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Ich hörte, wie über mir Männer die hölzernen Sitzreihen der Tribüne entlanggingen.

»Wo ist Bosk?«

»Er ist verschwunden.«

18

Ich fuhr herum.

»Ich hatte mir schon gedacht, daß du kommst«, sagte Flaminius. »Nein, zieh das Schwert nicht.«

Ich zögerte. Er hatte seine Waffe noch nicht gezogen. Neben ihm stand eine in Seidenfetzen gekleidete Sklavin.

»Du darfst dich hinknien, Yanina!« sagte er.

»Ja, Herr«, antwortete sie und gehorchte schnell.

»Ich habe sie mitgebracht«, erklärte er. »Sie war bei einem anderen Suchtrupp. Fast jeder, der wußte, wie du aussiehst, war bei irgendeinem Suchtrupp dabei.«

»Das dachte ich mir«, sagte ich.

»Belnar hat sie mir überlassen.«

»Belnar ist tot.«

»Das habe ich gehört.«

»Die Sklavin scheint ängstlich zu sein«, meinte ich.

»Du hast Grund zur Angst, nicht wahr, meine Liebe?« fragte Flaminius.

»Vielleicht, Herr«, flüsterte sie.

»Und du bist aus demselben Grund hier wie ich?« fragte ich Flaminius.

»Schon möglich.«

Ich hatte den Gang benutzt, der hinter der Ubarloge seinen Anfang nahm. Nach meiner Ankunft in den Privatgemächern des toten Ubars hatte ich mit der Suche nach bestimmten, offen herumliegenden Gegenständen begonnen, die etwas mit Kaissa zu tun hatten, Dingen wie Spielbrettern und Spielsteinen, Büchern, Papieren und Aufzeichnungen. Natürlich hatte ich bei meiner Rückkehr das Eisengitter hochgezogen, das den Raum in zwei Hälften geteilt hatte. Das war mir nicht schwergefallen, da ich ja von der abgesperrten Seite gekommen war. Die dazu nötige ausgeklügelte Apparatur hatte ich nach kurzer Suche gefunden.

In einem Raum, der anscheinend dem Kaissa gewidmet war, hatte ich schließlich gefunden, was ich gesucht hatte. Die Papiere lagen inmitten anderer Aufzeichnungen von Spielen. Es handelte sich zweifellos um die richtigen Unterlagen. Eine Seite war mit der numerierten Namensliste bekannter Kaissa-Spieler beschrieben. Selbst Scormus’ Name war vertreten. Auf einem anderen Blatt stand eine angebliche Liste von Turnier Städten, auf dem nächsten ein Namensverzeichnis von Leuten, die angeblich für ihre Kunstfertigkeit in der Herstellung von Spielbrettern und Steinen berühmt waren. Dann gab es noch numerierte Zeichnungen von Brettern.

Auf diesen Brettern standen jedesmal an anderer Stelle angeordnete Buchstaben, manchmal der Beginn eines Wortes, manchmal auch scheinbar zufällige Buchstabenanordnungen. Es waren alles Schlüssel für verschiedene Kaissa-Codes unterschiedlicher Schwierigkeitsgrade.

Ich hatte die Papiere in meine Gürteltasche gestopft. Die so hastig geöffnete Kiste, die vorher so bedeutsam und unerreichbar ausgesehen hatte, war nur ein Ablenkungsmanöver gewesen. Das wahre Versteck, das alle die täuschen sollte, die eine Vorstellung vom Wert der Dokumente hatten, und das Belnars Klugheit zur Ehre gereichte, hatte einfach darin bestanden, die Codeschlüssel herumliegen zu lassen, sie zwischen ansonsten unwichtige Papiere zu stecken. So waren die Dokumente natürlich auch vor gewöhnlichen Dieben sicher, die bestimmt eher die Kiste aufgebrochen oder nach Geheimverstecken gesucht hätten. Zog man ihre leichte Zugänglichkeit und ihre scheinbare Wertlosigkeit in Betracht, hätte kein gewöhnlicher Dieb sie stehlenswert gefunden.

Allerdings hatte Belnar einen meiner Meinung nach kleinen Fehler begangen. Die Spielsteine in dem Kaissa-Zimmer und die Bretter erweckten nicht den Eindruck häufigen Gebrauchs. Das Holz war nicht vom Spiel glattpoliert, die Oberfläche der Bretter wiesen keine Abnutzungserscheinungen wie winzige Kratzer oder kleine Schleifspuren auf. Wie die meisten Goreaner war Belnar zweifellos mit dem Kaissa-Spiel vertraut gewesen. Andererseits schien er nicht oft gespielt zu haben. Und so hätte die Menge handschriftlicher Notizen und Aufzeichnungen zumindest einigen Beobachtern ziemlich ungewöhnlich erscheinen müssen.

Ich hatte die Seiten gerade eingesteckt, als ich hinter mir einen Laut hörte und mich umdrehte.

»Nein«, sagte Flaminius. »Laß das Schwert stecken.«

»Warum? Glaubst du etwa, du würdest diesen Ort lebend verlassen?«

»Natürlich«, erwiderte er, machte aber keine Anstalten, nach der Waffe zu greifen.

»Du wirst mir jetzt natürlich sagen, daß ich umstellt bin.«

»Natürlich habe ich Männer in der Nähe«, sagte er. »Einige sind in der Nähe der Ubarloge und anderen mir bekannten Ausgängen des Geheimganges postiert. Glaub nur nicht, du könntest auf diesem Weg entkommen. Weitere Männer befinden sich in einiger Entfernung auf den Brücken und vor dem Eingang zum Garten.«

»Diese Entfernung könnte ein Fehler in deinem Plan sein.« Ich legte die Hand auf den Schwertgriff.

»Das glaube ich nicht«, meinte er. »Wir wollen die Soldaten doch sicherlich nicht bei den Gesprächen dabeihaben, die wir führen wollen, oder?«

»Da hast du wohl recht«, sagte ich. »Hast du dir auch überlegt, wie du dein Leben hättest retten können, bevor ich dich erreicht habe?«

»Natürlich.«

»Ach ja?«

»Komm mit zum Hingang«, sagte er. Er drehte sich um, wandte mir den ungeschützten Rücken zu und ging voraus. Ich war neugierig geworden. »Du darfst mitkommen, Yanina«, sagte er.

»Ja, Herr.«

Ich folgte Flaminius und Yanina durch das Haus. Ich wollte beide vor mir haben. Wir gingen durch Türen und Torbogen, und ich blieb auf der Hut.

»Siehst du?« fragte Flaminius, als wir draußen auf der Treppe zum Balkongarten standen.

»Was denn?« fragte ich.

Er hob den Arm und gab den Soldaten ein Zeichen, die vor dem Gartentor auf der schmalen Brücke standen.

»Nein«, stöhnte ich auf.

Seine Männer hielten eine hochgewachsene, schlanke Gestalt bei den Armen gepackt; sie war zusammengesackt und blutete.

»Das ist doch dein Freund Petrucchio«, meinte Flaminius. »Ich bin ihm auf der Brücke begegnet. Anscheinend hat er dein Interesse für die Gemächer des Ubars vorausgesehen und ist gekommen, um die Brücke zu verteidigen und dich zu beschützen. Er hatte bloß sein riesiges, lächerliches Schwert dabei. Ich konnte ihn mühelos niederstrecken.«

»Er sollte aus der Stadt fliehen«, sagte ich.

»Er ist offensichtlich zurückgekehrt, wohl in der Hoffnung, dir helfen oder dich retten zu können«, sagte Flaminius.

Ich stöhnte. Ich konnte mir gut vorstellen, wie sich Petrucchio, der arme, tapfere Petrucchio, Boots Tarskstücks ›Kapitän‹, auf der Brücke aufbaute. Welch eine absurde, schwache, großartige Gestalt mußte er dort abgegeben haben, mit seinem lächerlichen Holzschwert und dem wilden Schnurrbart.

»Welch einfältiger Narr«, sagte Flaminius. »Kannst du dir das vorstellen? Ein Schauspieler, der es wagt, mit mir die Klingen zu kreuzen?«

»Du hast dich tapfer geschlagen gegen einen ungeübten Kämpfer, gegen einen Mann, der es gewagt hat, dir allein mit Mut und einem Holzschwert gegenüberzutreten«, sagte ich. »Mach dich bereit, gegen ein anderes Mitglied der Truppe von Boots Tarskstück anzutreten, dessen Klinge allerdings aus Stahl ist.«

»Ich habe nicht vor, gegen dich zu kämpfen«, sagte Flaminius. »Glaubst du etwa, ich kenne den Ruf von Bosk aus Port Kar nicht? Glaubst du, ich bin verrückt?«

»Dann knie nieder und entblöße den Nacken«, sagte ich.

»Ich habe deinen Freund Petrucchio«, sagte Flaminius.

»Ich habe dich.«

»Wenn ich getötet werde, wird Petrucchio natürlich ebenfalls sterben.«

»Stirbt Petrucchio, wirst du sterben.«

»Nun ist wohl der Zeitpunkt gekommen, an dem wir miteinander sprechen sollten«, sagte Flaminius.

»Sprich.«

»Laß uns ins Haus gehen.«

»Einverstanden.«

Er schloß die Tür.

»Also?«

»Belnar und andere Mitglieder des Hohen Rates standen in Verhandlung mit einzelnen Personen verschiedener anderer Stadtstaaten, insbesondere von Cos und Ar. Ich kenne nicht alle Einzelheiten, aber ich habe eine ziemlich genaue Vorstellung. Diese Verhandlungen fanden grundsätzlich mit verschlüsselten Botschaften statt. Ich würde gern die Sicherheit dieser Codes garantieren. Mindestens ein Satz der Codeschlüssel ist hier irgendwo. Wenn du sie gefunden hast, gib sie mir. Außerdem wirst du dich ergeben und mein Gefangener.«