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Außerdem mußte er zu Geld kommen. Er spielte. Diese Lei­denschaft hatte er zwar unter Kontrolle, aber er hatte noch ein schlimmeres Laster - er liebte die Macht und schöne Dinge. Es reichte ihm nicht, Anwalt in Buenos Aires zu sein. 28 Jahre lang war er ein gehorsamer Sohn gewesen, jetzt wollte er die Dinge auf seine Art in die Hand nehmen. Seine Schwester würde diesen Grand Slam gewinnen, und wenn sie beide dabei draufgingen. Miguel wollte den Sieg. Als ihr neuer Geschäftsmanager würde er endlich Erfolg haben. Die Tatsache, daß Carmen keine Ah­nung davon hatte, daß er ihr Geschäftsmanager war, störte ihn nicht. Das würde er mit der Zeit schon hinkriegen.

Seite an Seite, von hinten betrachtet, sahen Miguel und Car­men wie Brüder aus, so sehr ähnelten sich ihre Körper. Nur wenn sie sich umdrehten, konnte man erkennen, daß der grö­ßere männlich, der kleinere weiblich war. Beide hatten sie locki­ges schwarzes Haar, Hakennasen und taubengraue Augen geerbt. Ein reizender, leicht gewölbter Mund gab strahlend­weiße Zähne frei. Wie alle Semanas hatten sie wunderschöne Hände. Diese Eigenschaften machten Miguel zum Wunschbild eines Mannes. Carmen allerdings lag geradewegs zwischen Mann und Frau. Eine großzügige Seele hätte sie androgyn genannt. Als Kind hatte man Carmen verspottet. Tennis rettete sie. Sie war vielleicht nicht atemberaubend schön oder niedlich unterwürfig, doch, bei Gott, in dem, was sie tat, war sie die Beste. Ihre ganze Identität als Erwachsene war mit dem Umkreis eines Tennisplatzes verknüpft. An diesem Punkt in Carmens Leben sagten Leute, die sie maskulin fanden, dies allenfalls hinter vorgehaltener Hand. Ins Gesicht sagten sie ihr nur Lo­bendes. Sie liebte das Lob, und sie verdiente es. Falls sie sich je fragte, was die Leute wirklich über sie dachten oder was sie von sich selbst dachte, verschloß sie es tief in ihrem Innern. Ihr Tennisruhm würde sie für all die Verletzungen entschädigen, unter denen sie in ihrer Kindheit gelitten hatte.

Dr. Arturo Semana hatte seine Kinder nie absichtlich verletzt. Sie wurden zu Hause mit materiellen Besitztümern überhäuft und an der aristokratischsten katholischen Schule in Buenos Aires zu tiefer Frömmigkeit getrieben. Miguel, das ältere Kind und der einzige Sohn, stand unter dem täglichen Druck seines Vaters, in allen Dingen ein Mann zu sein. Carmen bekam von ihrer Mutter, eine der führenden Gastgeberinnen von Buenos Aires, den gleichen Druck zu spüren. Als Carmen statt Miguel die Leistungssportlerin wurde, war Theresa Semana eine Woche lang bettlägerig. Arturo fand sich mit Carmens Karriere ab und war schließlich stolz darauf. Theresa kam so weit, daß sie bei der Erwähnung von Leistungen ihrer Tochter nicht mehr er­bleichte, aber sie fand das Tennisleben für jede Frau unakzepta­bel, ihre einzige Tochter eingeschlossen. So war es kaum ver­wunderlich, daß Carmen ihre Besuche zu Hause auf einen im Jahr beschränkte. Egal, wie viele Pokale oder wieviel Geld sie gewann - wenn sie ihr Spiegelbild in den klaren Augen ihrer Mutter erblickte, sah sie eine Niete.

Miguel begriff nichts von dem besonderen Druck, den es bedeutet, weiblich zu sein, aber Carmen war seine Schwester, und er liebte sie. Außerdem war er mit seinem eigenen Druck vollauf beschäftigt. Die beiden verbündeten sich gegen die liebenden, aber fordernden Eltern. Es war, als lebten Bruder und Schwester in einer sehr eleganten Kriegszone, zwei Solda­ten mit unterschiedlichem Hintergrund an derselben Front. In ihrem Fall lag die Unterschiedlichkeit im Geschlecht statt in der sozialen Herkunft oder Geographie. Und wenn auch keines der Geschwister ins Herz oder in den Kopf des anderen sehen konnte, verließen sie sich doch aufeinander und liebten sich. Das war ihre Stärke und auch ihr Unglück.

Das Klingeln des Telefons unterbrach das Abendessen. Harriet stand von ihren Spaghetti mit Pestosauce auf und hob ab.

«Frohe Weihnachten, Harriet.» Jane Fultons kehlige Stimme klang durch die Leitung. «Was macht das Besuchsprogramm?»

«Es braucht seine Zeit.»

«Das hat meine Mutter über das Wachstum meiner Brüste auch gesagt, als ich dreizehn war. Und sieh mich heute an.»

Janes Stimme wurde von Ricky im Hintergrund übertönt: «Mehr als eine Handvoll ist überflüssig. Frohe Weihnachten und gute Nacht euch allen.»

Harriet lächelte. «Ricky hört sich ganz aufgekratzt an.»

Carmen rief vom Tisch rüber: «Frohe Weihnachten!»

Miguel fiel ein. «Glückliches neues Jahr!» Er sprach mit englischem Akzent wie seine Schwester.

Carmen klärte ihn über Rickys Vorliebe für Eierpunsch auf. Miguel hatte Ricky Cooper noch nicht kennengelernt, aber jeder, der ab und zu gern einen über den Durst trank, schien seine Sorte Mann zu sein.

«Macht ihr beide die Berichterstattung bei den Tomahawk­Meisterschaften?« fragte Harriet. Tomahawk, der Kosmetik­zweig von Clark und Clark, einer riesigen pharmazeutischen Firma, sponsorte das Hallentennis der Damen. Ihr Motto war «Erschlag deinen Mann». Die Ballmädchen trugen Federn und Kriegsbemalung, und dieses Motto wurde dem Publikum durch Spruchbänder, Anzeigen und die Verpackung der Produkte eingehämmert.

«Wir kommen. Wohnt ihr am selben Ort?»

«Ja, wir alle drei.»

«Gut, wir laden euch zum Essen ein. Wir wollen Miguel kennenlernen. Sieht er so gut aus wie sein Foto?»

«Er sieht ziemlich gut aus.» Harriet lachte, als Miguel sich effektvoll über den Schnurrbart strich. «Sie haben uns alle zum Essen in Washington eingeladen.»

«Spitze.» Miguel strahlte.

«Können's kaum erwarten, Jane. Küsse an Ricky. Frohe, frohe Weihnachten.»

Ricky Cooper und Jane Fulton waren ein gut zusammenpas­sendes Paar; sie Reporterin beimPhiladelphia Inquirer und Ricky Sportberichterstatter bei derNew York Times, Er moderierte auch die Direktübertragung des neuen Kabelsportprogramms. Als sie heirateten, ließen sie sich - statt eine Karriere der anderen zu opfern - vernünftigerweise in Princeton, New Jersey, nieder, auf halber Strecke zwischen beiden Städten. Ricky war in den Vierzigern und Jane Ende Dreißig. Dem Alter nach Harriet näher, standen sie ihr auch als Freunde näher, aber sie bewun­derten Carmen, die in den Tag hineinlebte und nie an morgen dachte. Für auf Arbeitsmoral fixierte Protestanten war das ein unglaublicher Gedanke.

«Du schlägst Vorhand-Cross und ich Cross zurück.»

«Okay.» Carmen trottete wieder zur Grundlinie.

Miguel, Rechtshänder, schlug hart auf die Vorhandseite sei­ner Schwester. Da sie Linkshänderin war, kam der Ball als Rückhand.

«Zu seicht. Los doch, Trantüte, treib mich zurück.»

«Es ist Heiligabend. Gönn mir eine Pause.»

Er prügelte den Ball härter und sang dabei ein Weihnachts­lied. Gleich fiel sie in sein Lied ein, und die beiden begleiteten ihren Ballwechsel mit englischen und spanischen Texten.

«Weißt du schon, was du unterm Weihnachtsbaum finden wirst, Migueletta?» Er nannte sie bei ihrem alten Spitznamen.

«Sag's nicht. Es soll eine Überraschung sein. He, unfair. Ich habe das Tempo gedrosselt, um zu reden.»

«Das ist dein Problem. Wenn du den Ball nicht im Auge behältst, was kann ich dafür?»

Sie revanchierte sich, indem sie auf den Ball drosch. Er legte sein ganzes Körpergewicht in den Return. So spielten sie eine Stunde lang weiter, bis Miguel abbrach.

«Ich spiele am Weihnachtstag nicht.»

«Wie tragisch.» Er wischte sich den Schweiß von den Unter­armen.

«Du bist heute schlimmer denn je, als wir Kinder waren.»

«Du bist immer noch ein Kind.»