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»Wieviel hast du heute abend eingenommen?« fragte der Dicke wütend und deutete auf das verschlossene Kupferkästchen mit dem Münzschlitz in der Mitte, das an dem niedrigen Kaissa-Tisch festgekettet war.

Der Spieler ordnete die Spielsteine.

Der Dicke nahm das Kästchen, schüttelte es und versuchte, seinen Inhalt zu schätzen. »Vier, fünf Tarskstücke?« fragte er. Nach dem Klang der in dem Kästchen umherfliegenden Münzen zu urteilen, konnten es nicht viele sein.

»Drei«, sagte der Spieler.

»Du hättest ihn mindestens zwanzig Züge spielen lassen können!«

»Dazu hatte ich keine Lust.«

Interessanterweise trug der Mann hinter dem Spielbrett ein schwarzes Gewand und eine kapuzenähnliche Maske, die den ganzen Kopf verhüllte, und nicht das rotgelbkarierte Gewand der Kaste der Spieler. Also gehörte er der Kaste nicht an. Hätte er zu den Spielern gehört, hätte er zweifellos das Kastengewand getragen, denn die Mitglieder sind sehr stolz auf ihre Kaste. Doch wie ich eben gehört hatte, mußten seine Fähigkeiten beträchtlich sein. Anscheinend war der Arsenal-Champion, einer der besten zwanzig oder dreißig Spieler von Port Kar, kein Gegner für ihn gewesen. Vielleicht hatte er ja verbotene Züge benutzt. Das schien wahrscheinlicher zu sein als die Tatsache, daß ein Mann wie er, der mit Schauspielern und Gauklern zu tun hatte, den Arsenal-Champion geschlagen hatte. Andererseits war Karneval. Vielleicht war der Champion betrunken gewesen.

»Wenn das Spiel für die Herausforderer nicht verlockend ist, wenn sie nicht der Überzeugung sind, daß sie ernsthaft spielen, werden sie kein zweites oder drittes Spiel wollen«, sagte der Dicke. »Sie sollen aber zurückkommen! Sie sollen sich um das Brett drängeln! So verdienen wir unser Geld!«

Gewöhnlich kostet ein Spiel einen Betrag in der Spanne zwischen einem Tarskstück und einem Kupfertarsk. Gewinnt der Herausforderer, kostet das Spiel gar nichts. Manchmal nagelt man einen Kupfertarsk oder sogar einen Silbertarsk an eine der Stützsäulen der Bude. Die kann der Herausforderer bei einem Sieg gewinnen; erspielt er ein Unentschieden, ist das Spiel kostenlos. Das ist so üblich, weil ein geübter Spieler allein durch klugen Schlagabtausch und durchdachte Plazierungen ein Unentschieden erringen kann. Natürlich ist mit einem Spiel auf Unentschieden ein wesentlich geringeres Risiko verbunden. Konservative Spieler, die in einem Turnier vorn liegen, benutzten diese Strategie – oftmals zur Wut der Zuschauer und ihrer Gegner –, um ihren Vorsprung zu schützen. Ein Sieg ergibt einen Punkt, bei Gleichstand erhält jeder Spieler einen halben Punkt.

»Du mußt auch einmal verlieren können«, sagte der Dicke. »Dann kommen sie zurück. Und so werden wir, auf lange Sicht gesehen, auch mehr Geld verdienen!«

»Ich spiele, um zu gewinnen«, sagte der Spieler und sah auf das Brett.

»Ich möchte wissen, warum ich mir das von dir gefallen lasse! Du bist nichts anderes als ein Handlanger und Vagabund!«

Ich sah mir die Stellung der Spielsteine an. Der Maskierte hatte keine Eröffnungsposition als Ausgangsbasis benutzt; er hatte die Vierecke direkt so plaziert, wie sie jetzt auf dem Brett lagen. Irgend etwas an dieser Stellung kam mir bekannt vor. Plötzlich erkannte ich, daß ich sie schon einmal gesehen hatte. Diese Stellung erreichte man mit dem siebzehnten Zug des Ubaras-Gambit. Der gelbe Heimstein mußte dabei auf Ubaras-Hausbauer eins stehen, vorausgesetzt, Rot war beim elften Zug von der Hauptlinie abgewichen und zur turianischen Linie übergewechselt. Normalerweise läßt man an diesem Punkt Ubaras-Wissender-Speerträger vorrücken, um den Angriff zu unterstützen, der auf die angrenzende Linie des gegnerischen Ubaras-Hausbauer ausgeübt wird. Der Spieler war jedoch mit Ubars-Wissender-Speerträger in einer 2-Zug-Option vorgerückt, was den Stein auf Ubars-Wissender fünf gebracht hatte. Ich fragte mich, ob er überhaupt etwas von Kaissa verstand. Doch plötzlich sah ich den Zug in einem anderen Licht. Er würde einen zweiten Angriff in Gang setzen, durch den Gelb dazu gezwungen wäre, die Spielsteine an die Seite des Ubars zu holen. Damit würde die Linie des Ubaras-Hausbauers noch weiter geschwächt, was sie für den Angriff noch verletzlicher machte. Es war ein interessantes Konzept. Ich fragte mich, ob man es je ernsthaft durchgespielt hatte.

»Du mußt lernen zu verlieren!« sagte der Dicke.

»Ich habe verloren«, antwortete der Maskierte. »Ich weiß, wie das ist.«

»Was ist mit dir?« wandte sich der Dicke an mich. »Spielst du Kaissa?«

»Ein wenig«, gab ich zur Antwort.

»Dann riskier ein Spiel. Kostet nur ein Tarskstück!« Er warf dem Spieler einen bedeutungsvollen Blick zu, richtete die Aufmerksamkeit dann wieder auf mich. »Ich kann so gut wie garantieren, daß du gewinnst.«

»Warum ist dein Spieler maskiert?« fragte ich. Es schien keine für den Karneval angebrachte Verkleidung zu sein.

»Es hat etwas mit seiner Kindheit zu tun – oder zumindest der Zeit kurz danach«, sagte der Dicke und erschauderte. »Da war ein großer Brand. Der hat ihn zu dem gemacht, was er jetzt unter der Maske ist. Er ist ein verunstaltetes Ungeheuer. Freie Frauen würden bei seinem Anblick in Ohnmacht fallen. Starken Männern würde es den Magen umdrehen. Sie würden aufschreien und ihn erschlagen. Solch einen schrecklichen, grotesken Anblick darf man in der Öffentlichkeit nicht zur Schau stellen.«

»Ich verstehe.«

»Nur ein Tarskstück«, wiederholte der Dicke.

»Du brauchst nicht zu fürchten, daß du verlierst«, sagte der Maskierte voller Wut und stellte die Steine neu auf. Dann entfernte er anmaßenderweise Ubar, Ubara, Hausbauer und Ärzte vom Brett, insgesamt sechs seiner stärksten Spielsteine. Er sah mich wütend an und warf noch seine Tarnkämpfer in den Lederbeutel, der an der Tischseite hing. Dann drehte er das Brett herum, so daß ich Gelb und den ersten Zug hatte. So blieb mir die Initiative und die von mir bevorzugte Eröffnung überlassen. »Mach deinen ersten Zug«, sagte er. »Ich werde dann meinen Ubar umkippen, und du hast das Spiel gewonnen.«

»Kannst du nicht etwas feinsinniger vorgehen?« beschwerte sich der Dicke.

»Unter solchen Bedingungen spiele ich nicht«, sagte ich.

»Warum denn nicht?« fragte der Dicke gequält. »Du könntest ehrlich behaupten, gewonnen zu haben. Es muß doch keiner wissen, unter welchen Umständen.«

»Es wäre eine Beleidigung für das Kaissa«, sagte ich.

»Er hat recht«, meinte der Vermummte.

Das Sklavenmädchen sah zu mir hoch, noch immer mit dem Kuchen beschäftigt. »Bitte, Herr!«

»Wage ein Spiel«, schlug der Dicke vor.

Ich sah dem Sklavenmädchen in die Augen. Sie sah zu mir hoch und leckte langsam und sinnlich den Zuckerguß von dem Kuchen.

»Ich habe ein anderes Spiel vor«, entgegnete ich.

Sie sah zu mir auf, Zucker und Krümel am Mund, erhob sich und küßte mich. »Ich will dich lieben«, sagte sie. Ich schmeckte den Zucker auf ihren Lippen.

»Das kann ich verstehen. Es ist schön, eine nackte Sklavin im Arm zu halten«, sagte der Dicke. »Aber der Bursche hier« – er zeigte auf den Spieler –, »der ist anders. Er lebt allein für das Kaissa. Er berührt keine Frau. Was sicher auch gut ist. Bei seinem Anblick fielen sie vermutlich sofort in Ohnmacht.«

»Willst du nun spielen oder nicht?« fragte der Spieler.

»Unter den Bedingungen, die du vorgeschlagen hast, würde ich nicht einmal einen Sieg annehmen, wenn du Centius aus Cos wärst.« Centius aus Cos war der vielleicht beste Kaissa-Spieler Gors. In den letzten fünf Jahren hatte er dreimal das En’Kara-Turnier gewonnen. Einmal hatte er aus Studiengründen nicht teilgenommen, und zwar 10127 C.A. Der Sieg hatte Terence aus Turia gehört. 10128, C.A. war Centius wieder dabeigewesen, jedoch von Ajax aus Ti von der Salerianischen Konförderation geschlagen worden. 10129 C.A., dem letzten En’Kara, hatte Centius Ajax eindeutig geschlagen und den Championtitel zurückgewonnen.

Bei der Erwähnung des Namens Centius aus Cos hatte sich der Spieler ärgerlich versteift. »Ich versichere dir, ich bin nicht Centius aus Cos«, sagte er, schob die restlichen Spielsteine in den Lederbeutel, band ihn sich an den Gürtel, klemmte sich das Spielbrett unter den Arm und hinkte davon.