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Obwohl Charity mit Höchstgeschwindigkeit flog, brauchten sie fast fünfzehn Minuten, ehe sie den Dom erreichten. Sie hatte damit gerechnet, die Luft über der gewaltigen Kirchenruine voller Gleiter und Kampfschiffe zu finden, aber die einzige Bewegung am Boden waren Staubfahnen, die der Wind vor sich hertrieb.

Charity drosselte die Geschwindigkeit des Hubschraubers, bis das Fahrzeug reglos in der Luft hing, zwanzig, dreißig Meter über dem Vorplatz, auf dem Krämers Männer vor Tagesfrist ein Gemetzel unter den Jared und Ameisen angerichtet hatten. Charity schätzte die Anzahl der toten Barbaren auf weit über hundert. Niemand hatte sich die Mühe gemacht, sie wegzubringen.

Der Anblick erfüllte sie mit Bitterkeit, ja, fast Zorn. Der Angriff war so sinnlos gewesen. Und er hatte eine entsetzliche Antwort provoziert.

Hartmann schien ihre Gedanken zu lesen, denn er sagte plötzlich leise: »Es tut mir leid. Ich wußte nicht, was...«

»Niemand konnte wissen, was sie wirklich sind.«

»Wissen Sie es denn?« fragte Hartmann.

»Ich hoffe es«, murmelte Charity. »Wenn nicht, sind wir nämlich schon so gut wie tot.«

Wie der Flug war auch ihre Landung nicht gerade ein Meisterwerk - der Stealth-Copter setzte mit einem so harten Ruck auf, daß Charity nicht sonderlich überrascht gewesen wäre, wäre er in zwei Stück zerbrochen. Hastig riß sie sich den Helm vom Kopf, schaltete die Turbine aus und blickte noch einmal zum Dom hinüber, ehe sie sich erhob.

Das Tor stand weit offen, und ihre überreizten Nerven gaukelten ihr schattenhafte Bewegungen dahinter vor. Sie betete, daß es wirklich nur ein Trugschluß war.

»Bleiben Sie hier, Hartmann«, sagte sie leise. »Wenn ... irgend etwas schiefgeht, versuchen Sie zu fliehen.«

»Ich kann dieses Ding nicht fliegen«, antwortete Hartmann. Er griff an seinen Gürtel und zog die Pistole, aber Charity schüttelte nur den Kopf, als er ihr die Waffe hinhielt. So aberwitzig ihr der Gedanke auch im ersten Moment selbst vorkam, nach den Geschehnissen der letzten Stunde - sie hatte endgültig begriffen, daß dieser Kampf nicht mit Waffen entschieden werden konnte.

Skudder und Net folgten ihr, als sie den Helikopter verließ und langsam auf das Tor zuging. Keiner von ihnen sprach ein Wort, aber sie alle fühlten das Fremde, Mächtige, das sich wie ein unsichtbarer Mantel über diesen Ort ausgebreitet hatte. Unter dem Tor blieben sie stehen. Das Innere der Kirche war von Dunkelheit und Schatten erfüllt und bot einen so verwüsteten Anblick, wie sie erwartet hatte. Die beiden Raketen, die der Helikopter in das Gebäude hineingefeuert hatte, hatten nicht viel übriggelassen. Trotzdem bewegte sich vor ihnen etwas. Im ersten Moment hielt Charity es nur für eine Sinnestäuschung, aber dann erkannte sie, daß die Bewegung real war.

»Das ist ... die Königin!« sagte Skudder ungläubig. »Sie lebt noch!«

Charity nickte mühsam. Ihr Herz begann zu rasen, und plötzlich schrie alles in ihr danach, einfach herumzufahren und zu Hartmann und dem Hubschrauber zurückzurennen. Gleichzeitig wußte sie, daß sie das gar nicht mehr konnte. Ganz einfach, weil sie nicht aus freien Stücken hier war. Irgend etwas hatte sie ... gerufen. Es hatte nur bis jetzt gedauert, bis ihr das wirklich klar geworden war.

Plötzlich hob Net die Hand und deutete auf eine zweite, kleinere Gestalt, die neben dem gewaltigen Umriß der Königin aufgetaucht war. »Kyle!« sagte sie. »Das ist Kyle! Er ... er lebt!«

»Dann leben vielleicht auch Gurk und das Mädchen noch!« fügte Skudder aufgeregt hinzu. Er wollte loslaufen, aber Charity hielt ihn zurück.

»Nein«, sagte sie.

Skudder sah sie verständnislos an. »Wie bitte?«

Charitys Blick suchte den des Megamannes, und obwohl sie viel zu weit von ihm entfernt war, als daß sein Gesicht mehr als einen verwaschenen Fleck in der Dämmerung darstellte, spürte sie seinen Blick. Seinen Blick? »Ich ... gehe allein«, sagte sie mühsam. »Bitte wartet hier. Ganz egal, was passiert.«

»Aber das ist verrückt!« antwortete Skudder.

»Ich weiß«, murmelte Charity und ging los. Sie sah aus den Augenwinkeln, wie Skudder eine Bewegung machte, um ihr zu folgen, und dann plötzlich innehielt, als Kyle den Kopf wandte und ihn ansah.

Ihr Herz begann immer schneller zu schlagen, während sie durch die zerstörte Kirche schritt, und das Gefühl eisiger Kälte in ihr wurde immer schlimmer, bis sie glaubte, kaum noch atmen zu können. Die verwundete Königin hob den Kopf und starrte sie an, und wieder fühlte Charity die Berührung von einer gewaltigen, wissenden Macht, als sie in die riesigen Facettenaugen des Wesens blickte.

Dann streifte ihr Blick Kyles Gesicht, und sie hätte beinahe gellend aufgeschrien. Kyle war nicht mehr Kyle: Sein Gesicht zeigte zwar den Megamann, den sie kannte, aber seine Augen waren die eines Jared, und das Lächeln auf seinen Zügen war Gyells Lächeln.

»Es ist gut, daß du gekommen bist«, sagte Kyle. »Das macht es leichter, miteinander zu reden.«

Charity schluckte den harten Kloß herunter, der in ihrer Kehle saß, und zwang sich, Kyle anzusehen. Von den Hüften abwärts verschwand der Körper des Megakriegers in einem Gespinst grauer, klebriger Fäden, unter dem seine Glieder nur noch schemenhaft zu erkennen waren. Charity konnte nicht mehr sagen, ob sie noch menschlich waren oder die harten, gepanzerten Gliedmaßen eines Insekts.

»Wo ist ... Helen?« fragte sie.

Kyle machte eine vage Geste hinter sich. »Dort. Aber es ist besser, du siehst sie nicht. Sie braucht ... länger als ich.«

»Aber sie lebt?«

»Ja«, antwortete Kyle. »Jetzt wird sie leben.«

Charity dachte einen Moment über diese Worte nach. Aber allein die Vorstellung, was sie vielleicht bedeuteten, ließ sie abermals erschauern.

»Ist ... ist Gyell nicht hier?« fragte sie mühsam.

»Nein«, antwortete Kyle. »Du kannst mit mir reden. Es ist gleich, mit wem du sprichst. Ich bin Jared.«

»Ich weiß«, flüsterte Charity. »Ihr seid ... ihr seid alle Jared.« Sie deutete mit einer Kopfbewegung, die all ihre Kraft in Anspruch nahm, auf die Königin. »Sie auch.«

»Sie auch. Sie ist Jared. Ihre Kinder sind das Volk - aber wir alle sind Jared.«

»Dann ... dann sag ihr, daß sie aufhören soll«, sagte Charity mit mühsam beherrschter Stimme.

»Aufhören? Womit?«

»Mit dem Töten«, antwortete Charity. »Sie überrennen Krämers Festung, Kyle. Sie töten all diese Männer dort.«

»Sie haben mit dem Töten angefangen«, antwortete Kyle der Jared ernst.

»Ich weiß«, sagte Charity. »Aber sie wußten es nicht besser. Sie hielten euch für Tiere.«

»Und das gibt ihnen das Recht, uns zu töten?«

»Natürlich nicht«, sagte Charity beinahe verzweifelt. »Es ... es war falsch. Ich glaube, sie haben das eingesehen. Ihr wollt doch nicht wirklich ihren Tod, Gyell. Die Männer in diesem Bunker sterben für nichts! Nur, weil sie von einem Wahnsinnigen kommandiert werden!«

»Aber das werden sie nun einmal«, sagte Jared. »Er wird nicht aufhören. Wir haben ihn besiegt. Sollen wir ihm das Leben und die Freiheit schenken, damit er wiederkommt und das Töten von vorn beginnt?«

»Das wird es nicht!« antwortete Charity. »Ich ... ich gebe dir mein Wort, daß sie euch in Frieden lassen werden! Krämer wird die Station nicht länger befehligen, das verspreche ich dir. Es wird jemand sein, der ... der einen Weg findet, auf dem ihr beide existieren könnt! Ruf die Schiffe zurück.«

Kyle schwieg fast eine Minute lang.

»Und ... die Schläfer?«

»Sie gehören zu euch«, vermutete Charity.

»Manche«, bestätigte Kyle. »Der Schlaf hat lange genug gedauert, sie sehen zu lassen, wenn sie erwachen.«

»Sie werden zu euch kommen«, sagte Charity.