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Bei solchen Auftritten trage ich unter meinen künstlichen Gliedmaßen und den gewöhnlichen Hosen stets noch eine eng sitzende Hose mit Lederflicken, die mir als Beine dienen und auf dem Boden keinerlei Spuren hinterlassen. Da oft alles auf die Geschwindigkeit ankam, bin ich heute in der Lage, meine Beinprothesen binnen fünfunddreißig Sekunden ab- und wieder anzuschnallen.

Und das ist natürlich die schmerzlich einfache Erklärung dafür, wie ich den Automaten bedienen konnte.

Dazu ein paar Worte, da sich die Geschichte nun einmal wiederholt. Es könnte nicht nur schon vorher geschehen sein, es ist schon vorher geschehen. Ist Ihnen klar, Doktor, daß dies das Geheimnis von Kempelens und Maelzels Schachspieler ist? * [* Es ist tatsächlich so, wie Mr. Gore schreibt. Ich bin auf diese Erklärung erstmals in einer alten Ausgabe der Encyclopaedia Britannica gestoßen (9. Auflage, erschienen 1883). Der Verfasser des Artikels, J. A. Clarke, schreibt: »Der erste Operateur war ein polnischer Freiheitskämpfer namens Worousky, der auf dem Schlachtfeld beide Beine verloren hatte. In der Öffentlichkeit trug er Beinprothesen, und das und die Tatsache, daß in Kempelens Gesellschaft kein Kind oder Zwerg reiste, genügte, um beim Publikum jedes Mißtrauen zu zerstreuen, daß jemand im Inneren der Maschine sitzen könne. Der Automat machte mehrere Tourneen durch die Hauptstädte und Residenzen Europas, war für kurze Zeit im Besitz Napoleons I. und wurde nach Kempelens Tod im Jahre 1819 noch von Maelzel vorgeführt. 1854 ging er bei einem Brand in Philadelphia verloren.« Band XV, S. 210.] Mit der einfachen Hilfe eines Mannes von meiner Statur im Inneren der Kiste, auf der die Figur saß, versetzten sie ganz Europa und Amerika fünfzig Jahre lang in Staunen. Wenn dieser Schwindel Leute von so verschiedenem Temperament wie Napoleon Bonaparte und Phineas Barnum täuschen konnte, müssen Sie nicht unglücklich sein, wenn er auch Sie getäuscht hat. Aber in Wirklichkeit sind Sie ja gar nicht darauf hereingefallen, und das haben Sie mir auf dem Dachboden deutlich zu verstehen gegeben.

Ich zweifle nicht daran, daß dies auch im siebzehnten Jahrhundert schon das Geheimnis der Goldhexe war. Verstehen Sie nun, warum der Automat so sehr in Ungnade fiel, als mein verehrter Vorfahr Thomas Farnleigh, der ihn für einen schwindelerregenden Preis gekauft hatte, die Wahrheit darüber erfuhr? Er hatte das große Geheimnis kennengelernt, und wie manch anderer, der in die geheimen Mysterien eingeweiht wird, war er wütend. Er hatte geglaubt, er bekomme ein Wunder. Statt dessen bekam er nur einen raffinierten Trick, und wenn er seine Freunde damit hinters Licht führen wollte, mußte er immer einen eigenen Operateur im Hause haben.

Ursprünglich funktionierte es so: Der Raum im Inneren, davon haben Sie sich selbst vergewissert, ist groß genug für jemanden wie mich. Wenn man erst einmal in der Kiste, dem »Sofa«, steckt und die Tür verschlossen wird, öffnet sich an dessen Oberseite ein Fenster, durch das man an die Mechanik der Figur gelangt. Hier finden wir – mit simplen Gegengewichten versehen – ein Dutzend Hebel, die mit Händen und Körper in Verbindung stehen. In den Knien der Puppe sind Löcher verborgen, die sich von innen öffnen lassen und durch die der Operateur hinaussehen kann. So konnte Maelzels Figur Schach spielen, und so spielte unsere Goldhexe vor hundert Jahren die Cittern.

Eine der besten Ideen bei der Hexe war jedoch das Verfahren, mittels dessen der Operateur ungesehen in die Kiste geschleust wurde. Darin hat der Erbauer der Hexe für meine Begriffe Kempelen noch übertroffen. Zu Beginn der Veranstaltung öffnete der Zauberkünstler die Kiste, damit alle sich vergewissern konnten, daß nichts darin war. Wie kam der Operateur nun hinein?

Ihnen brauche ich das nicht zu erklären. Mit Ihren Bemerkungen auf dem Dachboden am Tag nach dem Mord – die ja ausdrücklich auf mich gemünzt waren – und den Fragen nach dem Kostüm, das der Schausteller getragen hatte, zeigten Sie deutlich genug, daß Sie die Sache durchschaut hatten, und damit wußte ich wiederum, daß ich auf verlorenem Posten stand.

Das traditionelle Kostüm des Zauberers besteht, wie jeder weiß, aus einem weiten wallenden Umhang mit Hieroglyphen darauf, und der Erfinder des Automaten machte sich lediglich diesen Umstand zunutze, wie später nicht ganz so elegant die indischen Fakire. Kurz gesagt, unter dem Umhang verbirgt sich jemand: im Falle des Fakirs ein Kind, das unbemerkt in den Korb klettert, im Falle des Schaustellers unserer Hexe der Operateur, der in den Kasten stieg, während der Zauberer in seiner großen Robe sich an dem Apparat zu schaffen machte und die Lichter im Raum erloschen. In vielen meiner eigenen Programme habe ich den Trick schon mit Erfolg angewandt.

Und damit kehren wir zu meiner Lebensgeschichte zurück.

Meine erfolgreichste Rolle war die des »Ahriman« in London, und ich hoffe nur, Sie können mir verzeihen, daß ich diesen Namen eines zarathustrischen Teufels einem Ägypter gegeben habe. Der arme Welkyn, von dem Sie nicht glauben dürfen, er sei jemals bei diesen Machenschaften mein Komplize gewesen, weiß bis zum heutigen Tag nicht, daß ich der bärtige Zwerg war, für den er sich so trefflich einsetzte. Er hat mich in dieser Verleumdungssache nach allen Regeln der Kunst verteidigt – er glaubte an meine übersinnlichen Kräfte –, und als ich als verlorener Erbe wiederauftauchte, fand ich es nur fair, daß ich ihn zu meinem Rechtsbeistand machte.

(Meister, dieser Verleumdungsprozeß beflügelt noch heute meine Phantasie. Ich hätte mir so sehr gewünscht, im Gerichtssaal eine Probe meiner hellseherischen Fähigkeiten zu geben. Mein Vater, müssen Sie wissen, war mit dem Richter zur Schule gegangen, und ich war bereit, im Zeugenstand in Trance zu verfallen und ein paar Peinlichkeiten aus dem Leben Seiner Lordschaft auszuplaudern. Mein Vater ist in den neunziger Jahren in der Londoner Gesellschaft ein- und ausgegangen, und die erstaunlichen Einblicke, die Ahriman in die Herzen seiner Besucher gewann, waren weniger seinen spiritistischen Fähigkeiten zu verdanken als einem soliden Vorwissen. Aber eine Schwäche für spektakuläre Effekte ist ja schon immer einer meiner entlarvendsten Züge gewesen.)

Und in meiner Zeit als Ahriman beginnt unsere eigentliche Geschichte.

Ich hatte keine Ahnung, daß »John Farnleigh« noch am Leben war, geschweige denn, daß er nun Sir John Farnleigh, Baronet, war – bis er eines Tages in meinen Salon in der Half Moon Street spaziert kam und mir alle seine Sorgen beichtete. Daß ich dem Mann nicht ins Gesicht lachte, vermerke ich hier nur als Tatsache. Nicht einmal der Graf von Monte Christo hätte sich eine solche Begegnung erträumen können. Aber ich glaube, ich sage ich glaube, indem ich seinem fiebernden Verstand Balsam gab, habe ich ihm doch auch zu ein paar unerfreulichen Tagen und Nächten verhelfen können.

Wichtig war jedoch nicht, daß ich ihn wiedergefunden hatte, sondern daß ich Molly wiedergefunden hatte.

Bei diesem Thema tobt meine Leidenschaft zu sehr, als daß ich sie in elegante Worte fassen könnte. Sehen Sie es nicht auf Anhieb, daß sie und ich füreinander bestimmt sind? Sehen Sie nicht, daß Molly und ich, nun wo wir uns einmal wiedergefunden hatten, von den Enden der Welt zusammengekommen wären? Es war eine Liebesaffäre so heftig, so absolut, so allumfassend; wir verzehrten uns nacheinander, wir fraßen uns mit Haut und Haaren auf. Ich muß darüber lachen, sonst mache ich noch aus Zufällen Poesie und aus Flüchen Liebesschwüre. Meinen verkrüppelten Leib fand sie (als sie es erfuhr) weder lustig noch abstoßend. Vor ihr mußte ich nicht das Lied des Quasimodo singen, das Klagelied des vom Leben Vernachlässigten. Hüten Sie sich, eine Liebe leichtfertig abzutun, deren Leidenschaft infernalisch ist und nicht von der Sanftheit der Engel. Pluto liebte ebenso wahrhaft wie der Herrscher des Olymp und half, die Erde zu bevölkern, wo Zeus, der arme Hund, es nur zum Schwan oder Goldregen brachte; und ich danke Ihnen, daß Sie meine Auslassungen zu diesem Thema wohlwollend aufgenommen haben.