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Zu Bolithos Füßen kochte die See. Er wickelte sich enger in seinen Umhang.

Er dachte an Nelson, den Mann, den er so gern getroffen hätte, um mit ihm von Seemann zu Seemann zu reden. Wie ähnlich ihrer beider Leben verlaufen war, gleich Parallelen auf dem Papier. Er entsann sich, Nelson einmal gesehen zu haben, während des unglückseligen Angriffs auf Toulon, aber nur aus der Ferne, an Bord des Flaggschiffs. Er hatte Bolitho zugewinkt, ein eher schmächtiger junger Kapitän, der später die Welt verändern sollte. Sonderbar, das Flaggschiff, auf dem sich Nelson damals Befehle holte, war seine spätere Victory. Bolitho gedachte auch der wenigen Briefe, die er von ihm erhalten hatte, alle während der letzten Monate auf der Hyperion. In seiner eigenartig schrägen Handschrift, die er sich nach dem Verlust des rechten Arms angewöhnt hatte:»Dort werden Sie entdecken, wie eifrig sie ihre Kriege mit Worten und Papier ausfechten, statt mit Kanonen und hartem Stahl…«Nelson hatte gegen hochtrabenden Pomp nie ein Blatt vor den Mund genommen.

Und dann jener Hinweis, so schicksalhaft für Bolitho, als er Hyperion zum Flaggschiff verlangt hatte und sie ihm nur widerstrebend gegeben wurde:». Man gebe Bolitho jedes Schiff, das er verlangt. Er ist Seemann, kein Landmann. «Bolitho war froh, daß wenigstens Adam ihn getroffen hatte.

Er schaute zurück auf den windumtosten Felsenpfad, der nach Pendennis Castle führte. Die Befestigungsanlagen waren teilweise von Dunst oder niedrigen Wolken verborgen, der Rest sah grau und bedrohlich aus. Er wußte nicht mehr, wie lange er schon spazieren gegangen und warum er überhaupt hierher gekommen war. Auch nicht, ob er sich jemals so allein gefühlt hatte.

Wieder in England, hatte er der Admiralität einen kurzen Besuch abgestattet. Aber kein hoher Beamter war für ihn erreichbar gewesen, angeblich waren alle mit den Vorbereitungen für Nelsons Beisetzung beschäftigt. Bolitho hatte die Abfuhr ignoriert, London den Rücken gekehrt und war nach Falmouth gefahren. Von Catherine lagen keine Briefe vor. Es war, als hätte er sie abermals verloren. Aber Keen würde sie sehen, wenn er zu Zenoria nach Hampshire fuhr.

Dann würde er ihr eben schreiben. Überraschend, wie nervös ihn dieser Gedanke machte. Wieder wurde er unsicher, wie schon das erstemal. Wie würde sie ihn nach so langer Trennung aufnehmen?

Er schritt weiter gegen den Wind, seine Stiefel saugten sich in dem durchweichten Gras fest. Nelson würde man mit allem Pomp und Zeremoniell in St. Paul's Cathedral beisetzen. Verbittert dachte er, daß jene, die nun sein Lob in höchsten Tönen sangen, die gleichen waren, die ihn am meisten beneidet und herabgewürdigt hatten.

Dann sah er sein hinter der Bergkuppe liegendes Haus und war froh, daß er erst nach Weihnachten eingetroffen war. Seine Einsamkeit hätte alle Feierlichkeiten zum Schaden der anderen gedämpft. Er war niemandem begegnet. Allday saß sicherlich im Haus und klönte mit Ferguson über die Schlacht, die er hier und da mit eigenen Zutaten ausschmückte, wie es üblich war. Auch Bolitho dachte oft an die Schlacht. Wenigstens hatte es in Falmouth ihretwegen keine Trauerfamilien gegeben. Nur drei von der Besatzung der Hyperion stammten aus dem Ort, und alle hatten überlebt.

Von Adam fand er einen Brief vor, es war der einzige Lichtblick bei seiner Heimkehr. Adam war in Chatham und zum Kapitän befördert worden, Kommandant eines neuen Schiffes der fünften Klasse, das auf der Marinewerft seiner Vollendung entgegenging. So war sein Wunsch erfüllt worden, und zwar wohlverdient.

Auf einmal müde geworden, hielt Bolitho wieder an. Ihm fiel ein, daß er seit dem Frühstück nichts gegessen hatte. Jetzt war es Nachmittag, die Abenddämmerung würde bald kommen und den Pfad gefährlich machen. Er kehrte um, wobei ihn sein Umhang wie ein Segel umflatterte.

Wie gut seine Männer an jenem Tag doch gefochten hatten. Von der Nationaltrauer um Nelson überschattet, hatte es die Gazette nur in wenigen Zeilen zusammengefaßt:

«Am lsten Oktober, einige hundert Meilen östlich von Cartagena, stießen Schiffe des Mittelmeergeschwaders unter der Flagge von Vizeadmiral Sir Richard Bolitho auf eine überlegene Streitkraft von zwölf spanischen Linienschiffen. Nach heftigem Gefecht zog sich der Feind zurück und ließ sechs Prisen in britischen Händen. Gott segne den König!»

Weder wurde Hyperion erwähnt noch die Männer, welche mit ihr nun in Frieden ruhten. Bolitho beschleunigte den Schritt und wäre fast gestolpert, nicht aus Blindheit, wohl aber aus innerer

Erregung. Gott verdamme sie alle, dachte er. Dieselben Heuchler würden nun den kleinen Admiral loben, weil sie seine Ehrlichkeit nicht länger zu fürchten brauchten. Aber die Getreuen würden seinen Namen hochhalten und dafür sorgen, daß er weiterlebte, für Adams Navy und die folgenden.

Eine Gestalt näherte sich ihm auf dem unmittelbar an der Kliffkante verlaufenden Pfad. Er spähte durch Dunst und Regen und sah, daß sie den gleichen Umhang trug wie er selbst. In einer Stunde, vielleicht schon früher, mußte ein Spaziergang hier halsbrecherisch werden. Ein Fremder also?

Die Gestalt kam ihm langsam entgegen. Ihr Haar, so dunkel wie sein eigenes, wehte im bitterkalten Seewind. Allday mußte geplaudert haben. Er war der einzige im Haus, der den Weg kannte. Diesen besonderen Weg, den sie beide nach seinem Fieber gegangen waren. Bolitho kam es wie vor tausend Jahren vor.

Er eilte ihr entgegen, hielt sie auf Armlänge von sich ab und sah sie abwechselnd lachen und weinen. Sie trug seinen alten Bootsumhang, den er zum Wandern bei kaltem Wetter aufgehoben hatte. Ein Knopf war abgegangen, der Saum eingerissen. Wenn der Wind ihn hob, wurde ihr schlichtes dunkelrotes Kleid darunter sichtbar. Welch ein Unterschied zu dem Leben in Luxus, das sie einst geführt hatte!

Bolitho preßte sie an sich, spürte ihr nasses Haar, das Streicheln ihrer Hände. Sie waren eiskalt, aber keiner von beiden merkte es.

«Ich wollte dir schreiben. «Er konnte nicht weitersprechen. Sie betrachtete ihn genau, dann strich sie ihm sanft über die Braue des verletzten Auges und drückte ihr Gesicht gegen seines, indes der Wind sie beide mit den Umhängen einhüllte.

«Val hat mir alles erzählt. Liebster Mann, wie entsetzlich muß es gewesen sein — für dich und dein altes Schiff.»

Bolitho legte ihr den Arm um die Schultern. Als sie den Hügelkamm überquerten, sahen sie wieder das alte graue Herrenhaus. In einigen Fenstern brannte schon Licht.

Catherine sagte:»Sie nennen mich eine Seemannsbraut. Wie könnte ich da fortbleiben?»

Bolitho drückte wortlos ihre Schulter. Sein Herz war zu voll, er konnte nicht antworten. Erst nach einer Weile sagte er:»Komm, ich bringe dich nach Hause.»

Unten blieb er stehen, um ihr über den alten Pferch zu helfen, wo er und seine Geschwister als Kinder gespielt hatten. Von der Leiter schaute sie auf ihn herab, die Hände auf seinen Schultern.»Ich liebe dich, Richard.»

Er suchte den Moment zu verlängern, denn er ahnte, daß endlich Friede in dieses Haus eingekehrt war.

Er erwiderte schlicht:»Jetzt ist hier auch dein Zuhause.»

Der einbeinige frühere Seemann namens Vanzell tippte grüßend an seinen Hut, als sie vorbeigingen, aber sie nahmen ihn nicht wahr. Ihre Herzen hatten Frieden gefunden, diesen höchsten Lohn des Schicksals.

Ende