie streckte Vivian die Hand entgegen. »Wenn Sie wirklich Wahrsagerin sind, dann können Sie auch aus der Hand lesen. Sagen Sie mir, was in meiner geschrieben steht.«

»Das ist nicht so einfach, wie Sie es sich vielleicht vorstellen«, entgegnete Vivian zögernd. »So etwas bedarf einer längeren Vorbereitung. Ich müßte mehr über Sie wissen, um überhaupt zu wissen, nach welchen Hinweisen ich suchen muß. Und selbst dann hätte ich wahrscheinlich keinen Erfolg. Die Zukunft ist keine starre Linie, sondern sie wird in jedem Moment durch eine Unmenge von Faktoren beeinflußt. Aus der Hand eines Menschen kann man ersehen, ob diese Faktoren gegenwärtig eher auf Glück oder Unglück hindeuten oder auf andere allgemeine Tendenzen. Dies ist kein Rollenspielbuch, in dem man einfach ein paar Seiten weiterzublättern braucht, um nachzulesen, welche von zwei oder drei möglichen Entscheidungen richtig ist und zu welchem Ergebnis führt. Das ...«

»Wo bleiben Sie denn, Vivian?« Amy Masterton erschien in der Türöffnung und schaute sie tadelnd an.

»Wir kommen gleich«, versprach Mary-Lou. »Einen Moment noch. Bereitet in der Zwischenzeit schon mal alles vor.« Sie schaute Vivian an. »Bitte, versuchen Sie es wenigstens.«