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Giannina wußte das nicht. Die Magd hatte ihr nichts davon gesagt. Wahrscheinlich war sie erbost, weil die Neue vom ersten Tage an in der Küche arbeitete. Giannina hatte voll Eifer und in ständiger Angst, etwas verkehrt zu machen, das Feuer geschürt, Wasser getragen, den Spieß gedreht und das Geflügel mit Fett übergössen. Es duftete in der Küche wie an einem Bratstand auf der Piazza. Der Rauch beizte ihr die Augen, so daß sie kaum etwas sehen konnte. Sie achtete nicht darauf, daß die Flammen die Kopffedern des Kapauns versengten, und war im Gegenteil bemüht, sie ganz zu entfernen.

Die andere Küchenmagd warf ab und zu einen Blick zum Feuer und bemerkte wohl, was Giannina anstellte. Nach einer Weile schlug sie ent setzt die Hände zusammen und sagte scheinheilig: «O Giannina, was hast du getan? Den Federputz, die schönen Kopffedern! Der Herr wird böse sein. Ich muß schnell Wasser holen!»

Damit verschwand sie und ließ sich in der nächsten halben Stunde nicht wieder blicken.

Giannina sah ihr kopfschüttelnd nach und hatte gar keine Zeit, sich über das sonderbare Wesen der Magd zu wundern. In diesem Augenblick trat Messer Celsi in die Küche und sagte wohlgelaunt: «Na, was macht mein Kapaunchen?»

Er schob die Haarsträhne zurück und schnupperte mit geschlossenen Augen den feinen Bratgeruch. Dann trat er zu dem Bratspieß, und sogleich schlug seine gute Laune, ein Nachklang des vorteilhaften Geschäftes, das er eben mit dem Viehhändler abgeschlossen hatte, in wilde, kreischende Wut um.

Giannina bemerkte mit ängstlichem Erstaunen, wie seine Halsadern anschwollen und sein Gesicht sich rot färbte.

«Was hast du angerichtet?» schrie er sie an. «O du Dirne, du Faule, du schwarzäugige Diebin, was hast du mit meinem Kapaunchen gemacht? Ich schlage dich tot, du -- ". Er keuchte, als bekäme er keine Luft mehr. Furchtbares war geschehen! Diese dreckige Magd mutete ihm zu, sein Kapaunchen ohne Kopffedern zu verspeisen.

Messer Celsi hob die Hand und schlug mit aller Gewalt in das erschrockene Mädchengesicht.

«Geh mir aus den Augen, du Diebin. Raus aufs Feld!»

Er war trotz seiner Hagerkeit ein kräftiger Mann. Vom Kapaunenessen, zumal wenn die gemästeten Tierchen mit Kopfschmuck aufgetragen werden, wird man stark.

Giannina taumelte gegen den Tisch und hielt sich an der Kante fest. Der zweite Schlag schien ihr fast das Gehör zu rauben, den dritten Schlag und die Fußtritte spürte sie kaum noch. Und das Kapaunchen briet am Spieß munter weiter, wurde tiefbraun und knusprig und roch nach würzigen Kräutern und gutem Öl. Ein feiner, großzügiger Herr, der Messer Celsi?

Die dicke, schöne Giulietta schaute in die Küche hinein, sah den zornigen Vater und das am Boden liegende Mädchen.

«Was Ihr Euch immer so aufregt, Väterchen. Ach ja, mit den Mägden hat man viel Ärger!»

Giannina hatte noch nie solchen Haß im Herzen gespürt. Sie ließ den Kapaun am Spieße stecken. Sollte er verbrennen und die Stuben mit üblem Geruch füllen. Wie gejagt lief sie aus dem Haus, antwortete auf keine Frage, lief nur immer weiter, irgendwohin, wo keine Menschen waren. Wie ein Tier hatte er sie geschlagen; ihr Gesicht brannte, die Lippen waren aufgesprungen, und die Ohren schmerzten. Am Rand! des Fischteiches ließ sie sich ins Gras fallen. Ihr Herz klopfte rasend schnell.

Die von Tränen verschleierten Augen sahen durch das Blätterdach eines Baumes den Himmel und die weißen Wolken.

«Einmal ist die Kindheit zu Ende», hatte der Vater gesagt.

«Schau in diesen Spiegel», flüsterte eine Stimme, «was für schöne Augen du hast. Kannst du die Farben sehen? Sie sind wie eine dunkl» Zypresseninsel in einem silbernen See. Nini, du darfst doch nicht weinen. Einmal ist die Kindheit zu Ende.»

Es war Giovannis Stimme. Aber Giovanni war doch gar nicht hier. Benommen richtete sich Giannina auf, sah den Teich, das Gras, die Bäume und spürte den Wind und die Wärme.

Jetzt erst wurde ihr klar, was geschehen war. Der Unmensch hatte sie geschlagen, und sie wußte nicht einmal warum. Was hatte sie nur getan? Undeutlich erinnerte sie sich an das Gesicht von Giulietta. Giannina riß vor plötzlich aufwallender Wut einige Büschel Gras aus der Erde.

«Kapaunenfresser! Kapaunenfresser!» schrie sie über den stillen Teich. Und noch einmaclass="underline" «Kapaunenfresser!»

Ein Frosch sprang erschreckt ins Wasser. Es roch nach Sumpf und Schilf und Fisch.

«Der Teufel soll Euch holen, Messer Celsi!» preßte sie zwischen den Zähnen hervor, hielt aber gleich darauf erschreckt inne. Verfinsterte sich nicht der Himmel, oder öffnete sich die Erde? Sie sah scheu um sich. Nichts geschah.

Die Bäume wiegten sich im Wind.

Giannina war ganz allein mit ihrem Haß.

EIN BETTLER BRINGT EINEN BRIEF

HELL KLANG DAS LÄUTEN DER GLOCKE AUF DEM San-Marco-Turm durch den Morgen. La Trotteria rief die Ratsherren und Senatoren zur Sitzung des Großen Rats zusammen. Sie läutete eine halbe Stunde lang, und wenn ihr letzter Ton verhallte, wurden die Türen zum Sitzungssaal im Palast des Dogen geschlossen. Wer zu spät kam, fand keinen Einlaß mehr. Der Große Rat bestand in diesem Jahre nur aus 318 Mitgliedern; eigentlich waren nach der Verfassung 480 vorgesehen, die von zwölf Wahlherren aus den vornehmsten und mächtigsten Familien der sechs Sestieri der Stadt zu wählen waren. Diesmal hatten sie nur 318 gewählt, weil sie geringere Familien fernhalten wollten.

Das Volk hatte bei der Wahl der Regierung nicht mehr mitzureden. Der Doge, das Oberhaupt der Stadt, und der Senat, der die eigentliche Gewalt ausübte, wurden von den Mitgliedern des Großen Rats gewählt. Siebenundzwanzig Familien hatten 242 Vertreter im Großen Rat, siebenundzwanzig Familien, an ihrer Spitze die Contarini, die Quirini und Dandolo, die Morosini, die Michieli und Falieri bestimmten über die Geschicke der Stadt, siebenundzwanzig Familien bekämpften sich gegenseitig, zettelten Verschwörungen an, ließen unbequeme Bewerber um einflußreiche Staatsämter aus dem Wege räumen, siebenundzwanzig Familien strebten danach, ihre Vertreter in die Signoria zu entsenden, die aus dem Dogen, seinen sechs oberen Räten und den drei Vorsitzenden der Quarantia, der peinlichen Gerichtsbarkeit, bestand.

Hell klang das Läuten der Glocke auf dem San-Marco-Turm durch den Morgen. Die Edelleute setzten sich auf ihre Maultiere und Pferde oder stiegen in die bereitstehenden, mehr oder minder prächtig geschmückten Barken.

Die Tore des Dogenpalastes waren weit geöffnet. Eine Schar von Bettlern hatte sich versammelt. Sie waren in Lumpen gekleidet und trugen ekelhafte Geschwüre zur Schau. Kam ein Ratsherr über die Piazzetta geschritten, umschwärmten sie ihn wie ein Rudel hungriger Tiere und wichen nicht eher, als bis er einige Geldstücke auf das Pflaster geworfen hatte. Dann entspann sich ein wilder Kampf, der manchmal dazu führte, daß die Schwächsten jammernd liegenblieben. Keiner kümmerte sich um sie. Hatten sie sich etwas erholt, krochen sie zum Kai und bettelten die Lastträger und Schiffer um eine milde Gabe an. Tausende Bettler lebten in der mächtigen, blühenden Stadt Venedig, der Königin der oberitalienischen Städte.

An der Ponte della paglia, neben dem Dogenpalast, standen die Reittiere der Edelleute und wurden von den Bediensteten betreut.

Marco Polo verließ sein Haus, grüßte einen Senator, der gerade vorüberritt, warf einen flüchtigen Blick auf den Balkon und ging schnell davon. Er hatte gestern abend, als er in Begleitung des getreuen Paolo vom Bruder Lorenzo kam, auf merkwürdige Weise einen Brief erhalten. Ein Bettler, in bunte Lumpen aus Samt, Leinen und mit Goldfäden besticktem Tuch gekleidet, hatte sich geschickt an Marco herangeschlichen und ihm, unbemerkt von Paolo, den Brief in die Hände gespielt. In diesem Brief wurde Marco aufgefordert, am nächsten Tage in der Morgenstunde in eine kleine Taverne hinter der Piazza zu kommen. Er würde dort eine wichtige Nachricht erhalten. Den Brief soll er keinem zeigen und auch niemanden als Begleitung mitbringen.